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Hilferuf in Oranienbaum Hilferuf in Oranienbaum: Mutter und Sohn im Lebenskampf

Von Andreas Behling 30.05.2016, 13:49
Patricia Bielke und ihr Sohn Jel bitten um Spenden, um das Haus der Familie behindertengerecht umzubauen.
Patricia Bielke und ihr Sohn Jel bitten um Spenden, um das Haus der Familie behindertengerecht umzubauen. Baumbach

Oranienbaum - Die Bäume, die einst angenehmen Schatten spendeten, liegen säuberlich segmentiert im Vorgarten.

Wer der Familie Bielke in Oranienbaum etwas unter die Arme greifen möchte, kann das gern mit einer Spende tun. Für Jel, dessen Name aus dem Albanischen stammt, ist bei der Volksbank Dessau-Anhalt eG (IBAN: DE75 8009 3574 0006 1297 49 / Swiftcode: GENODEF1DS1) ein Spendenkonto eingerichtet worden. Der Verwendungszweck lautet „Hilfe für Jel“. Freunde der Bielkes, die in Nordrhein-Westfalen zu Hause sind, haben darüber hinaus eine Webseite für den behinderten Jungen gebastelt. Sie ist unter der Adresse www.bielke.jimdo.com erreichbar.

Auf sie zu verzichten, fiel schwer. Doch sie mussten weichen, um am Südende der Oranienbaumer Schlossstraße Platz zu schaffen. Ein Anbau im Bungalow-Stil soll die Situation im vorhandenen Gebäude entschärfen, damit mittelfristig drei Generationen unter einem Dach leben können.

Dagmar Bielke liegt viel daran, das Projekt voranzutreiben. Leicht wird das nicht. Ein finanzieller Kraftakt steht bevor. Vorsichtige, bereits nach unten korrigierte Schätzungen gehen von knapp 250.000 Euro aus. Doch in absehbarer Zeit wird kein Weg daran vorbeiführen, das eigene Haus in Riesigk aufzugeben. Nur so kann sich Dagmar Bielke künftig optimal um ihre Tochter Patricia und Enkel Jel in Oranienbaum kümmern.

Medikamente zur Stärkung

Jel ist schwerstbehindert. Am frühen Morgen des Silvestertags 2009 auf die Welt gekommen, setzten am vierten Tag nach seiner Geburt Gehirnblutungen ein. Die Ärzte reagierten sofort, konnten das Problem aber erst nach mehreren Tagen bannen. Zu spät für den winzigen Jungen im Säuglingsinkubator.

Die gesundheitliche Katastrophe zog beträchtliche Schäden nach sich. Jel, inzwischen knapp sechseinhalb Jahre alt und die Peter-Petersen-Schule in Gräfenhainichen besuchend, ist stark entwicklungsverzögert und nahezu blind. Das motorische Zentrum des Jungen ist immens gestört. Er kann nicht allein sitzen, nicht ohne Hilfe laufen und nicht sprechen. Sich mit seiner Umwelt zu verständigen, ist Jel nur durch einfache Laute möglich. „Mama“ ist eines der wenigen Worte, die er beherrscht. Gegen die in unregelmäßigen Abständen auftretenden Krampfanfälle und zur Stärkung seines sehr angeschlagenen Immunsystems muss er täglich verschiedene Medikamente einnehmen. Sie ihm zu verabreichen, ist kompliziert. Manchmal wehrt er sich heftig. Auch die Mahlzeiten erfordern jedes Mal Geduld. „Aber er versteht ja nicht, was mit ihm passiert. Und ich als eigentlich um Ausgleich bemühte Waage spüre in den Momenten, wie ich dazu neige, schroff zu reagieren“, ringt Patricia Bielke um Fassung.

Trotzdem ein fröhliches Kind

Doch der Glaube ans kleine Glück und der Lebensmut sind ungeachtet der Schicksalsschläge nicht auf der Strecke geblieben. „Ich möchte das Bestmögliche für meinen Sohn. Trotz aller Beeinträchtigungen ist Jel ein fröhliches Kind“, erzählt die 35-Jährige. Der schlaksige Junge, der mehrere Therapien wahrnimmt, ist ganz vernarrt in die Musik. Sein Lieblingsspielzeug ist ein Löwe. Und mit Wonne leert er beinahe tagtäglich den mit weichen bunten Bällen gefüllten „Pool“. Jel sei sehr auf den akustischen Reiz der menschlichen Stimme fixiert und benötige Zuwendung durch Berührungen, erzählt die Oranienbaumerin.

Zum Jahresende 2009 veränderte sich die bis dahin so normale Welt der gebürtigen Riesigkerin total. Im siebenten Monat schwanger, erkrankte Patricia Bielke bedrohlich. Aus dem Husten, der sie befiel, wurde eine schwere Erkältung mit immer extremeren Begleiterscheinungen. Ein erster Klinikaufenthalt - der Kreislauf kollabierte - führte zu keiner Linderung. Im Gegenteil: Ihr Zustand verschlimmerte sich. „Am 30. Dezember röchelte sie dann so stark, dass ich Panik schob und den Notarzt rief“, erinnert sich Dagmar Bielke.

