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Geschichte der Leichtathletik in Wittenberg Geschichte der Leichtathletik in Wittenberg: Kampf um ein Stück Normalität

Von Rainer Schultz 13.05.2020, 09:03
Zu den Leichtathletik-Stars zählten damals unter anderem Max Syring (links) und Ewald Mertens.
Zu den Leichtathletik-Stars zählten damals unter anderem Max Syring (links) und Ewald Mertens. Repro/Alexander Baumbach

Wittenberg - Was ist mit den Wittenberger Laufassen und Mitgliedern der Leichtathletiknationalmannschaft? Wir schreiben Dezember 1942. Deutschland befindet sich im dritten Kriegsjahr. Bei einem 1939 von Hitler entfachten Weltkrieg kann auch beim Sport nicht mehr von Normalität die Rede sein.

Front-Einsatz statt Stadion

Für „Führer, Volk und Vaterland“ müssen Nationaltrainer Lamberts Laufasse Ewald Mertens, Karl-Heinz Becker, Walter Schönrock, Werner Böttcher und Max Syring an die Front. Sie alle zählen zur deutschen Leichtathletiknationalmannschaft und verhalfen der kleinen Provinzstadt an der Elbe in den 30er Jahren zu überregionalen Ruhm.

Man träumte von der Olympiateilnahme in Helsinki 1940. Ein anstrebenswertes Ziel. Wie wir jedoch aus der Geschichte wissen, kam es nicht dazu. Einstige europäische Sportkameraden stehen sich von heute auf morgen plötzlich als „Feinde“ gegenüber. Darunter auch der polnische Olympiasieger Kusocinski (gefallen 1940), der sich 1938 noch im Länderkampf Deutschland-Polen mit Werner Böttcher friedlich auf sportliche Weise duelliert.

Für Wittenbergs populären Trainer Lambert bedeutet der Krieg indessen eine erschwerende Situation. Wie kann ich den Trainingsbetrieb unter komplizierten Bedingungen aufrecht erhalten? Oft stellt er sich auch die Frage: Wie lange schaffe ich es noch, meine Läufer vom Fronteinsatz fern zu halten? Inzwischen in Dessau-Kochstedt selbst in Uniform, versucht Lambert ein Stück Normalität im Trainingsalltag herzustellen, was äußerst schwierig ist.

Sporadische Trainingslehrgänge werden im Verlaufe des Krieges immer seltener. In einem seiner Sportbriefe heißt es: „Ich hoffe Euch auch in diesem Winter betreuen und bei Lehrgängen begrüßen zu können. Das setzt voraus, dass ihr die Möglichkeit fürs Training nutzt und den Urlaub für Lehrgänge bekommt.“

Bei Max Syring, sportliches „Aushängeschild“, hofft Lambert, dass dieser vorerst in Wittenberg bleiben kann. Deutschlands beste Athleten sind 1943 bereits an den verschiedenen Frontabschnitten eingesetzt. Die faschistische Propaganda versucht, der Bevölkerung unterdessen eine heile Scheinwelt vorzugaukeln.

Der Sport wird zur Farce

Dazu zählen auch die letzten deutschen Leichtathletikmeisterschaften im Juli 1943 im Berliner Olympiastadion. Die Rahmenbedingungen sind alles andere als günstig. Zerstörung, Bombenkrieg und Tod in deutschen Großstädten sind allgegenwärtig. Sport wird zur Farce.

Ein schon stark dezimiertes Programm – gewissermaßen „Leichtathletik auf Sparflamme“ - sind bezeichnend für diese letzten Kriegsmeisterschaften. Wittenbergs Laufass Max Syring erringt über 5.000 Meter nochmals den Meistertitel in 14:57,4 Minuten. Unter den schwierigen Bedingungen dieser Zeit eine gute Leistung.

Auch der Wittenberger Walter Schönrock schafft es mit Rang drei über 10.000 Meter noch mal aufs Treppchen. Arthur Lambert versucht, Optimismus zu verbreiten. Fürs Wintertraining empfiehlt der Meistertrainer „genießerische“ Waldläufe. „Es muss eine Lust sein für Euch, dass man von einer Symphonie des Laufes sprechen kann. Die Strecke kann bis auf 2 1/2 Stunden ausgedehnt werden“, so Lamberts Tipp an seine Laufasse gerichtet.

„Nutzt jede Gelegenheit um raus zugehen. Stellen wir uns unseren Korpus so vor, als sei er der Motor einer Rennmaschine. Was meint Ihr wie sorgfältig er gepflegt und gefüttert werden muss, um Leistungen zu erzielen und mit wie viel Liebe man ihn einfährt. So müsst ihr Euer Training betrachten und gestalten. Nicht zu zeitig auf Hochtouren laufen!“

Einfühlsame Worte des Trainerfuchses aus Wittenberg, der einen 17-köpfige Kader aus ganz Deutschland betreut. Doch was bleibt? Vermisst, verwundet, gefallen lauten die Nachrichten, die in ihrer Dichte immer mehr zunehmen.

Tragische Schicksale

Am 10. November 1944 fällt Werner Böttcher, erfolgreicher olympischer Endlaufteilnehmer 1936 über 1.500 Meter, an der Ostfront. Sohn Peter Böttcher (Jahrgang 1939) wächst fortan ohne Vater auf. Walter Schönrock und Ewald Mertens kehren verwundet heim. Sie werden auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn ihrer Träume beraubt. Körperliche und seelische Schäden bleiben.

Der verbrecherische Krieg Nazideutschlands beendet hoffnungsvolle Sportlerkarrieren. Der Ruf der einstigen Sportstadt Wittenberg erreicht fortan nie wieder diese Popularität. (mz)

Wittenbergs Trainerlegende Arthur Lambert
Wittenbergs Trainerlegende Arthur Lambert
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