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Interview mit Balcerowski Thomas Balcerowski Bürgermeister Thale wird bald Landrat im Landkreis Harz: Klubhaus, Hubertusquelle und Bodetal-Therme

08.10.2020, 07:56
Im November 2001 nahm der junge Bürgermeister Thomas Balcerowski (l.) an einem Podiumsgespräch mit dem damaligen Landtagsabgeordneten Wolfgang Böhmer (M.) und Thales vorigem Bürgermeister Hans-Michael Maertens teil.
Im November 2001 nahm der junge Bürgermeister Thomas Balcerowski (l.) an einem Podiumsgespräch mit dem damaligen Landtagsabgeordneten Wolfgang Böhmer (M.) und Thales vorigem Bürgermeister Hans-Michael Maertens teil. Jürgen Meusel

Thale - Für Thomas Balcerowski beginnt am 1. November das nächste Kapitel: Nach mehr als 19 Jahren als Bürgermeister von Thale wechselt er ins Landratsamt. MZ-Reporter Benjamin Richter sprach mit dem 48-Jährigen über Höhe- und Tiefpunkte seiner Amtszeit und den Führungswechsel in Krisenzeiten.

Herr Balcerowski, Ihr letzter Monat als Bürgermeister von Thale ist angebrochen. Gibt es noch viel zu tun? Sind die Umzugskartons schon gepackt?

Thomas Balcerowski: Also aufgeräumt ist schon. Es gibt eine ganze Reihe von persönlichen Sachen, die schon mal zusammengeräumt worden sind. Viele Sachen lasse ich natürlich auch hier, weil es ja nicht Präsente und Geschenke für Thomas Balcerowski sind, sondern für die Stadt Thale und ihren Bürgermeister.

Und es gibt noch eine Menge zu tun, weil ich meinem Nachfolger und in der Übergangszeit Frank Hirschelmann (stellvertretender Bürgermeister, Anm. d. Red.) ein aufgeräumtes Haus hinterlassen möchte. Ich werde ihn über die Dinge informieren, die laufen, wobei durch die wöchentlichen Dienstberatungen eigentlich die großen Projekte im Haus bekannt sind.

Wenn Sie auf Ihr erstes Jahr als Bürgermeister von Thale zurückblicken, sich da einen typischen Arbeitstag vorstellen und das mit einem typischen Tag heute vergleichen, was hat sich seitdem alles verändert?
Balcerowski: An die ersten Tage als Bürgermeister kann ich mich sehr gut erinnern, die waren sehr aufregend. Ich war damals noch sehr jung, 29 Jahre, und hatte gehörig Respekt vor der Aufgabe.

Ich war zwar vorher Stadtrat, aber die Arbeit eines Bürgermeisters entscheidet sich doch erheblich von der eines Stadtrats. Man ist jetzt derjenige, der die Dinge vorantreiben muss, der der Motor ist.

Ich bin meiner damaligen Sekretärin Frau Gerdrud Petzel noch sehr dankbar, weil sie mir erst einmal erklärt hat, was denn ein Bürgermeister außer dem Vorbereiten von Stadtratsbeschlüssen noch so alles an Aufgaben hat, Repräsentationsaufgaben.

Auch mein Vorgänger Michael Maertens hat mir sehr stark geholfen, in das Amt reinzukommen. Es gab, ähnlich wie jetzt, eine Zeit zwischen Wahl und Amtsantritt, und Michael Maertens hat mir damals erlaubt, bereits an den Dienstberatungen mit seinen Amtsleitern teilzunehmen. Dadurch bin ich schon in das Alltagsgeschäft reingekommen.

Und wie ist es im Vergleich dazu heute?
Balcerowski: Heute ist es so, dass natürlich sehr viel Routine reingekommen ist. Man weiß um die Dinge Bescheid, um die Prioritätensetzung von wichtigen und weniger wichtigen Dingen. Das heißt nicht, dass es deswegen nicht mehr spannend ist.

Aber wenn es zum Beispiel mal schlechte Nachrichten hagelt, dann bringt mich das mittlerweile nicht mehr aus der Ruhe, weil ich weiß: Es geht immer weiter. Nach schlechten Nachrichten kommen auch wieder gute.

