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Schwibbögen aus dem Harz  Schwibbögen aus dem Harz : Unbezahlbare Kunstwerke

Von Sabine Herforth 24.12.2016, 08:30
Die handgemachten Schwibbögen stehen zur Weihnachtszeit in den Fenstern von Rudi Wagners Familie. Als kleine gemütliche Werkstatt richtete der 85-Jährige sich zuletzt einen alten Hühnerstall ein. Hier wird gesägt, geschliffen und im Winter auch gemütlich geheizt.
Die handgemachten Schwibbögen stehen zur Weihnachtszeit in den Fenstern von Rudi Wagners Familie. Als kleine gemütliche Werkstatt richtete der 85-Jährige sich zuletzt einen alten Hühnerstall ein. Hier wird gesägt, geschliffen und im Winter auch gemütlich geheizt. Chris Wohlfeld

Straßberg - Zur Weihnachtszeit stehen sie überall in den Fenstern und verbreiten ein wohliges, einladendes Licht: kunstvoll gearbeitete Schwibbögen. Für viele gehören sie in dieser Jahreszeit einfach dazu - für die Familie von Rudi Wagner sind die hübschen Lichtbögen jedoch etwas ganz Besonderes.

Denn in den Fenstern seiner Kinder, Enkel und inzwischen auch Urenkel stehen nicht irgendwelche Schwibbögen. Jeder einzelne ist ein Unikat aus der Werkstatt des Straßbergers.

Seit 15 Jahren den Holzarbeiten verschrieben

Seit fast 15 Jahren fertigt er die weihnachtliche Dekoration. Schon Jahre vorher hatte er die Idee, sich in seiner Rente an eine der aufwendigen Holzarbeiten zu versuchen und sammelte Vorlagen und kleine Kataloge aus Zeitschriften. Daraus fertigte er später Schablonen auf Pappe.

„Das hat mich schon immer fasziniert“, berichtet er. Vor allem die Bögen aus dem Erzgebirge mit ihren aufwendigen Motiven hätten ihn interessiert.

Die Lust zum Hobby muss auch da sein

Von der Idee bis zum fertigen Schwibbogen vergehen Wochen oder gar Monate. In Stunden könne er die Arbeit, die in einem Bogen steckt, gar nicht ausdrücken. Denn der 85-Jährige widmete sich den Holzarbeiten nur dann, wenn er Lust dazu hatte und vergaß die Zeit dabei gern.

Nachdem er in seinem Arbeitsleben immer viel zu tun hatte, wollte Wagner mit dem Eintritt in die Rente nicht in ein Loch fallen und suchte sich schon früh Beschäftigung für die Zeit nach seinem Arbeitsleben. Die ersten Jahre verbrachte er ständig mit Bauprojekten. Treppen, Fenster und Küchen baute er. „Meine gesamten Haustüren habe ich selbst gebaut“, berichtet er.

Fast täglich in der Werkstatt

Die Schwibbögen waren dann eher das „Feierabendprogramm“, sagt seine Enkelin. Erst vor knapp fünf Jahren trat er beruflich etwas kürzer, steht aber trotz allem nahezu täglich in seiner Werkstatt.

Diese richtete er sich zuletzt in einem kleinen Hühnerstall ein, der auch im Winter gemütlich warm ist. Für einen gemütlichen Fernsehabend fehle ihm die Ruhe. Stattdessen löse er lieber Sudokus, erzählt Rudi Wagner. „Langeweile habe ich nicht gehabt“, resümiert er zufrieden.

Als er sich vor Jahren an sein erstes weihnachtliches Werk setzte, ahnte seine Familie nicht, was in seiner Werkstatt vor sich geht. „Wir haben es erst gesehen, als er fertig war“, erinnert sich Enkelin Jana Maksimcev.

Heute haben fast alle Familienmitglieder einen eigenen Bogen. Sein erster Bogen zeigt Bergleute, auf anderen sind auch Tiere, Häuschen, eine Eisenbahn und auch der Weihnachtsmann zu sehen.

