Gar nicht so verschieden Lesung mit Ronald Gruner und Siegfried von der Heide in Allstedt

Allstedt - Die Schriftsteller Ronald Gruner und Siegfried von der Heide wollte Museumsleiter Adrian Hartke schon seit Jahren zur Lesung auf Burg und Schloss Allstedt zu Gast haben. „Nur leider waren die beiden Autoren schon immer anderweitig ausgebucht“, seufzte der Museumschef und war nun überglücklich, dass es zu den 29. Landesliteraturtagen endlich geklappt hat. Die beiden Autoren lasen in Allstedt aus ihrer 2015 erschienenen Doppelbiografie „Gleiche Zeit - anderes Land. Zwei Kindheiten 1960-1973“.
Wegen der Sicherheitsmaßnahmen rund um die Corona-Pandemie fand die Lesung im kleinen, aber feinen Kreis in der Schlosskapelle statt. Alle Zuhörenden entsprangen in etwa demselben Jahrgang wie die beiden Autoren - von der Heide wurde 1961 in Soltau geboren und Gruner im Jahr davor in Halle an der Saale.
Lesung mit Ronald Gruner und Siegfried von der Heide in Allstedt
Das machte die Lesung fürs Publikum ganz besonders amüsant, dass sie sich direkt vergleichen konnten, wollten die beiden Autoren in ihrer Biografie der Sache auf den Grund gehen, ob sich Kindsein im Osten vom Kindsein im Westen unterschied.
Offenbar ist man gar nicht so verschieden, wie man eventuell geglaubt hatte. Die Schilderung eines Badetages in Soltau weckte bei den Zuhörern selbst Erinnerung. Schmunzeln, Gelächter und Kopfnicken erntete der Autor schon beim Lesen, als er schilderte wie zunächst er, als der jüngste Spross der Familie von der Heide, in die Zinkwanne steigen durfte. Und nach und nach die ganze Familie am Samstagnachmittag baden konnte. „Nur mit Seife!“, betonte der Autor, denn das Wasser wurde noch anderweitig gebraucht. Für das Wäschewaschen nämlich, das die Mutter nebenher in der Waschküche erledigte.
Gar nicht so verschieden: Die Kindheit in der DDR und BRD
„Ich war erstaunt, dass unsere Erinnerungen gar nicht so verschieden sind“, staunte eine Dame aus dem Publikum im Anschluss an die Lesung. Sie hatte offenbar vermutet, dass es da doch gravierendere Unterschiede gegeben haben müsste.
Was die politischen Ansichten in den Elternhäusern anbelangt, da gab es dann schon krasse Unterschiede. Während dem Vater von Siegfried von der Heide, einst strammes Mitglied der Waffen SS, das Blut in den Adern gefror, als er in der Tagesschau den berühmt gewordenen Kniefall des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt am Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos mit ansah, so wuchs Roland Unger im Osten mit kommunistischen Heldenbildern auf. Sein Großvater war erst in der SPD, dann in der USPD und später in der KPD. Ernst Thälmann, Fritz Weineck, Max Hölz, Lenin, Stalin und Marx gehörten zu den Figuren, die sein Leben mitbestimmten.
Da unterschieden sich die Berichte doch wesentlich voneinander. Die schwarzgraue Saale, in der trübe Flocken schwammen und die weiße Schaumkronen trug und in der manchmal tausende, tote Fische schwammen, ist eine Erinnerung, die Ronald Unger mit den Anwesenden teilte, ebenso wie die häufigen Überschallknalls der russischen Kampfjets.
Siegfried von der Heide outete sich als Fan von „Willi Schwabes Rumpelkammer“
Dann, beim Einrichten der Fernsehantenne auf dem Dach des halleschen Mietshauses, die nur zu mehreren Menschen zu bewerkstelligen war, weil man sich zurufen musste, ob das Bild klar wurde, näherten sich Ost und West wieder aneinander an. Denn was da über die Bildschirme flackerte unterschied sich wiederum kaum voneinander. Siegfried von der Heide outete sich als Fan von „Willi Schwabes Rumpelkammer“, die dem Fernsehstudio der DDR entsprang, eine Sendung, die der DDR-Junge natürlich bestens kannte. Und so schloss sich der Kreis.
Und auch Wolfgang Fischer, vom Klopstockverein aus Quedlinburg, obwohl zehn Jahre älter als die Autoren, fand sich in deren Erzählungen und Erinnerungen wieder. Der Klopstockverein organisierte mit dem Gleimhaus Halberstadt und dem Kulturwerk deutscher Schriftsteller Sachsen-Anhalt die Landesliteraturtage, die 30 Jahre nach der Wiedervereinigung unter dem Titel „Begegnungen“ stehen. Fischer dankte an dem Abend den beiden Autoren und überreichte ihnen Bleistifte, für weitere Notizen. (mz)