An welche Momente Ihrer Bürgermeisterzeit denken Sie am liebsten zurück?
Balcerowski: Ich muss sagen, es gab eine ganze Reihe von Höhepunkten, an die ich mich sehr gerne zurückerinnere. Das erste große Projekt war der Neubau des Stadtzentrums und des neuen Rathauses. Es gab damals sehr viel Skepsis in der Bevölkerung, die Arbeitslosigkeit war mit 20 Prozent noch sehr hoch.

Da stellte man sich die Frage, ist ein neues Rathaus jetzt nicht die falsche Priorität? Ich kann mich noch sehr gut an den Tag der offenen Tür erinnern. Nachdem wir die Bürger durchs Haus geführt hatten, war die Skepsis verflogen - weil man gesehen hat:

Es ist kein Rathaus mit goldenen Klinken, sondern ein sehr funktionales und trotzdem repräsentatives Haus. Ein Schlüsselmoment war auch die Erschließung der Hubertusquelle. Da habe ich zum ersten Mal gesehen:

Dieses schwere Rad Stadt Thale fängt sich an zu drehen. Bis dato hatte man mir in der Verwaltung gesagt: Das mit der Hubertusquelle, das können Sie vergessen. Die ist mikrobiologisch belastet - damals wegen der Seilbahnen, weil da kein Abwasserkanal war und das Abwasser ins Quellwasser geflossen ist.

Ein Experte, Dr. Lorenz Eichinger, hat damals jedoch gesagt: Das ist überhaupt gar kein Problem, wir können die Quelle neu erschließen. Wir bohren ein neues Loch. Das ist dann nicht acht Meter, sondern 83 Meter tief - so wie es jetzt der Brunnen ist - und holen das Heilwasser aus tieferen Schichten, bevor es sich mit dem Grundwasser vermischt.

Das war im Prinzip der Startschuss für eine kurörtliche Entwicklung, von der zuvor jeder gesagt hatte: Das wird sowieso nichts. Als junger Bürgermeister habe ich gesehen: Man hat die Möglichkeit, dieses schwere, festgefahrene Rad Stadt Thale zu lösen. Frisch im Amt, hat mir das Mut gegeben, neue und weitere Dinge anzupacken.

Gibt es weitere Höhepunkte, die Sie in Erinnerung behalten haben?
Balcerowski: Auch, dass wir ein Klubhaus gebaut haben, werde ich nicht vergessen. Ich bin ja immer bei den Einschulungsveranstaltungen, die früher in der Aula des Gymnasiums stattgefunden haben. Erst mal saßen wir immer auf harten Plastikstühlen.

Und dann habe ich mitbekommen, dass pro Familie nur wenige Familienmitglieder an der Einschulungsveranstaltung teilnehmen konnten, weil die Kapazität in der Aula des Gymnasiums so gering war. Da ist in mir der Gedanke gereift: Wir brauchen das Klubhaus wieder.

Ich kenne es ja noch selbst als Schüler, als Jugendlicher. Dort war meine Einschulung und Jugendweihe, und auch nach der Wende war da Disco und so weiter. Und dann hat es irgendwann gebrannt. Und auch an diese Sache haben die meisten Thalenser einen ganz dicken Haken gemacht und gesagt: Na, das wird sowieso nichts mehr!

Ich habe aber den Gedanken, das Klubhaus wieder neu aufzubauen, nie aufgegeben. Auch da viele Zufälle: Die Stadt Thale hatte einen Rechtsstreit zum Zurückbezahlen von Fördermitteln zum Bau der Walpurgisstraße aus dem Jahr 1993.

Dort ist uns ein formeller Fehler passiert: Es gab einen vorzeitigen Maßnahmebeginn, der uns mündlich zugesagt, schriftlich aber nie wiederholt worden ist, und die Ministeriumsmitarbeiter, die das ausgesprochen haben, konnten sich später daran nicht erinnern.

Man muss also auch mit der Niederträchtigkeit der Landesverwaltung arbeiten. Darunter hat die Stadt gelitten. Aber es gab eine Änderung des Landesstraßengesetzes, die besagt, dass bei einer wechselnden Bauträgerschaft auch die Kosten wechseln.

