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Hände hoch fürs Handwerk Hände hoch fürs Handwerk: Schüler hinter den Kulissen

Von Marcel Duclaud 06.09.2019, 16:38
Hände hoch fürs Handwerk: Die Teilnehmer des Aktionstages am Mittwoch in Wittenberg nehmen das Motto wörtlich.
Hände hoch fürs Handwerk: Die Teilnehmer des Aktionstages am Mittwoch in Wittenberg nehmen das Motto wörtlich. Duclaud

Wittenberg - Handwerk hat mit Tradition zu tun. In der Bäckerei Jäger sieht man das zum Beispiel an einer urigen Maschine, die Frank Jäger in Ehren hält. Das gute Stück hat bestimmt hundert Jahre auf dem Buckel, es lassen sich Kirschen mit ihr entsteinen oder Pflaumen. Unter anderem dies tun am Mittwoch einen Vormittag lang drei Praktikantinnen, die gerne kennenlernen möchten, wie die Arbeit in einer Backstube aussieht.

Kontrast zur Kopfarbeit

Zwei von ihnen, Julia Germer und Annabell Rauschning, sind Schülerinnen in Reinsdorf und auf der Suche nach einem erfüllenden Beruf, sie wollen sich orientieren. Erzieherin steht ganz oben auf der Wunschliste, aber backen ist auch toll. Die dritte im Bunde hat ihren Job längst gefunden, sie ist bildungspolitische Sprecherin der Fraktion der Linken im Bundestag: Birke Bull-Bischoff. „Ich habe ein Faible fürs Handwerk“, sagt die Politikerin.

„Was mit den Händen zu tun, ist ein schöner Kontrast zur Kopfarbeit.“ Eine Backstube wie die bei Jägers findet sie „extrem spannend“. Bull-Bischoff ist eines der Aushängeschilder des Aktionstages „Hände hoch fürs Handwerk“, der am Mittwoch im Landkreis Wittenberg über die Bühne geht. Er soll dem Handwerk, das bekanntlich erhebliche Nachwuchssorgen hat, Aufmerksamkeit bescheren - und, noch besser, die Auszubildenden von morgen.

Handwerkskammer Halle und Kreishandwerkerschaft haben das Ereignis organisiert - nicht zuletzt in der Hoffnung, das Image des Handwerks, das ja goldenen Boden haben soll, zu polieren. Mehr als 40 Jungen und Mädchen aus mehreren Schulen des Landkreises sind beteiligt - sie erhalten die Gelegenheit, einen kurzen Blick hinter die Kulissen verschiedener Unternehmen zu werfen und selbst Hand anzulegen. Sie werden begleitet von gestandenen Persönlichkeiten: Politikern, Sportlern, Geschäftsführern, Schauspielern.

Die Bäckerei Jäger ist nur einer der Betriebe, die mitmachen: „Die Unternehmen müssen sich öffnen“, betont Frank Jäger, dem es wichtig ist, Tradition zu bewahren: „In Deutschland schließt jeden Tag eine Bäckerei. Da geht viel handwerkliches Wissen verloren. Das bewegt mich.“

Eine Arbeit ganz anderer Art wird einige Straßen weiter verrichtet, bei Creativ Dental. Den Betrieb mit 22 Angestellten und vier Azubis gibt es seit 1991. Dass es schwieriger wird, Lehrlinge zu finden, berichtet Thomas Jünemann, einer der Inhaber. „Wir brauchen junge Leute.“ Er führt das auch auf die unterschiedliche Vergütung zurück. Die Industrie kann ihren Azubis mehr zahlen als das Handwerk. Ein erhebliches Problem seien zudem Fahrtkosten zu Ausbildungsstätten.

Handwerk schafft Bleibendes

Jünemann kann seine Anliegen an höchster Stelle loswerden. Zu ihm ist Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) gekommen, der Flagge zeigen möchte, wenn es ums Handwerk geht. Nicht alle, die aufs Gymnasium gehen, seien dort richtig. Ausbildung, wirbt der Regierungschef, bringe schnell auch finanzielle Unabhängigkeit („bis hin zu Rentenpunkten“).

Im Übrigen schaffe Handwerk Bleibendes, wie das Haus der Rosa-Schule, wo am Morgen der Aktionstag eröffnet wird. Haseloff trifft bei Creativ Dental auf die 15-jährige Aaliyah Nagy. „Man muss solche Gelegenheiten nutzen“, begründet die Schülerin aus Wittenberg ihre Teilnahme am Aktionstag. Zwar ist auch bei ihr der Traumberuf ein anderer - Polizistin - aber das kann sich ja ändern. Sie hilft am Mittwoch, ein Gipsmodell herzustellen als Basis für späteren Zahnersatz und findet die Arbeit im Dentallabor, die inzwischen auch stark von Digitalisierung geprägt ist, interessant.

Beim Aktionstag dabei ist auch Schauspieler Lutz Schweigel, ein ausgebildeter Heizungsmonteur. Seine Motivation: „Ich will nicht irgendwann auf einen 70-jährigen Handwerker warten müssen, der nächstes Jahr Zeit hat.“

Noch rund 400 freie Ausbildungsplätze

Handwerksbetriebe im Land halten nach Angaben von Thomas Keindorf, Präsident der Handwerkskammer Halle, rund 1 300 Ausbildungsplätze in diesem Jahr bereit. Besetzt sind längst nicht alle.

„Mehr als 400 freie Ausbildungsplätze haben wir noch im Angebot und beste Karrierechancen für die Zukunft noch dazu“, sagt Keindorf. Es sei wichtig, den jungen Menschen zu verdeutlichen, dass es in der Region Entwicklungsmöglichkeiten im Beruf gibt, die sie über eine duale Ausbildung erreichen können. Er erwähnt zudem, dass nicht wenige Auszubildende ihre Lehre abbrechen - wegen falscher Vorstellungen vom Beruf.

Der Aktionstag „Hände hoch fürs Handwerk“ sei eine Gelegenheit, dem entgegen zu wirken. Der Estrichleger Thomas Pielorz gehört zu jenen, die ihre Betriebe am Mittwoch geöffnet haben. Er sagt zur Begründung: „Man muss alle Chancen nutzen, junge Menschen fürs Handwerk zu begeistern.“ Im Übrigen gehe es darum, die Stärken zu suchen, nicht die Schwächen. „Ich kann jedem erzählen, was er nicht kann. Ich kann ihm aber auch sagen, was er kann.“

(mz)

Süße Arbeit bei Bäcker Frank Jäger: Julia Germer, Annabell Rauschning und die Bundestagsabgeordnete Birke Bull-Bischoff.
Süße Arbeit bei Bäcker Frank Jäger: Julia Germer, Annabell Rauschning und die Bundestagsabgeordnete Birke Bull-Bischoff.
Kühne/Handwerkskammer
Sarah Marie Appelt probierte sich bei All-Optik aus.
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Aaliyah Nagy und Reiner Haseloff arbeiten bei Creativ Dental.
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