Landkreis Sangerhausen Landkreis Sangerhausen: Kontrolle im Wäscheschrank
Sangerhausen/MZ. - Robert Grünewald schaut aus dem Fenster des Landratsamtes hinüber zur Halde, die über Sangerhausen thront. Bergbau, Industrie, es war einmal. Der Sozialamtsleiter hat das Problem täglich auf dem Tisch. 7621 Menschen sind zurzeit arbeitslos, 2300 beziehen Sozialhilfe.
"Die Ausgaben laufen aus dem Ruder", sagt Grünewald. "Mittlerweile machen sie für die Jugend- und Sozialhilfe schon die Hälfte des Kreishaushaltes aus, 24 Millionen Euro", erklärt der Sozialamtschef. "Es hilft nichts, wir müssen die Kosten eindämmen." Ein Mittel: "Wir kontrollieren jetzt vor Ort, ob beantragte Leistungen berechtigt sind. Und wir wollen auch Sozialhilfemissbrauch aufdecken." Deshalb fahren jetzt die 30 Außendienstmitarbeiter der Kreisverwaltung als Fahnder unangemeldet Wohnungen von Bedürftigen ab.
Andreas Freyer ist einer von ihnen. Bisher legte der Vollstrecker vor allem Autos still, wenn Steuern oder Versicherungen nicht bezahlt wurden - 600 Wagen im Jahr. Nun klingelt er auch als Sozial-Fahnder an Wohnungstüren.
Eine Mutter mit zwei Kindern hat ein Bett und zwei Fahrräder für ihre Jungs beantragt. Etwas verlegen lässt sie Freyer eintreten. Spartanische Einrichtung, eine Matratze auf dem Fußboden. "Das Bett war wacklig und ist zusammengebrochen", sagt sie leise. Für den Kontrolleur keine Frage: "Natürlich bekommen Sie ein Bett für den Jungen. Was Ihnen zusteht, sollen Sie auch kriegen." Zwei Fahrräder gehören nicht dazu. Aus ihren beiden Schrottmühlen haben sich die Jungs ein Rad zurechtfrisiert. "Da brauchen sie nur eins", sagt Freyer. 200 Euro gespart.
Die alleinstehende Frau nimmt es hin. "Seit sechs Jahren bin ich auf Sozialhilfe angewiesen, das ist schon ein großer Mist", sagt die behinderte Bürokauffrau. Mit ihren Jungs geht sie nur auf kostenlose Veranstaltungen. Im Internet sucht sie selbst nach Arbeitsstellen, weil das Arbeitsamt ihr keine bieten kann. "Bisher vergebens", sagt sie entschuldigend.
"Sie hat es schwer", sagt Freyer bei der Fahrt zum nächsten Termin. "Aber sie hat sich nicht aufgegeben wie viele andere", meint der Fahnder. Der 47-Jährige kennt "die zwei Seiten der Sozialhilfe-Medaille": Einerseits "bescheidende Leute, die oft noch nicht einmal die Hilfe beantragen, die ihnen zusteht". Andererseits "viele, die sich eingerichtet haben, mehr mitnehmen als ihnen zusteht und illegal noch Gelegenheitsjobs machen". Oder in München arbeiten und in Sangerhausen noch Sozialhilfe kassieren. Oder zusammen mit einem neuen Partner in einer Wohnung leben, aber noch getrennt für zwei Haushalte Stütze beziehen. Einer Anzeige wegen einer solchen "eheähnlichen Gemeinschaft" geht Freyer nach. Die Frau öffnet, ein muskulöser tätowierter Mann zieht sich in die Küche zurück. Freyer erklärt das Problem und beginnt mit der Spurensuche: "Bitte machen sie die Schränke auf. Ich muss nachsehen, ob der Mann seine Wäsche hier hat." Die Frau ist schockiert. "Das ist eine Frechheit," sagt sie hilflos. Fahnder Freyer kontrolliert auch den Wäschekorb. Dann folgt der Fragebogen: Gemeinsames Konto? Nein. Pkw von beiden genutzt? Nein. Kaufen sie zusammen ein? Nein. Sein Name auf dem Klingelschild? Nein. "Sie müssen es melden, wenn sie zusammenziehen", sagt Freyer beim Abschied.
"Hier werden wir wohl in einem halben Jahr noch mal kontrollieren", sagt Freyer. Peinlich ist ihm das nicht: "Sozialhilfeempfänger sind mitwirkungspflichtig", zitiert er das Gesetz. "Wer nicht mitwirkt, muss mit Leistungskürzung rechnen." Seine persönliche Bilanz nach drei Wochen Sozial-Fahndung: Er trifft "überwiegend auf Menschen, die das wirklich nötig haben, was sie an Hilfe beantragen." Und: "Bis zu 30 Prozent Einsparung für den Kreis."
"Das wird unseren Haushalt nicht retten", räumt Sozialamtsleiter Grünewald ein. "Aber wir dürfen keinesfalls mehr ausgeben als nötig." Am Jahresanfang liefen viele ABM aus. Gleich 130 Sozialhilfeempfänger und Kosten von 500000 Euro mehr im Jahr. "Am beängstigsten ist die Sozialhilfekarriere von immer mehr Jugendlichen, die gleich so beginnen", meint Grünewald. "Manchmal fragt man sich schon: Wann kommt der Punkt, an dem es kippt?"