Neue Bewertung für Pflegeheime Neue Bewertung für Pflegeheime: Lediglich mehr Verwaltungsaufwand?

Quedlinburg - Der neue „Pflege-Tüv“ stößt bei einigen Seniorenheimen im Harz auf Kritik. Sie beklagen einen erhöhten Verwaltungsaufwand und mangelnde Relevanz für Außenstehende. Mit dem ab Oktober gültigen neue Prüfsystem werden bundesweit alle Heime mit stationärer Langzeitpflege bewertet.
Dazu melden die Heime selbst Daten aus der eigenen Pflegedokumentation. Außerdem besuchen Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) die Einrichtungen. Eine anschließende öffentliche Bewertung soll Pflegebedürftigen, die ein Heim suchen, dabei helfen, die Qualität der Einrichtungen zu beurteilen.
Das alte System galt als intransparent und gab wenig Aufschluss über die tatsächliche Qualität der Heime. Ziel ist es, nun die eigentliche Pflege und Betreuung der Bewohner bei der Prüfung stärker in den Fokus zu stellen. Doch ist das neue Bewertungssystem dazu geeignet?
Bereichsleiter der Evangelischen Stiftung Neinstedt ist skeptisch
„Ich denke nein“, sagt Christian Franke, Bereichsleiter Seniorenhilfe der Evangelische Stiftung Neinstedt. Sie betreibt zwei Pflegeheime mit 100 Bewohnern in der Region. „Es wird vor allem bewertet, wie ordentlich das Pflegeheim seine Akten führt“, sagt Franke.
Dazu käme ein höherer bürokratischer Aufwand, neue Computerprogramme zur Erfassung von Daten sowie die Umschulung von Mitarbeitern. „Das kostet alles Zeit und Geld.“
98 sogenannte Indikatoren müssen die Heime für jeden Patienten ausfüllen. Darunter Name, Adresse, Alter, Gewicht und vieles mehr. Zweimal im Jahr werden die Daten derzeit abgefragt - doppelt so oft wie zuvor.
98 „Indikatoren” müssen Pflegeheime pro Patient ausfüllen
Das sei eine zusätzliche Belastung zum ohnehin großen Verwaltungsaufwand in den Heimen. Bis zur Hälfte der Arbeitszeit sei eine Pflegekraft mit der Dokumentation beschäftigt. „Das ist Wahnsinn.“ Die vergebene Bewertung spiele außerdem kaum große Rolle für die Einrichtungen. „Das ist nur eine Formalie“, sagt Franke.
Sein Vorschlag: Die Bewertungskriterien zusammen mit den Pflegebedürftigen und Angehörigen entwickeln. „Das jetzige System haben die Leistungsträger und -erbringer zusammen entworfen. Nicht aber die Kunden.“ Dabei gehe es ja um deren Wohl.
Den hohen Verwaltungsaufwand in der Pflege allgemein und durch den neuen „Pflege-Tüv“ beklagt auch Beate Severin, Heimleiterin im Nicolaistift in Ballenstedt. 60 Bewohner sind hier untergebracht. „Wir haben seit Jahren immer weniger Zeit für unsere eigentliche Arbeit“, sagt Severin. Daran ändere auch das neue Prüfverfahren nichts.
Auch Heimleiterin im Nicolaistift in Ballenstedt beklagt den hohen Verwaltungsaufwand
Doch sie sieht auch Vorteile am neuen System: Statt formalen Daten wie etwa dem Speiseplan würden nun mehr medizinische Aspekte dokumentiert. „Wie gut das System am Ende ist, muss die Praxis zeigen.“
Für die Verwaltung von Pflegeheimen bedeute das neue System einen höheren Aufwand, sagt auch Astrid Staudenraus, Hausleiterin im Azurit Seniorenzentrum in Quedlinburg. „Ich schätze, 100 bis 120 Stunden werden dabei draufgehen. Aber wir verteilen das auf viele Schultern“, sagt Staudenraus.
Ob das Verfahren sein Ziel erfülle, hänge jedoch von der Interpretation der Daten ab. So werde etwa dokumentiert, wie oft ein Bewohner stürzt. „Das ist noch kein Qualitätsmerkmal für ein Heim.“ Es könne über die Zeit aber abgelesen werden, was ein Heim gegen die Stürze unternehme.
So könne eine Entwicklung festgehalten werden. Dazu müssten jedoch auch immer wieder die gleichen Heimbewohner befragt werden. Da dies nur stichpunktartig geschehe, sei unklar, was aus den Daten gelesen werde.
„Die beste Methode, um sich ein Bild von einem Pflegeheim zu machen, ist, hinzufahren”
Auch Staudenraus hält die Bewertung jedoch für Pflegebedürftige oder Angehörige nicht für relevant. „Die beste Methode, um sich ein Bild von einem Heim zu machen, ist, hinzufahren; sich zehn Minuten ins Foyer zu setzen und die Menschen zu beobachten.“
Laut MDK Sachsen-Anhalt, der die Prüfdaten sammelt, ist bei einer gut geführten Pflegedokumentation kein wesentlich höherer Aufwand für die Heime zu erwarten.
„Das neue Qualitäts- und Prüfsystem ist ein gutes Instrument, um die Qualität im Pflegeprozess nachvollziehbarer und transparenter darzustellen“, sagt MDK-Sprecherin Christine Probst auf MZ-Anfrage.
Der Rückgriff auf verschiedene Quellen - die Dokumentation der Einrichtungen und die Vor-Ort-Besuche - ermöglichten es, ein umfassendes Gesamtbild der Heime zu zeichnen. „Es bleibt abzuwarten, inwieweit der Versicherte und seine Angehörigen die neue Qualitätsdarstellung nachvollziehen können“, so Probst weiter. Die ersten Bewertungen sollen im kommenden Jahr im Internet veröffentlicht werden. (mz)