Das heißt, die Walpurgisstraße – zu DDR-Zeiten Ortsstraße – ist zu einer Landesstraße geworden. Dann haben wir das Landesbauministerium verklagt. Die erste Runde haben wir verloren. Da hingen hier schon die Ohren runter. Ingrid Michalk und ich haben das bearbeitet. Wir haben gesagt: Okay, dann gehen wir in die zweite Runde.

Was hat Ihnen damals bei diesem Schritt Mut gemacht?
Balcerowski: Wir gehörten damals zu den zehn Prozent der beantragten Berufungsverfahren beim Oberverwaltungsgericht, die man zugelassen hat. Damit gab es einen klaren Fingerzeig, dass wir mit unserer Klage Recht bekommen werden.

Die Stadt Thale hat am Ende diesen Rechtsstreit gewonnen. Wir haben 990.000 Euro vom Land Sachsen-Anhalt bekommen. Das war der Eigenanteil für die Fördermaßnahme Klubhaus Thale.

Das ist Momente, da schweben Sie einen Meter überm Boden. Ich bin nach wie vor stolz darauf, dass wir das geschafft haben. Wir hatten alle nicht mehr daran geglaubt.

Dann kam 2009 der Sachsen-Anhalt-Tag nach Thale, hat den Kollegen alles abverlangt und die Verwaltung zusammengeschweißt. PMC ist gebaut worden für zehn Millionen Euro. Dadurch sind wir auch im industriellen Bereich weitergekommen. Wir haben das Industriegebiet „Lager Wiese“ entwickelt, Warnstedt teilweise, da kämpfen wir immer noch drum. Es ist nicht so, dass diese 19 Jahre konfliktfrei waren.

Was meinen Sie damit?
Balcerowski: Es gab auch viele Konflikte, Rechtsstreitigkeiten und Dinge der unangenehmen Art. Es gibt eben viele Menschen, die mit einer Entscheidung nicht leben können, die dann auch die moralisch fragwürdigen Wege gehen.

Das gibt es und das durfte ich auch erleben. Das sind dann die bitteren Momente. Aber gut, es gehört am Ende dazu. In der Zeit gab es auch viel Solidarität von Kollegen, die mir erzählt haben, dass es ihnen genauso geht, dass es Leute gibt, die schlichtweg keinen Anstand haben.

Gegen solche Leute muss man sich erwehren, nicht nur persönlich, sondern vor allem auch gegenüber der Stadt Thale, weil man dann immer illegalerweise an unser Geld ranmöchte.

Wie fühlen Sie sich nun, so kurz vor Ende Ihrer Bürgermeisterzeit?
Balcerowski: Derzeit habe ich ein Gefühl der tiefen Zufriedenheit. Als ich begonnen hatte, hatten wir viele Ruinen, das Hotel Rosstrappe war eine, das Klubhaus auch, über Hubertusquelle und Bodetal-Therme hat kein Mensch nachgedacht. Das war vollkommen utopisch.

Wenn man dann sieht, es bewegt sich was und es gelingen einem auch Sachen, und nicht nur auf dem Papier – was ich bis heute spüre, ist die tiefe Dankbarkeit der Leute. Das geht einem dann schon ans Herz, muss ich sagen.

Vor allen Dingen auch in den letzten Wochen. Am Anfang wollte es keiner glauben, dass ich mich für den Posten des Landrats bewerbe und dann hier aufhöre. Es gab sogar viele Leute, die gesagt haben: Wir wählen Sie nicht!

Nicht, weil wir Sie nicht mögen, sondern weil wir nicht wollen, dass Sie Landrat werden und dann nicht mehr Bürgermeister sind. Diesen Leuten musste ich klarmachen, dass ich als Landrat vielleicht noch ein Stück weit mehr über Thale entscheiden kann als vorher.

Denn wir waren vorher sehr oft Bittsteller beim Landkreis. Das wird sich ändern. Dann ist ein Thalenser Entscheider über Thale. Dass ich jetzt im ersten Wahlgang zum Landrat gewählt worden bin, hat auch etwas mit der Arbeit hier in Thale zu tun, mit der hohen Anerkennung dessen, was wir hier in Thale geschafft haben.

