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Nationalkpark Harz Nationalkpark Harz: "Die Jagd ist nicht berechenbar"

25.12.2016, 13:00
Der Jäger Olaf Gärtner beobachtet während einer Bewegungsjagd im Nationalpark Harz in Drei Annen Hohne das Gebiet vor seinem Hochsitz.
Der Jäger Olaf Gärtner beobachtet während einer Bewegungsjagd im Nationalpark Harz in Drei Annen Hohne das Gebiet vor seinem Hochsitz. Nationalpark Harz

Drei Annen Hohne - Olaf Gärtner schiebt mit dem Zeigefinger den Ärmel seiner dicken Jacke ein Stück hoch. Er schaut auf die Uhr. Gleich ist es zehn. Das Thermometer zeigt knapp null Grad, es ist diesig, aber windstill. Die Fichten tragen ein idyllisches Schneekleid.

Es herrscht Ruhe, nicht einmal ein Vogel singt. Dann zieht sich Gärtner langsam die Mütze über die Ohren und bringt sein Gewehr in Stellung. Ein kurzes Berappeln auf dem gerade einmal 30 Zentimeter schmalen Sitzbrett des Hochsitzes, dann flüstert er: „Es geht los. Jetzt werden die Hunde geschnallt. Waidmannsheil.“

Das Schnallen der Hunde ist der Start

Gärtner ist seit 26 Jahren Jäger. Das Schnallen der Hunde, also deren Loslassen von der Leine, ist der Start einer dreistündigen sogenannten Bewegungsjagd im Nationalpark Harz. Der 46-Jährige ist einer von mehr als 60 Teilnehmern, die in den frühen Morgenstunden eines trüben Spätherbsttages aus ganz Deutschland nach Drei Annen Hohne gekommen sind. Gärtners Anfahrtsweg war kurz, er wohnt in Wernigerode.

Andere sind aus Bayern, Köln oder dem Teutoburger Wald angereist. Darunter sind auch Treiber und etwa 25 laut jagende Stöberhunde - Terrier, Deutsche Wachtelhunde und Bracken. Das klar formulierte Ziel der Gesellschaftsjagd: Die Regulierung des Wildbestandes in dem länderübergreifenden Großschutzgebiet.

Jagdscheine müssen sein

Gut zwei Stunden, bevor Gärtner auf seinen zugewiesenen Hochsitz geklettert ist, hat er den Worten der Organisatoren gelauscht. In Sichtweite des Natur-Erlebnishofs „HohneHof“ sind die schmalen Wege am Morgen zugeparkt. Allrad-Fahrzeug reiht sich an Allrad-Fahrzeug, die neonfarbene Bekleidung der Jäger sticht aus der Winterlandschaft hervor.

In einem kleinen Bauwagen sitzen der Revierförster und Jäger Martin Bollmann und sein Kollege Ulrich Hesse. Sie kontrollieren die Jagdscheine der Angereisten und nehmen deren Namen auf. Bollmann ist für das Nationalparkrevier Hohne verantwortlich, Hesse für das Revier Plessenburg. Bejagt wird eine Fläche von gut 500 Hektar in beiden Revieren.

Als die Formalitäten erledigt sind, treten sie mit Sabine Bauling vor die versammelte Jägerschaft. Bauling ist selbst Jägerin und leitet im Nationalpark Harz den Fachbereich Waldentwicklung und Wildbestandsregulierung. In ihrer Begrüßung nimmt sie Bezug auf immer wieder öffentlich vorgetragene Vorwürfe, in dem knapp 25.000 Hektar großen Park in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen würde Trophäenjagd betrieben.

„Das ist absurd“, sagt die 57-Jährige sichtlich aufgewühlt. „Denn zur Trophäe wird ein Geweih erst dann, wenn es dem Erleger ausgehändigt wird.“ Das geschieht im Harz nicht. Auch gegen Kritik, es würden tierschutzwidrige Hetzjagden veranstaltet, wehrt sie sich. „Die ethischen Ansprüche bei der Jagdausübung sollten immer sehr hoch sein.“ Sie erntet Kopfnicken.

