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Handball in Gräfenhainichen Handball in Gräfenhainichen: Der letzte Wurf ins Glück

Von Michael Hübner 13.05.2019, 11:58
Cupsiegerin Julia Otto beim Wurf. Torfrau Svenja Weyer hat bei einigen Distanzwürfen Pech.
Cupsiegerin Julia Otto beim Wurf. Torfrau Svenja Weyer hat bei einigen Distanzwürfen Pech. Gritt Weigelt

Gräfenhainichen - Es ist Samstag um 21.28 Uhr: In der Magdeburger Eike-von-Repgow-Halle spielen sich emotionale Szenen ab. Die Spielerinnen der BSG Aktivist Gräfenhainichen liegen jubelnd auf dem Parkett. Die Zuschauer in der voll besetzten Sportstätte - zwei Drittel sind aus der Heide angereist - skandierenden minutenlang „Double-Sieger, Double-Sieger“.

Die BSG holt den Pott nach zwei Unentschieden gegen den starken HSV aufgrund der Auswärtstorregel. „Wir sind meines Wissens nach das erste Team in Sachsen-Anhalt, dem das Double gelungen ist“, sagt BSG-Chef Hans-Joachim Kramer. Und für die eigene Vereinshistorie sind das Erfolge für die Ewigkeit: Landesmeister, Aufsteiger in die Mitteldeutsche Oberliga und nun auch Landespokalsieger. Mehr geht in einer einzigen Saison nicht.

41 Sekunden vor dem Schluss sieht es in einem packenden und dramatischen Finale, das zwar nicht technisch, aber kämpferisch auf höchsten Niveau steht, gar nicht nach einem Gräfenhainichener Triumph aus. Der HSV Magdeburg ist nicht nur gleichwertig, sondern er führt mit 28:27. Die BSG hat nach der eigenen Auszeit den Ball. Aber die Uhr tickt gnadenlos gegen die Gäste Allen ist es klar: Es wird nur noch einen einzigen Wurf geben.

Der entscheidet über Happy End oder Tragödie. Kann noch jemand frei gespielt werden? Wer übernimmt die Verantwortung?

Die Jüngste bleibt eiskalt

Es ist ausgerechnet die Jüngste im Team mit dem größten Mut. Das „Nesthäkchen“ nutzt ihre Chance eiskalt, eine sehr selbstbewusste Aktion. „Ich war mir nicht sicher, ob ich treffe. Ich habe es nur gehofft“, gesteht sie. Ihr Trainer Jens Bertuleit, nach der Partie völlig erschöpft mit dem Pokal auf der Bank sitzend, ist da zuversichtlicher. „Ich habe nur befürchtet, dass wir zu früh abschließen“, sagt der Coach.

Doch seine Frauen setzen die Regieanweisung um und spielen den Angriff bis zum allerletzten Wurf in der allerletzten Sekunde der Saison aus. Offiziell fällt der Ausgleich drei Sekunden vor dem Ende. Die elektronische Anzeigentafel, die sich nach 60 Minuten automatisch abschaltet, zeigt den aktuellen Spielstand nicht mehr an.

Das stört niemandem beim Cupsieger, der nach dem 22:22 im Hinspiel ohne das erhoffte Torepolster und Spielmacherin Izabela Rzeszotek, die mit der polnischen Studentenauswahl internationale Verpflichtungen erfüllt, angereist ist.

Trotzdem geben sich die Verantwortlichen optimistisch. „Wir sind in der Lage, 23 Tore zu werfen“, sagt Bertuleit, der von Beginn an - und so sollte es ja auch kommen - offensichtlich in der Erwartung der Ereignisse auf die Auswärtstorregel setzt. „Wir wollten schon gewinnen“, sagt Bertuleit. Aber die Kontrahentinnen befinden derzeit auf Erfolgskurs. Die A-Jugend - das ist der Kern der HSV-Frauen - hat gerade die erste Hürde auf den Weg zur Bundesliga erfolgreich gemeistert.

Trotz dieser Euphorie geht die Bertuleit-Taktik - Tempo und viele Treffer - auf. Nach vier Minuten erzielen die Gäste durch die Treffer von Christin Karl, Michelle Sandner und Carina Buchholz bereits die dritte eigene Führung. Im Hinspiel liegt die BSG in den 60 Minuten nur einmal in Front. Die Führung wechselt aber in der ersten Halbzeit hin und her. Keine Sieben kann einen Zwei-Tore-Vorsprung verbuchen. Die BSG muss aber noch einen ersten Rückschlag verkraften.

