Küstentanne für Stolberg Amerikanische Küstentanne schmückt den Marktplatz in Stolberg

Stolberg - Ganz langsam, Zentimeter um Zentimeter schiebt sich das Kranfahrzeug die schmale Zufahrt zur Thyrahöhe hinauf. Heiko Nickel und Matthias Stein gehen es trotz der Enge ruhig an. „Wir haben heute schon in Sondershausen den Weihnachtsbaum auf dem Markt aufgestellt“, erzählt Stein. Das hat etwas länger gedauert, aber Marcus Schubotz und seine Männer von der Servicestation der Gemeinde Südharz und viele Schaulustige warten geduldig. Der Stolberger Baum kann nur mit Hilfe eines Kranes gefällt und auch nur mit Hilfe eines Krans aufgestellt werden.
Giesela und Wolfram Schleicher sind aber doch ein bisschen aufgeregt. Schließlich ist es ihre Amerikanische Küstentanne, die nun von der Thyrahöhe auf den Markt umziehen und bald im Lichterglanz vorm Rathaus erstrahlen wird. „Ich habe sie vor fast 40 Jahren gepflanzt“, erzählt Wolfram Schleicher. „Sie war damals vielleicht fünf, sechs Jahre alt, als ich sie in einer Forstbaumschule bei Haldensleben gekauft habe.“
Küstentanne für Stolberg misst 22 Meter
Sie sei aus Importsaatgut herangezogen worden. „Abies grandis, so heißt sie auf Latein, wurde damals von der Universität Göttingen als Baumart eingestuft, die einigermaßen resistent war und deren Anbau deshalb in unseren Breiten empfohlen wurde“, erzählt der 84-Jährige. Im Laufe seines Berufslebens und auch darüber hinaus hat er sich als Forstexperte speziell mit dem Harzwald intensiv beschäftigt. Giesela Schleicher stellt Kaffee und Tee bereit, Nachbarin Elke Höra bietet ebenfalls reihum heißen Tee an. Warme Getränke sind umso mehr willkommen, denn bis der Kran sicher steht, dauert es seine Zeit, und die Temperatur liegt nur knapp über Null.
Unterdessen macht sich Lars Mosebach bereit, befestigt die Kettensäge am Gurt und schwebt dann selbst am Kranhaken in die Höhe. „Der Baum ist 22 Meter hoch“, sagt Mathias Hahn, der ebenso wie Mosebach in der Stolberger Feuerwehr aktiv ist. Mosebach muss die geteilte Spitze der Tanne so an den Ketten des Krans befestigen, dass sie nicht wegbrechen wird, wenn er später den Stamm durchtrennt. Das erfordert Fingerspitzengefühl und außerdem Erfahrung; die hat er mit seiner Firma als Forstdienstleister. Mal lässt sich Mosebach ein Stück weiter nach oben ziehen, dann geht es einen halben oder ganzen Meter nach unten, näher an den Stamm heran oder ein Stückchen weg. Bei jedem Knacken, das aus dem dichten Baumwipfel zu hören ist, gehen die Blicke der Umstehenden schlagartig nach oben.
Doch alles geht gut. Die Ketten sind befestigt. Die unteren Äste noch wegschneiden und dann den Stamm durchsägen, das alles geht fix. Für Mosebach und Hahn ist es Routine. Die Tanne schaukelt am Kranhaken. Rund zweieinhalb Tonnen wiegt sie. Schleichers atmen auf. Genau wie die Nachbarn und etliche Mitglieder der Stolberger Feuerwehr, die natürlich auch zugeschaut haben.
Publikum bestaunt den Transport des Baumes
Nun ist das Team der Servicestation mit Heiko Bottin, René Fischer, Eckhard Bollmann, Torsten Daunheimer und Marcus Schubotz gefragt. Sie helfen beim Aufladen des Baumes auf den Langholztransporter. Auch das erfordert Fingerspitzengefühl. Und außerdem Kraft. Denn es sollen möglichst wenig Äste brechen, wenn der Baum langsam vom Kran herabgelassen wird. Hinter der Fahrerkabine des Transporters stapeln die Männer Paletten übereinander, um den Stamm darauf zu lagern, am Ende des Fahrzeugs liegt die Baumspitze auf einem stabilen Gurt auf.
„Eigentlich war geplant“, erzählt Ortsbürgermeister Ulrich Franke (parteilos), „mit dem Transporter über Rottleberode und Schwenda zum Markt zu fahren.“ Doch der weite Umweg ist nicht nötig. Langsam setzt sich der Transporter mit dem ausladenden Baum auf der Thyrahöhe in Bewegung, rollt gemächlich durch die Niedergasse bis zum Markt - und lockt jede Menge Publikum an. Auch wenn es an einigen Stellen etwas eng wird, die Tanne kommt unversehrt an und wird genauso behutsam in die Hülse vorm Rathaus gepflanzt, wie sie zuvor gefällt worden ist.
„Die Lichterkette bringen wir erst am Donnerstag an“
„Die Lichterkette bringen wir erst am Donnerstag an“, sagt Schubotz. Also rechtzeitig vor dem 1. Advent. Und die Stolberger sind sich einig. Der Baum soll diesmal wesentlich länger stehen bleiben als in anderen Jahren. „Mindestens bis Mitte Februar“, meint Feuerwehrchef Hans-Jürgen Metzner. Vor allem Schleichers würde damit ein Wunsch erfüllt, den auch ihre Nachbarn mit ihnen teilen.
Irgendwann in diesen Tagen wird Giesela Schleicher ihre vielen Fotos sichten, etliche hat sie schon per WhatsApp verschickt. Dass der Baum, anders als in seiner Ur-Heimat Amerika, nur gut 40 statt 90 Jahre alt geworden ist, sei zwar ein bisschen schade, gesteht Wolfram Schleicher. Aber umso schöner sei es, dass sich nun viele Menschen daran erfreuen könnten. Und es sei allemal besser, falls er doch nicht gegen die Trockenheit oder die Borkenkäfer angekommen wäre. (mz)