Motiv von der Schablone auf die Spanplatte übertragen

Jedes Detail arbeitete er perfekt aus. „Das ist viel, viel Kleinarbeit“, weiß der gelernte Zimmermann. So beginnt die Arbeit damit, dass er das Motiv mit einer seiner Schablonen auf eine Spanplatte überträgt.

Dann geht es ans Aussägen. Vor allem die Details, beispielsweise die Fenster einer kleinen Eisenbahn fordern ihm eine Engelsgeduld ab. „Man muss jedes Mal ein Loch bohren“, erklärt er den Vorgang. Dann könne er das schmale Sägeblatt lösen, durch das Bohrloch führen, wieder befestigen und einen Teil aussägen. Bei jeder noch so kleinen Ecke wiederholt sich der Vorgang.

Der Rahmen ist mindestens genauso anspruchsvoll. Allein der Bogen besteht aus vier Einzelteilen, die zusammengeleimt werden. Dann wird ein schmaler Grat gesägt, um Kabel verschwinden zu lassen und dem Motiv Platz zu geben.

Dann folgen die Sockel für die einzelnen Kerzen, die alle einzeln eingepasst werden müssen.Und auch dann ist die „Hülle“ für das Motiv noch nicht fertig. Es folgt die untere Leiste mit den Füßen, die behobelt und gefräst werden. Alles passt er genau an, damit am Ende alle Teile perfekt ineinanderpassen und ein stimmiges Bild ergeben.

Und selbst die Kerzen fordern ihm einiges ab. Denn nur sieben oder neun werden benötigt - Lichterketten mit dieser Anzahl gibt es nicht, dennoch müsse er irgendwie auf eine Leistung von 220 Volt kommen. Also kombiniert er Lichter mit unterschiedlicher Leistung.

Trotz unzähliger filigraner Kleinarbeiten, habe er die Geduld nie verloren. „Wenn ich etwas versaut habe, dann habe ich versucht das auszubessern“, sagt Rudi Wagner. Schließlich lohne sich die viele Arbeit. „Man freut sich, wenn das Produkt am Ende fertig ist.“ Für ihn sei es ein Hobby „um meine Zeit auszufüllen“, sagt er. Verkaufen habe er die liebevoll gearbeiteten Schwibbögen nie wollen.

Noch nicht alle Stücke fertig geworden

Über die Jahre begann er an insgesamt 30 Stücken zu arbeiten. Bis heute konnten nicht alle fertig gestellt werden. Die Finger wollen bei den Kleinigkeiten nicht mehr so recht mitmachen.

Deshalb verabschiedet er sich allmählich von den feinen Holzarbeiten und hat die unfertigen Bögen an seinen Schwiegersohn Wolfgang Röder Straßberg abgegeben, der diese nun vollendet.

Auch wenn die Schwibbögen nach und nach aus seiner Werkstatt verschwinden - langweilig wird es dem Straßberger nicht. Inzwischen widmet er sich der Ahnenforschung. Zu seinem letzten großen Projekt zählt ein Pavillon vor dem Wohnhaus, der in Eigenregie entstand.

Seine Familie dankt ihm für seine wertvollen Geschenke auf ganz persönliche Weise. Denn kein einziger Schwibbogen bleibt im Winter verpackt. „Wir sind wirklich stolz sowas zu haben“, sagt seine Enkelin Jana Maksimcev und „wir freuen uns alle darüber, das ist wie ein Erbstück für uns.“

Bezahlbar seien die Lichterbögen ohnehin nicht. (mz)

Vor der Filigranarbeit kommt die Zeichnung
Vor der Filigranarbeit kommt die Zeichnung
Chris Wohlfeld
Es muss alles sauber ausgesägt werden
Es muss alles sauber ausgesägt werden
Chris Wohlfeld