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Drama von Helbra Drama von Helbra: Wegnahme des Kindes "notfalls mit Gewalt"

Von Julius Lukas 13.03.2018, 19:24
Der Ort des umstrittenen Einsatzes: die Grundschule in Helbra
Der Ort des umstrittenen Einsatzes: die Grundschule in Helbra Maik Schumann

Helbra/Halle (Saale) - Das Mädchen wehrt sich, es weint und schreit. Doch die Polizisten lassen nicht locker. Sie tragen am Montagmorgen vergangener Woche die achtjährige Nina (Name geändert) in ein silbernes Auto. Der Wagen steht vor der Grundschule in Helbra (Mansfeld-Südharz). Das Mädchen hält sich am Dach des Pkw fest, es ruft: „Hilfe, ich will hier nicht rein.“ Und es schreit nach seinem Vater: „Nein, Papa!“ Doch Roger E. kann seiner achtjährigen Tochter nicht helfen. Mit drei Streifenwagen ist die Polizei zur Grundschule gekommen. Mehrere Beamte schirmen den Einsatz ab.

Höhepunkt eines langen Sorgerechtsstreits

Die Szene ist der negative Höhepunkt eines langen Sorgerechtsstreits. Das Amtsgericht Eisleben hatte 2017 entschieden, dass Nina bei ihrer Mutter wohnen soll. Roger E. war diesem Urteil mehrere Monate lang nicht nachgekommen. Am Montag vergangener Woche wurde der Beschluss deswegen von einem Gerichtsvollzieher, dem Jugendamt und der Polizei unter Anwendung von Zwang vollstreckt.

Zu diesem Vorgang werden nun immer mehr Details bekannt: Nach MZ-Informationen hatte die Schulleitung gegen das Vorgehen zuvor mehrfach bei den beteiligten Behörden protestiert. Demnach warnte sie vor der Bedrohung des Schulfriedens und bat um eine Verlegung des Einsatzes. Diesem Wunsch wurde nicht entsprochen. Wie aus Schulkreisen zu erfahren war, wurde der Termin sogar noch um einen Tag vorverlegt, was der Schule erst eine halbe Stunde vor Beginn angekündigt worden sein soll. Nach MZ-Informationen geschah dies im Wissen, dass sich Roger E. in unmittelbarer Nähe des Schulgeländes befand.

Einsatz an Schule: Leitung versucht, Kinder abzuschirmen

Die Leitung habe daraufhin probiert, die Kinder der Schule vom Polizeieinsatz so gut es geht abzuschirmen. Nina sollte über die Fluchttreppe zum Hinterausgang gebracht werden, wo das Auto wartete. Das Mädchen weigerte sich aber, den Polizisten zu folgen. Daraufhin intervenierte die Rektorin abermals und bat um Abbruch der Aktion - erneut ohne Erfolg. Auch die beteiligten Polizisten hatten nach MZ-Informationen während des Einsatzes ein Ende der Maßnahme vorgeschlagen. Das sei aber vom Gerichtsvollzieher abgelehnt worden.

Im Bildungsministerium, wo der Vorfall derzeit aufgearbeitet wird, stellte man sich am Dienstag hinter die Schulleiterin. Sie habe sich gut verhalten, sagte Minister Marco Tullner (CDU). „Hätte sie nicht so umsichtig reagiert, wäre die Situation noch weiter eskaliert.“ Auch wurde vom Bildungsministerium darauf verwiesen, dass die Schulleiterin keine Handhabe gegen den Polizeieinsatz hatte. Ihr Hausrecht ermögliche keinen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, was wiederum eine Straftat darstellt.

Minister Tullner erneuerte am Dienstag seine Kritik an der Art, wie der Gerichtsbeschluss durchgesetzt wurde: „Eigentlich ist das Vorgehen rechtens – mündet aber trotzdem in eine solche Katastrophe für das Kind? Das kann nicht ernsthaft unsere Botschaft sein“, so der Minister.

Fall soll am Montag besprochen werden

Auch bei der Kabinettssitzung am Dienstag waren die Geschehnisse in Helbra Thema. Laut Justizministerium sei der Fall kurz besprochen worden. „Ich habe auf die rechtskräftigen Gerichtsbeschlüsse hingewiesen“, sagte Ministerin Anne-Marie Keding (CDU). Vom Innen- und Bildungsministerium lasse man sich jetzt alle Informationen zuarbeiten. Auf Staatssekretärsebene soll der Fall am Montag besprochen werden. „Dann müssen alle beteiligten Häuser ihre Informationen zusammenführen, damit die Landesregierung den Vorfall einheitlich beurteilen kann“, sagte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) am Rande der Kabinettssitzung.

An der Grundschule in Helbra wurde der Vorfall bereits in allen Klassen mit den Schülern thematisiert. Zur Unterstützung ist derzeit eine Schulpsychologin vor Ort, die das Geschehen aufarbeiten soll. Im Fokus stehen dabei nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrer. Die öffentliche Diskussion habe dem Kollegium zugesetzt. Wie groß die Aufmerksamkeit für den Vorfall ist, zeigt sich allein an der Verbreitung des Videos vom Polizeieinsatz. Auf der Plattform Youtube hatte es am Dienstag bereits knapp 150.000 Aufrufe.

„Notfalls mit Gewalt“

Dass die Polizei zu körperlichem Zwang griff, ist durch einen Beschluss des Amtsgerichts Eisleben vom Januar gedeckt. Darin steht: „Der zuständige Gerichtsvollzieher wird durch diesen Beschluss beauftragt, die Wegnahme notfalls mit Gewalt durchzuführen.“ Eine solche Formulierung ist nach Ansicht von Rechtsexperten nicht ungewöhnlich.

Die Mutter von Nina hatte ihre Tochter und ihren Mann vor etwa zweieinhalb Jahren verlassen. Seitdem lebte die Achtjährige im Haus des Vaters. 2017 entschied das Amtsgericht, das Mädchen zur Mutter zu geben. Das Urteil basierte auf der Einschätzung, dass nur die Mutter in der Lage ist, den Kontakt von Nina zu beiden Elternteilen zu ermöglichen. (mz)