Bangen um Tochter und Enkel

Im Krankenhaus dauerte es nicht lange, bis sich die Ärzte entschlossen, einen Notkaiserschnitt einzuleiten. Die Sauerstoffzufuhr für Mutter und Kind musste dringend normalisiert werden. Wie Jel zehn Wochen zu früh auf die Welt kam, bekam Patricia Bielke gar nicht mit. Sie fiel bis Ende Februar 2010 ins Koma. Ihre Familie musste in jener Phase mehrere schreckliche Momente verkraften. Denn die geschwächte junge Mutter erlitt ein Multi-Organversagen. Und irgendwann dann: Herzstillstand. Nach der erfolgreichen Reanimation der Patientin - Dagmar Bielke stand währenddessen hilflos auf dem Flur - erfolgte die Atemversorgung im künstlichen Koma über eine Trachealkanüle, die bereits nach der Entbindung gelegt wurde.

„Das Zurückfinden ins Leben war für mich unendlich schwer“, blickt Patricia Bielke auf jene bangen Tage. Ganz langsam musste sie alles erst wieder mühsam lernen: Das Atmen ohne unterstützende Maschine, das Bewegen der Gliedmaßen, das Sprechen. „Diese Kanülen und Gerätschaften überall. Ich war wochenlang völlig neben der Spur“, gesteht ihre Mutter Dagmar. Doch jeder kleine Fortschritt war wichtig. Am 8. März 2010 sollte es endlich so weit sein. „Ich durfte mein Kind das erste Mal sehen“, erzählt Patricia Bielke. „Bis zu diesem Zeitpunkt wurden wir in verschieden Kliniken, in verschiedenen Städten behandelt.“ Die Mutter in Leipzig. Der Sohn in Halle.

Auf der Intensivstation wurde alles daran gesetzt, einen geeigneten Raum außerhalb der Station für das Treffen vorzubereiten. Dafür mussten die Beatmungs-, Überwachungs- und Infusionsapparaturen umgesetzt werden. „Die Ärzte haben viel ermöglicht, dass der kleine Engel uns spüren konnte“, ist Dagmar Bielke dankbar. Dem so sehnsüchtig erwarteten Glücksmoment - für Mutter und Kind durchaus anstrengend - folgten mehrmonatige Reha-Aufenthalte. Dass es indes keine komplette Genesung für sie geben wird, damit muss sich Patricia Bielke abfinden.

„Ein großer Teil meiner Lunge ist zerstört. Ich habe ständig Schmerzen in den Füßen und leide unter Lipödemen“, berichtet sie, mit einem Anflug von Galgenhumor von „meinen Schweinefüßen“ sprechend. Ihr ist bewusst, dass auch sie für den Rest des Lebens gezeichnet ist. Sie ist dauerhaft erwerbsunfähig und bezieht eine Rente. An einer Rückkehr in den Beruf - als Vertriebsassistentin im Netto-Logistikzentrum Coswig koordinierte sie zum Beispiel die Einarbeitung der Marktleiter - ist nicht zu denken. Doch die Familie verfolgt ihren Traum vom Anbau am bestehenden Haus. Jel soll ein spezielles Zimmer für seine Therapien und zum Spielen bekommen.

Hoffen auf Firmen

Ein separates Schlafzimmer ist vorgesehen. Die Räume im ebenerdigen Bungalow müssen so konzipiert sein, dass auch für seine weitere Entwicklung - aktuell wiegt der Junge 17 Kilogramm - genug Platz vorhanden ist und das Zusammenleben mit den ihn umsorgenden Menschen erleichtert wird. Das um 1980 errichtete Fertighaus umzubauen, ist aufgrund der Statik keine Option.

„Das ist ein Papierhaus, das sich selbst trägt, hat einer der von uns konsultierten Fachleute gesagt“, so Dagmar Bielke. Zudem würden die Kosten für den Umbau weitaus höher ausfallen als für den behindertengerechten Anbau. Deswegen soll die Wohnsituation komplett umstrukturiert werden. Bei der Gelegenheit sollen Küche und Bad - in beiden geht es arg eng zu - den Erfordernissen angepasst werden. „Zur Sicherung der Pflege wäre es gut, die Oma in unserer unmittelbaren Nähe zu haben“, meint Patricia Bielke.

Gemeinsam mit ihrer Mutter hofft sie, dass eventuell Firmen bereit sind, ihr Know-how - etwa beim Anlegen der Bodenplatte oder dem Einsetzen der Fenster - als eine Form der Spende zur Verfügung zu stellen. „Wir wollen nicht locker lassen“, versichert Dagmar Bielke. „So groß die Nummer mit dem Anbau auch ist, er wäre eine Mordserleichterung. Deswegen kämpfe ich für ihn, so lang ich atme.“

Wer der Familie Bielke in Oranienbaum etwas unter die Arme greifen möchte, kann das gern mit einer Spende tun. Für Jel ist bei der Volksbank Dessau-Anhalt eG (IBAN: DE75 8009 3574 0006 1297 49) ein Spendenkonto eingerichtet worden. Der Verwendungszweck lautet „Hilfe für Jel“. Freunde der Bielkes, die in Nordrhein-Westfalen zu Hause sind, haben darüber hinaus eine Webseite für den behinderten Jungen gebastelt. Sie ist unter der Adresse www.bielke.jimdo.com erreichbar. (mz)