Ich sage mit Absicht wir – das war keine One-Man-Show. Sie erleben das jedes Mal im Stadtrat, dass die Leute an einem Strang ziehen und also wissen, wo wir hin wollen. Dass es Streit im Detail gibt, ist in Ordnung und soll ja auch so sein.

Aber letztlich ist man immer um Ergebnisse bemüht. Ich hoffe, dass das auch, wenn ich nicht mehr da bin, weitergeht. Da haben die Stadträte mit Frau Sieker an der Spitze eine Verantwortung, das weiter voranzutreiben.

Was heißt das für die Zukunft?
Balcerowski: Es wird weiterhin keine leichten Entscheidungen geben. Wir stecken mitten in der Corona-Krise. Wieder einmal brechen die Finanzen zusammen, wie schon zur Bankenkrise, wie schon nach dem 11. September, also Dinge, die ich alle schon erlebt habe.

Da muss man am Ball bleiben, sehr konzentriert sein, denn eines habe ich auch gelernt: Hilfe von außen kriegen Sie nicht – es sei denn, Sie holen sich die Hilfe. In der Form, dass Sie die auch einfordern. Wie ich vorhin sagte, dass man im Zweifel auch mal gegen die Landesregierung vorgeht.

Auch formaljuristisch. Denn ich muss sagen, Kommunalpolitik ist in Sachsen-Anhalt vom Ansehen nicht hoch angesiedelt. Man darf den Leuten applaudieren, wenn sie die Wahlstimmen haben wollen, aber ansonsten ist man als Kommunalpolitiker, und auch die Kommunalpolitik an sich, in Sachsen-Anhalt nicht geschätzt.

Das sind Dinge, die mich ärgern und die ich sicherlich auch ins neue Amt mitnehmen werde. An der Stelle werde ich mich aber auch vom Charakter her nicht ändern. Ich werde die Themen ansprechen, ob es den Leuten, auch den eigenen, gefällt oder nicht.

Es geht nicht darum, dass es mir gut geht, sondern dass es den Menschen hier gut geht. Und wenn offensichtlich falsch gehandelt wird, spreche ich das an, weil das meine Aufgabe ist.

In Ihre Amtszeit fallen auch neun Eingemeindungen im Zuge der Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt. Wer die Ortschaftsräte in den eingemeindeten Ortsteilen besucht, bekommt häufig zu hören, dass Sie als Bürgermeister bei den Investitionen mitunter zu sehr auf die Kernstadt Thale geschaut haben und die Ortsteile etwas vernachlässigt haben. Wie sehen Sie das?
Balcerowski: Das ist schlichtweg eine Lüge. Wer von den Ortsräten und Ortsbürgermeistern so etwas sagt, ist blind. Wir haben für 1,4 Millionen Euro in Weddersleben eine neue Kita gebaut, wir haben die gesamten Fördermittel, die wir vom Bund bekommen haben, in den Ort gelenkt.

Und wir haben für 1,45 Millionen Euro ein neues Feuerwehrdepot in Friedrichsbrunn eingeweiht. Da sind Stark-V-Fördermittel der Stadt Thale nach Friedrichsbrunn gegangen.

Wir haben die Ortsdurchfahrt gemeinsam mit dem Land für drei Millionen Euro ausgebaut und, und, und. Es ist schlichtweg nicht wahr, und es beschwert sich immer gerade der Ortsbürgermeister, der in dem Jahr gerade mal nicht dran ist.

Wir haben eine ganze Reihe von Orten übernommen, die ganz unterschiedlich aufgestellt waren. Allrode zum Beispiel war hervorragend aufgestellt, mit einem Gewerbegebiet und einem gut gehenden Hotel. Straßen, Gehwege – ist alles gemacht.

