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Bundeswehr  Bundeswehr : Holzdorf liegt im Baltikum

Von Sven Gückel 20.09.2016, 03:45
Angespanntes Arbeiten in den Containern der Luftraumüberwachung
Angespanntes Arbeiten in den Containern der Luftraumüberwachung Sven Gückel

Cistigi - Nur langsam lichtet sich in Cistigi der morgendliche Nebel. Das kleine lettische Dorf liegt wenige Kilometer von der russischen Grenze entfernt und hat seinen Einwohnern kaum Abwechslung zu bieten. Wer hier lebt, spürt die Ruhe der Natur, die ihn umgibt. Lettlands Osten wird bestimmt von den drei großen W - Wald, Wiesen, Wasser. Ausgerechnet hier, inmitten grüner Wildnis, sind noch bis Ende September deutsche Soldaten des Einsatzführungsbereiches 3 vom Bundeswehrstandort Schönewalde-Holzdorf stationiert. Gemeinsam mit anderen Nato-Partnern nimmt die Bundeswehr an der Übung Persistent Presence (Stete Präsenz) 2016 teil. Alle 28 Mitgliedsstaaten der Nato hatten sich 2014 in Wales auf den „Readiness Action Plan“ geeinigt, der als sichtbares Zeichen des gegenseitigen Beistandes unter anderem eine erhöhte Präsenz der Nato an ihrer östlichen Flanke beinhaltet.

Während die Menschen von Cistigi gemächlich in den Tag finden, herrscht unweit des Dorfes schon reger Betrieb. Nahe der Grenze zu Russland, die Schilder mit dem Hinweis „Borderarea“ deutlich vor Augen, hat die Luftwaffe ein verlegefähiges Radar vom Typ RAT 31 errichtet. Pausenlos sendet es seinen Leitstrahl in alle Himmelsrichtungen, gewährt Einblicke von bis zu 350 Kilometer Reichweite. Den Auftrag dazu, genau hier zu stehen, erhielt die Nato von ihren Bündnispartnern aus Lettland, Litauen und Estland. Die fühlen sich seit dem Einmarsch der Russen auf der Krim in allen Ängsten bestätigt, fürchten, der einstige Okkupant ihres Territoriums könnte auch diesen Landstrich wieder in Beschlag nehmen wollen.

Schwache Verteidigung

Entgegenzusetzen haben die Balten dem nicht viel. Sie verfügen weder über eine umfangreiche Luftwaffe noch stehen ein schlagkräftiges Heer oder eine Marine bereit, die Länder im Falle eines Angriffs zu verteidigen. Lettlands Luftwaffe zählt gerade einmal 270 Soldaten. Vier Hubschrauber des Typs Mi-17, modern ausgestattet zwar und als Such- und Rettungshubschrauber (SAR) im Einsatz, sind der ganze Stolz der Truppe. Zudem, sagt Oberstleutnant Viesturs Masulis, wolle man eine alte AN-2 wieder flott machen, um sie als Truppentransporter und Verbindungsflugzeug einzusetzen.

Als Leiter der Luftraumüberwachung auf der lettischen Air Base Lielvärde, der einzigen des Landes, gilt Masulis Augenmerk jedoch vielmehr dem neu aufgebauten verlegefähigen Gefechtsstand zur Luftraumüberwachung – dem Deployable Control and Reporting Center (DCRC) des Einsatzführungsbereiches 3 aus Holzdorf. Nur sieben Nationen verfügen über solch eine verlegefähige Variante der Luftraumüberwachung. Die Teilnahme an internationalen Übungen ist für die hier diensttuenden Soldaten längst Normalität. Die Verlegung nach Lettland aber war schon eine Herausforderung. „Um an diesem Platz aktiv zu werden, blieben uns nur wenige Monate Zeit für die Vorbereitung. Immerhin galt es, 407 Tonnen Material von Holzdorf nach Lielvärde zu verfrachten, über Schiene, Straße und auf dem Seeweg“, erzählt der Kommandeur der Einheit, Oberst Mario Herzer. Bis zu 110 Männer und Frauen zählt das deutsche Kontingent vor Ort. Ihre Aufgabe ist es, so wie sie es auch in Deutschland tun, den Luftraum zu überwachen, alle Flugbewegungen zu erfassen und dieses Luftlagebild an die übergeordnete Nato-Gefechtsstände weiterzuleiten. Dafür wurden an drei Standorten mehrere Richtfunk- und Satellitenantennen montiert, unzählige Kilometer Kabel verlegt. Die Informationen laufen an Bildschirmen auf und werden von Luftlageoffizieren ausgewertet.

Karges Freizeitprogramm

Die Jägerleitoffiziere führen schließlich Piloten von Kampfjets mittels Funk an mögliche Ziele heran. Sollten die Deutschen im Verlaufe der Übung tatsächlich Unregelmäßigkeiten im lettischen Luftraum feststellen, melden sie diese dem „Control and Reporting Center“ im litauischen Karmelava. Die Litauer sind im Baltikum derzeit als einzige mit solcher modernen Technik ausgerüstet.

Russisch geprägte Küche, das Schlafen in von ratternden Aggregaten umgebenen Containern sowie ein wenig Freizeitabwechslung am Kickertisch bestimmen den Alltag der deutschen Soldaten. Hin und wieder organisieren sie einen Kurztrip nach Riga, der einzigen Millionenmetropole des Landes. Die Letten selbst stehen den Soldaten, die nach Dienst Zivilkleidung tragen, überwiegend positiv gegenüber.

Das gilt auch für jene, die bei Cistigi mit der Radarstation einen außergewöhnlichen Nachbarn bei sich wissen. Anfang Oktober wird an diesem Ort der lettischen Grenze aber wieder Ruhe einkehren. Zumindest solange, bis die Letten hier selbst Posten beziehen. Denn auch das ist Teil der Mission der Deutschen. Testen, was möglich ist, um den Balten Wege zu mehr militärischer Selbstständigkeit aufzuzeigen. Und das wollen sie in den nächsten Jahren mit dem Kauf verlegefähiger Radargeräte angehen. (mz)

Das Ortsschild soll an den heimatlichen Standort erinnern.
Das Ortsschild soll an den heimatlichen Standort erinnern.
Sven Gückel