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Steigende Mieten Steigende Mieten: Müssen Hartz-IV-Empfänger bald in unsanierte Wohnungen leben

Von Max Hunger 30.10.2019, 06:56
Die Ballenstedter BAL - hier ein Häuserblock im Pestalozziring - hält 5 Euro pro Quadratmeter als Mietkosten für Hartz-IV-Empfänger für zu niedrig.
Die Ballenstedter BAL - hier ein Häuserblock im Pestalozziring - hält 5 Euro pro Quadratmeter als Mietkosten für Hartz-IV-Empfänger für zu niedrig. J. Meusel

Quedlinburg - Kommunale Wohnungsgesellschaften im Harz und ganz Sachsen-Anhalt schlagen Alarm: Sie sehen sich nicht mehr in der Lage, Wohnungen in einem angemessenen Zustand für Hartz-IV-Empfänger zur Verfügung zu stellen. Grund seien die steigenden Mieten im Land.

„Hartz-IV-Empfängern können wir meist nur unsanierte Wohnungen auf unterdurchschnittlichem Niveau anbieten“, sagt Sven Breuel, Geschäftsführer der städtischen Wohnungswirtschaftsgesellschaft Quedlinburg (Wowi). Das kommunale Unternehmen vermietet 2.850 Wohnungen in der Stadt, etwa ein Drittel an Hartz-IV-Empfänger.

Diese Wohnungen seien nicht selten seit 30 Jahren nicht saniert worden - und das, obwohl die Gesellschaft den satzungsgemäßen Auftrag zur Modernisierung hat. „Wir können uns keine Sanierung leisten. Wir haben keine andere Wahl“, sagt Breuel.

Wohnungsunternehmen aus Sachsen beschwerten sich bei der Landesregierung

Vor einigen Monaten haben laut MDR-Magazin „exakt“ acht kommunale Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften aus Ostsachsen aus diesem Grund einen „Brandbrief“ an die sächsische Landesregierung verfasst.

„Wir haben den gleichen Umstand, das Thema ist bei uns omnipräsent“, sagt Breuel. Das Problem: Die Kommunale Beschäftigungsagentur Harz (Koba) übernimmt für Hartz-IV-Empfänger nur die Kosten bis zu einem bestimmten Mietpreis pro Quadratmeter.

Dieser berücksichtige jedoch die steigenden Mieten auf dem Wohnungsmarkt nur unzureichend, so Breuel. „Der Förderbetrag liegt deutlich unter den Angebotsmieten. Die Datengrundlage zur Berechnung ist einfach nicht schlüssig“, sagt der Geschäftsführer.

Entstehen aus Wohnungen zweiter Klasse soziale Brennpunkte?

Durch die Situation gebe es Wohnungen, die nur für Leistungsempfänger in Frage kämen. Eine Art Wohnungsmarkt zweiter Klasse entstehe. In der Folge könnten sich soziale Brennpunkte in den Städten bilden, befürchtet Breuel. Er sieht nun die Koba am Zug.

Ähnlich ist die Situation in Ballenstedt. Bis etwa fünf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter werden hier gefördert. Viel zu wenig für eine sanierte Wohnung, sagt Stefanie Banse von der Stadtentwicklungsgesellschaft Ballenstedt (BAL). Häufig ballten sich diese Wohnungen in eher unbeliebten Gegenden.

Die Koba verweist darauf, dass das Verfahren zur Ermittlung angemessener Unterkunftskosten durchaus die steigenden Mieten berücksichtige. „Zudem werden von der Koba wöchentlich die einschlägigen Medien nach Wohnungsangeboten überprüft“, teilt das Jobcenter auf MZ-Anfrage mit.

Außerdem werde es im August 2020 eine weitere Anpassung der Richtwerte geben. Parallel erfolge in Anbetracht eines Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) die Überprüfung des Konzeptes zur Ermittlung angemessener Wohnkosten.

Beschäftigungsagentur Harz: Unterkunftskosten berücksichtigen die steigenden Mieten

Das BSG hatte diese Überprüfung nach zahlreichen Klagen von Betroffenen - auch aus dem Harz - angeordnet (die MZ berichtete). Ob anschließend höhere Mieten für Hartz-IV-Empfänger gezahlt würden, sei bisher aber noch nicht abschätzbar, so die Koba.

Monika Hohmann, Landtagsabgeordnete der Linken aus dem Harz, befasst sich seit Jahren mit diesem Problem. „Hätten die Menschen vernünftige Wohnungen, würden sie wohl kaum klagen“, sagt Hohmann. Sie habe Mieter erlebt, die nicht mehr geheizt hätten, um nicht wegen zu hoher Kosten aus ihrer Wohnung ziehen zu müssen. Dann sei der Schimmel gekommen. „Es ist ein Teufelskreis.“

Entsprechend hoch sei die Zahl der Widersprüche und Klagen gegen die Höhe der übernommenen Kosten der Unterkunft (KdU) im Harz - das koste viel Zeit und Geld. Die Regelung betreffe auch alte Menschen, die aufgrund ihrer geringen Rente auf Sozialhilfe angewiesen sind.

Hohmanns Vorschlag: Die Koba könnte die Gesamtangemessenheit einer Wohnung betrachtet, anstatt Heizkosten und Kaltmiete getrennt einer Richtlinie unterzuordnen. So würden häufiger sanierte Wohnungen mit einer höheren Kaltmiete gefördert werden, da diese besser gedämmt seien und somit weniger Heizkosten verursachten. „Die Stadt Dessau hat das sogar in einem Stadtratsbeschluss festgehalten. Und sie fährt gut damit“, sagt die Abgeordnete. Den Ermessensspielraum habe das Jobcenter jetzt bereits. In Einzelfällen sei das auch schon durchgesetzt worden.

Auch CDU-Landtagsabgeordneter Ulrich Thomas aus Quedlinburg hält die Klagen der Wohnungsgesellschaften für berechtigt. „Es muss eine Erhöhung der Zuschüsse geben“, sagt Thomas. Gerieten kommunale Unternehmen durch die Situation in Schieflage, zahle die Allgemeinheit dafür. „Die Gesellschaften können das nicht mehr leisten.“ Auch eine Nachvermietung sei mit abgewohnten Wohnungen schwierig.

Handeln müsse nun zunächst die Koba. Sei dann mehr Geld von Nöten, könne auch in der Politik über Zuschüsse diskutiert werden. „Aber erst, wenn Zahlen auf dem Tisch liegen.“

Wowi-Geschäftsführer Breuel plädiert dafür, die angemessenen Unterkunftskosten an den vom BSG selbst angesetzten bundesweiten Wohngeldbetrag anzugleichen. Der liegt über der aktuell geförderten Miete. „Das muss doch eine leichte Übung sein“, so Breuel.

(mz)