Und vier Kilometer weiter haben wir mit Friedrichsbrunn einen Ort übernommen, der de facto in Ruinen lag. Da habe ich mich schon gefragt, 20 Jahre lang nach der Wende, was haben die denn da gemacht? Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Nun war die Aufgabe, die Orte, die so weit hintendran waren – und dazu gehörte neben Friedrichsbrunn auch Stecklenberg –, als Erste zu entwickeln. Mein Vorteil ist, ich habe vier Kinder, da weiß ich es gerecht zu verteilen. Mit den Ortsteilen ist es genauso.

Das sind dann neun Ortsteile, neun Kinder, und ich möchte da gerecht sein und habe das auch gemacht. Wir haben massiv in die Ortsteile investiert, die am meisten zurücklagen. In den Ortsteilen, wo alles schon fertig war, wie in Allrode oder Warnstedt, war und bin ich nicht bereit, noch die Bordsteine zu vergolden. Wenn da jemand anderer Meinung ist, akzeptiere ich das so, werde aber deswegen meine Meinung nicht ändern oder revidieren.

Welche würden Sie rückblickend als die größte Herausforderung Ihrer Zeit als Bürgermeister bezeichnen?
Balcerowski: Dieses festsitzende Rad, was die Ortsentwicklung und Arbeitskräfte anging, das war das Schwierigste. Es ist auch ein Prozess, der nie zu Ende ist.

Aber überhaupt erst einmal das Ganze in Gang zu setzen, den Bürgern Hoffnung zu geben... Ich durfte mir oft anhören, der sieht ja nur alles immer rosarot und sieht die Probleme nicht. Das ist vollkommen falsch, die Probleme habe ich sehr genau gesehen.

Aber ein Bürgermeister muss ja motivieren. Ein Bürgermeister darf nicht das Leiden der Stadt im Gesicht tragen. Wie soll ich denn Leute motivieren, wenn ich selbst ein Miesepeter bin? Denen, die im Ort investieren und etwas vorantreiben wollen, muss ich doch Zuversicht geben und nicht Pessimismus. Das Rad in Bewegung zu setzen, war das Schwierigste – und toi, toi, toi, nach meinem Dafürhalten ist mir das gelungen.

Gibt es denn Entscheidungen, die Sie als Bürgermeister getroffen haben und im Nachhinein bereuen?
Balcerowski: Ich habe personelle Entscheidungen getroffen im Rahmen der Stadtverwaltung, die ich bereue, ja. Die ich zutiefst bereue, bei denen ich Fehlbesetzungen vorgenommen habe, weil ich anderen Leuten helfen wollte.

Wie fällt Ihre Bilanz des 2018 gestarteten Projekts „Minusgebühr“ aus?
Balcerowski: Solche Sachen wie die „Minusgebühr“ sind mit ein Schlüssel des Erfolges in Thale. Eine kleine Sache mit großer Wirkung. Warum sage ich das? Sie entstand eigentlich aus dem Gespräch heraus mit Gewerbetreibenden, wobei wir uns darüber Gedanken gemacht haben:

Wie beleben wir die Innenstadt, wie werden wir an der Stelle attraktiver? Dann hat einer der Gewerbetreibenden gesagt: Sobald ich was rausstelle, wollt ihr ja gleich Geld haben. In dem Moment hat es im Kopf gearbeitet, da hat man überlegt:

Derjenige hat ja Recht. Sobald er Blumenkästen oder eine Bank nach draußen stellt, müssen wir im Rahmen einer Sondergebührensatzung Geld nehmen. Das ist eine Lenkungsabgabe, die eigentlich einen ganz anderen Zweck hat, nämlich das einzudämmen, dass also nicht zu viel gemacht wird.

Aber bei uns war ja genau das Problem, dass zu wenig gemacht worden ist. Insofern ist die tatsächliche Wirkung einerseits überschaubar, aber der Imagegewinn war gewaltig. Das war genauso mit den „Weihnachts-Knöllchen“, auch eine Idee, die wir gar nicht selbst erfunden haben, bei der wir aber mit einer kleinen Sache eine große Wirkung erzielt haben.

Wenn etwas vernünftig ist und angeblich oder offensichtlich Gesetze dagegensprechen, versuchen wir trotzdem, und das eigentlich über die ganze Zeit, einen Weg zu finden, das legal umzusetzen. Und es ist ja deutlich über die Stadtgrenzen gesprungen – ganz Sachsen-Anhalt hat debattiert, so was auch einzuführen.