Keeperin Mandy Gamlich wird mit einem Kopftreffer außer Gefecht gesetzt. Sie muss das Parkett verlassen. Der HBC führt zur Halbzeit 14:13. In der Pause sind sich die BSG-Fans sicher: „Die Mädels schaffen die 23 Treffer.“

Dramatik nach Roter Karte

Nach dem Wechsel scheint die BSG endgültig in der Erfolgspur. Es ist mehr möglich als das benötige Remis. Karl wirft beim 20:18 erstmals einen Zwei-Tore-Vorsprung (44.). Die Führung kann Michelle Sandner sogar auf 23:20 ausbauen (44.). Und das ist ja auch der von Bertuleit gefordert 23 Treffer. Das heißt, ab jetzt reicht zum Pokaltriumph tatsächlich ein Unentschieden. Doch die BSG muss den nächsten Rückschlag verkraften. Es geht um Karl. Im Hinspiel landet die Frau im Krankenhaus. Am Samstag wirkt sie fit und agiert sehr auffällig.

Und trotzdem kann sie plötzlich zur tragischen Pokalheldin - sie ist mit neun Treffern mit Emma Sophie Jahns vom HSV die folgreichste Werferin der Partie - werden. Sie erhält eine glatte Rote Karte und darüber hinaus verhängen die Referees auch einen Siebenmeter, den Jahns verwandelt. Es steht 24:24 (50.). Jetzt spricht plötzlich vieles für die Gastgeberinnen, die die Aufholjagd erfolgreich gestaltet haben.

„Wir kennen die Situation von der Begegnung mit Oebisfelde. So eine Herunterstellung kann zu einer Trotz-Reaktion führen“, sagt Kramer. Doch der HSV kann wieder mit 26:25 (54.) durch Eileen Geue und 28:27 (59.) durch Kathrin Sill in Führung gehen. Dass die BSG noch die Chance zum letzten Wurf ins Glück erhält, liegt vor allem an Gamlich.

Inzwischen ist die Keeperin wieder zurück im Kasten und hält in der Schlussphase nach Einschätzung ihres Trainers überragend und vor allem ihre Sieben im Spiel. „Das Adrenalin hat mich aufgeputscht“, sagt die Cupsiegerin, die die Schmerzen erst nach dem Schlusspfiff wieder spürt.

Bald ruft der Europapokal

„Noch 20 Spiele bis zum Europapokal“, scherzt Kramer und betont, dass der Verein für den nächsten höheren Cup gemeldet hat. Im Handball sind die Pokalsieger im Gegensatz zum Fußball nicht automatisch im großen Cup mit den Bundesligisten in einem Topf, sondern müssen sich dafür in einer Art Zwischenrunde erst noch qualifizieren. Vergleiche mit dem Fußball bringen Kramer sowieso auf die Palme. So erhält schon der Teilnehmer im Finale der Männer eine sechsstellige Summe. „Und uns haben die beiden Endspiele etwa 1 000 Euro gekostet“, erzählt der BSG-Chef.

Allerdings erhält der Verein viel Anerkennung auf seiner Facebookseite. „Glückwunsch zu beiden Titeln“, schreibt der Bundestagsabgeordnete Sepp Müller (CDU). Auch der HBC Wittenberg - die Frauen in der Lutherstadt kämpfen derzeit um den Aufstieg in die Sachsen-Anhalt-Liga der Frauen - gratuliert. „Damit habt Ihr eine Super-Saison abgerundet“, schreibt BSG-Hallensprecher Dietmar Bebber.

Und auch der Gräfenhainichener Bürgermeister meldet sich zu Wort. „Spannender hätte Ihr es nicht machen können. Herzlichste Glückwünsche. Hab Ihr Euch hart erkämpft und verdient. Auf Euch Mädels“, so Enrico Schilling (CDU). Vor der Partie hat er der MZ verraten, dass er sich im Falle des Double-Sieges eine Überraschung für das Team ausdenken wird. Da dürfen die Frauen gespannt sein, denn ein Empfang im Rathaus und der Eintrag ins Ehrenbuch der Stadt dürften nach dem Samstagabend eine Selbstverständlichkeit sein. (mz)

BSG-Frau Michelle Sandner will einen Wurf verhindern.
BSG-Frau Michelle Sandner will einen Wurf verhindern.
Gritt Weigelt