Das ging so weit, dass das Innenministerium sich genötigt gefühlt hat, gegen die verrückten Thalenser vorzugehen. Was am Ende auch im Sande verlaufen ist, weil sie gemerkt haben: Das ist eigentlich eine witzige Idee, lass sie doch machen.

Das ist so ein bisschen die Kunst in der Kommunalpolitik, nicht immer gleich zu sagen: Das gab es noch nie, das machen wir nicht! Sondern zu sagen, wir überschreiten auch Grenzen, um die Dinge voranzutreiben.

Wird das auch auf Kreisebene Ihr Credo sein?
Balcerowski: Das nehme ich auch ins Landratsamt mit, da werden sich eine Reihe von Leuten in ihren Denkmustern ändern müssen. Denn was ich gar nicht mag, ist, wenn man mir stundenlang erzählt, was nicht geht.

Ich möchte wissen, was geht, und sehen, dass die Kollegen ihre Fantasie walten lassen und ihre Ausbildung, um Dinge machbar zu machen – und nicht umgedreht. Das ist auch etwas, dass ich in meiner juristischen und vor allem anwaltlichen Ausbildung gelernt habe.

Herr Rechtsanwalt Arthur Garke, der mich in Quedlinburg ausgebildet hat, hat gesagt: Herr Balcerowski, wir sollen nicht Recht auslegen, wir sollen für unseren Mandanten ein Problem lösen. Wie wir das lösen, ist unserem Mandanten egal. Dafür hat er uns engagiert.

Und das ist so diese Denkweise, die ich damals auch mit ins Rathaus genommen habe, die ich sehr stark verinnerlicht habe und die ich natürlich auch mit ins Landratsamt nehme. Wer das mitmacht – und ich gehe davon aus, dass das vor allem die Jüngeren sein werden –, wird sehr viel Spaß bei der Arbeit haben, weil er Dinge bewegen kann.

Ich spüre das manchmal bei den Älteren, dass sie einen Veränderungsunwillen haben. Die werden schwierige Zeiten haben im Landratsamt, weil ich das nicht dulden werde. So wie in Thale.

Auch das Gymnasium Thale hat in diesem Jahr eine Rolle gespielt. Wie werden Sie sich als Landrat weiter für die Bildungslandschaft im Harz und besonders für dieses Gymnasium einsetzen?
Balcerowski: An der Stelle spielt die Landespolitik wieder eine Rolle. Es gibt gewisse Richtlinien, die von oben vorgegeben werden und die dadurch die Bildungslandschaft beeinflussen.

Auch an der Stelle droht Ungemach, weil die Landesregierung wieder einmal nicht den Dünnbesiedelungsfaktor berücksichtigt. Wir haben eine starke Besiedelung am Nordharzrand – Ilsenburg, Wernigerode, Blankenburg, Thale, Quedlinburg, Ballenstedt – und eine Dünnbesiedelung in Osterwieck, im Huy, im Oberharz und Harzgerode, und wenn wir nicht differenzieren können, werden wir starke Einschnitte haben in die Schulinfrastruktur.

An der Stelle werde ich wieder meine Stimme erheben, um solchen Dingen entgegenzuwirken, und dabei spielen die Erkenntnisse von Thale natürlich eine entscheidende Rolle. Hier hat die Landespolitik wieder mal total versagt, ging an den tatsächlichen Bedürfnissen vorbei.

Und definitiv wird der gymnasiale Standort Thale nicht aufgegeben. Dass der Standort Thale gefährdet ist, hängt nicht nur mit fehlenden Kindern zusammen, da hat der Landkreis Quedlinburg und später der Landkreis Harz auch nicht immer nur eine gute Rolle gespielt: fehlende Investitionen in die Schulgebäude, keine vernünftige Busanbindung nach Thale.

Da gibt es viele kleine Leute in den Ämtern, die den Standort kaputtgemacht haben. Das wird sich mit einem Landrat Balcerowski ändern. Ich werde mit einem besonderen Augenmerk auf Thale weiterhin regieren, damit solche Dinge in Zukunft nicht mehr passieren.

Wobei, wenn ich das sage, geht das nicht zu Lasten der anderen Standorte, sondern das, was wir derzeit an Bildungsinfrastruktur haben, sollte erhalten werden. Punkt.

Schmerzt es Sie, dass Sie gerade jetzt von Bord gehen und das Steuerrad der Stadt Thale, um diese Methapher weiter zu verfolgen, in so stürmischen Zeiten abgeben müssen?
Balcerowski: Wenn ich jetzt gehe, dann schwingt erhebliche Wehmut mit. Das sage ich ganz klar. Ich denke aber, die Stadt Thale ist gut aufgestellt. Wenn wir jetzt stürmische Zeiten bekommen aufgrund der Corona-Krise, so ist das deutschlandweit, weltweit.

Wir sind da nicht allein. Und wenn den Kommunen dann wieder nicht geholfen wird, wie es schon mal 2009 und 2010 mit der Bankenkrise gewesen ist...

Das sind teilweise Schulden, die wir heute noch haben, und nicht nur die Stadt Thale, sondern auch andere Kommunen. Zum Glück hat sich das geändert, aber auch nur, weil die Bundesregierung dort Druck gemacht hat. Bei der Landespolitik sehe ich nicht immer nur sinnvolle Entscheidungen.

Einerseits werden die Einbrüche der Gewerbesteuer ausgeglichen, andererseits redet über den Ausgleich der Einkommens-, Umsatzsteuer keiner, über den Ausfall der Kurtaxe redet keiner. Das wird die Stadt Thale – und alle anderen auch – schlucken müssen.

Trotzdem, glaube ich, sind wir gut aufgestellt und kommen auch durch diese Krise. Die Investitionen auf dem Hexentanzplatz laufen in vollem Gange. Auch wenn man derzeit noch keine Bagger sieht, laufen Genehmigungsverfahren für Baugenehmigungen und Ähnliches.

Eine 13-Millionen-Investition, die im Prinzip keiner mehr aufhalten wird. Auch andere Investitionen laufen: Neue Ferienwohnungen entstehen am Ende der Hubertusstraße, die Parkstraße 1 ist im Bau, beim Hotel Zehnpfund warten wir noch auf eine entscheidende Genehmigung, die Anerkennung der Kosten.

Dann geht auch das Projekt los. ElringKlinger baut derzeit die Fertigungslinie auf für Batterien von Elektroautos. Von daher sehe ich die Stadt Thale gut aufgestellt. Ich denke, dass es einem Nachfolger nicht langweilig werden wird, dass es neue Themen geben wird. Aber ich glaube nicht, dass die Stadt Thale stark zurückfallen wird, solange hier keine gravierenden Fehler gemacht werden.

Haben Sie unter Ihren möglichen Nachfolgern einen Favoriten, und falls ja, welchen und warum?
Balcerowski: Also erst mal kenne ich ja nur einen, der derzeit antreten will. Natürlich ist Maik Zedschack mein Favorit. Das sage ich nicht fahrlässig und nicht, weil er auch CDU-Mitglied ist, sondern Maik Zedschack kenne ich schon jahrelang, und Maik Zedschack war auch derjenige von den Jüngeren, die sich früh für Kommunalpolitik interessiert und engagiert haben.

Und er ist schon seit 2004 im Stadtrat und kennt diese ganzen Entscheidungen, er hat sie mitgemacht und war nicht nur Zuschauer und Bürger von draußen, sondern sozusagen mittendrin. Kennt die ganzen Prozesse.

Und er ist geborener Thalenser, das heißt, er würde die Arbeit mit sehr viel Herzblut machen. Das traue ich ihm am ehesten zu, das hier vernünftig weiterzuführen. Er hat eine vernünftige Ausbildung und kommt von außen, das ist ganz wichtig.

Ich glaube, so eine Verwaltung braucht immer auch einen neuen Anstoß von außen. Es darf hier keine Art Inzucht geben, dass man sozusagen im eigenen Saft schmort und keine neuen Einflüsse von außen kriegt. Maik Zedschack ist sehr kommunikativ und in Thale tief verwurzelt, kennt viele Leute.

Als ich mit ihm beim Seniorenverband war, kannte er da die Hälfte der Leute, seine ehemalige Lehrerin war da. Es ist wichtig, ein Ohr für die Menschen zu haben, wo denn der Schuh drückt und was man bearbeiten müsste. Da sehe ich Maik Zedschack sehr gut aufgestellt.

Wofür sind Sie jetzt, nach 19 Jahren als Bürgermeister, besonders dankbar?
Balcerowski: Besonders dankbar bin ich dafür, dass die Leute das mitgetragen haben. Es gab auch Entscheidungen, die nicht nur Applaus gefunden haben. Wenn wir an Gebühren gehen mussten, Steuern und ähnliche Sachen. Ich spüre bis heute das tiefe Vertrauen der Menschen in unsere und meine Arbeit.

Auch wenn sozusagen das Schiff mal wackelt, Corona-Krise oder andere Sachen, und wir mal Dinge entscheiden müssen, die im ersten Moment nicht alle gut finden, haben sie trotzdem Vertrauen, die Menschen, weil sie sagen: Der weiß schon, was er macht. Das ist das, wofür ich dankbar bin.

Dieses Vertrauen spüre ich auch im Stadtrat. Das habe ich auch nie in irgendeiner Form missbraucht, sondern habe es durch Erfolge wieder weitergegeben und bestätigt. Zumindest ist das mein Eindruck, ich hoffe nicht, dass ich mich da täusche.

Dadurch, dass ich vorher Stadtrat war – und das könnte jetzt auch im Kreistag wieder ein Vorteil sein –, weiß ich, wie die Abgeordneten ticken. Es ist ein Fehler eines Bürgermeisters und eines Landrates, wenn man die Abgeordneten nicht mit in den Entscheidungsprozess und in die eigenen Gedankenwelt mit einbezieht.

Warum? Wenn ein Prozess zu entscheiden ist, macht man sich vorher Gedanken, man beliest sich, man kriegt Informationen. Aufgrund der Informationen, die man sich aneignet, reift es im Kopf, so oder so zu entscheiden.

Wenn ich den Abgeordneten nicht dieselben Materialien und dieselbe Zeit gebe, um denselben Prozess im Kopf mitzumachen, brauche ich mich nicht zu wundern, wenn sie am Ende nicht mitstimmen. Das Entscheidende sind objektive, umfassende Informationen.

Dann passieren Dinge wie hier in Thale, dass die Abgeordneten überwiegend mitstimmen, weil sie sagen: Na, ist doch logisch! Das versuche ich auch mitzunehmen in das Amt des Landrates.

Die letzte Frage hat auch mit Gedankenmachen zu tun: Werden Sie auch künftig noch ab und zu zum Nachdenken auf die Bülowhöhe wandern?
Balcerowski: Das kann ich mir gut vorstellen. Wenn es schwierige Entscheidungen gibt, auf jeden Fall. Um den Kopf frei zu kriegen. Nach wie vor ist es ja in Thale schön.

Ich bleibe auch hier – viele haben mich gefragt: Gehen Sie jetzt weg? Ich sage: Nein, warum soll ich weggehen? Ich habe nur einen anderen Arbeitsort. Es bleibt alles so, wie es ist, auch in den Vereinen, in denen ich bisher bin, werde ich drinbleiben.

Ich habe auch schon überlegt, ob ein Landrat denn beim Karnevalsumzug mitmachen darf. Ich meine, es ist nicht verboten, aber ob ich dann Ärger kriege? Es gibt so Dinge, die machen mir schlichtweg Spaß hier in Thale. Die Frage ist, ob ich das aufgeben sollte.

Stand heute würde ich sagen, ich mache trotzdem mit, auch wenn ich kein Bürgermeister bin, sondern Landrat. Einfach um unter Freunden zu sein. Den Freiraum versuche ich mir weiterhin zu nehmen. Der Vorteil als Landrat ist, man sieht auch andere schöne Orte im Harz, die man vorher noch nicht so gesehen hat, weil man stärker damit zu tun hat. Es gibt viele schöne Ecken hier. (mz)