Eingriff der Jäger soll regulieren

Gejagt wird nur in dem Rahmen, den der aktuelle Nationalparkplan und der Zustand der Gesamtvegetation vorgeben. „Wir müssen regulierend in die Wildbestände eingreifen“, sagt Bauling. „Die grundsätzliche Verpflichtung, die Natur im Nationalpark Natur sein zu lassen, stößt im Fall des Wildes an Grenzen.“

Zu hoher Verbiss gefährdet die Investitionen in die Waldentwicklung und behindert den Ablauf natürlicher Prozesse, vor allem Rotwild richtet mitunter große Schäden an. Die Jagd zur Wildbestandsregulierung ist im Nationalpark Pflicht und keine Kür. Fürs Jagdmanagement gibt es ein Wildmonitoring, die Bejagung wird mit Nationalparkmitarbeitern und Privatjägern realisiert.

2.000 Setzlinge für die Waldumwandlung

Einer, der genau weiß, was nachhaltige Waldentwicklung bedeutet, ist Jörg Nedden aus Bösinghausen in Niedersachsen. Der Diplom-Forstwirt hat mit seiner Firma im Nationalpark Harz junge Buchen gepflanzt - gut 2.000 Setzlinge auf einen Hektar. „Gerade stecken wir mitten in der Waldumwandlung“, sagt der 43-Jährige, der als Treiber mit Weimaraner-Hündin Omme an der Jagd teilnimmt.

„Wir bringen die Buche zurück, denn eigentlich wären bis in diese Höhenlagen Laub- oder Laubmischwälder normal.“ Stattdessen erblickt das Auge heute meist strukturarme Fichtenforste.

Buche ist eine energiereiche Nahrungsquelle

Das Problem mit den jungen Buchen: Sie schmecken einfach zu gut. „Das ist eine energiereiche Nahrungsquelle“, sagt Nedden. So würden Bachen die jungen Bäume herauswühlen und zu einem Haufen zusammenschieben. Die Wurzeln verspeisen sie dann mit ihren Frischlingen. Rotwild verbeißt die kleinen Buchen, wenn sie größer sind. Dann wird auch die Rinde abgeschält.

Rund 800.000 Mini-Buchen haben in diesem Jahr den Nationalparkwald bereichert. Sie fallen immer wieder hungrigen Tieren zum Opfer. „Das macht eine natürliche Entwicklung der Vegetation unmöglich“, sagt Nedden. In einem Entwicklungsnationalpark wie dem im Harz ist aber genau das ein entscheidender Faktor.

Wunderbarer Blick auf drei Waldschneisen

Vor dem Ausschwärmen in das Jagdgebiet finden sich die zwölf Gruppen an beschilderten Treffpunkten zusammen. Jäger Gärtner gehört zur Gruppe drei und muss auf den sogenannten Klippensitz.

„Der Hochsitz heißt so, weil er auf einem sehr großen Felsen steht und ringsherum nur Steine sind“, sagt der gelernte Forstwirt. Von dort oben hat man einen wunderbaren Blick auf drei Waldschneisen, auf die mit Glück an diesem kalten Tag auch Wild treten wird. „Ein guter Sitz und recht komfortabel.“ Immerhin hat die Holzkonstruktion ein Dach und ist geschlossen.

Auf dem Fußmarsch zum Hochsitz entdeckt Gärtner am Wegesrand Spuren. Grund zur Euphorie? „Eine Jagd ist nicht berechenbar“, sagt er. „Und wenn gar nichts passiert, dann sage ich immer zu meiner Frau, dass ich wenigstens einen kapitalen Schwarzspecht gesehen habe.“ Gärtner lacht. „Die meiste Zeit des Lebens wartet der Jäger vergebens.“

Nach langem Warten passiert nichts

So wird es auch dieses Mal sein. Gärtner horcht, schaut und beobachtet den Wald durch zwei schmale Luken. Jagen ist warten. Als um 10.07 Uhr aus weiter Ferne der erste Schuss zu hören ist, ist der 46-Jährige noch optimistisch. „Das Wetter passt.“ Dann legt er einen Zeigefinger auf die Lippen. „Psst. Wenn die Amseln schrakeln, weiß man, dass was kommt.“ Doch es kommt nichts. Nicht einmal die Hunde sind zu hören. Um 12.30 Uhr ist alles vorbei. Jagdschluss, so will es das Protokoll.

Bei der Rückkehr der Teilnehmer auf den „HohneHof“ sieht man nur eins: Kopfschütteln. Fast alle haben auf ihren hellblauen Meldekarten ein Kreuz vor dem Feld „Ohne Anblick“ gemacht. Nichts gesehen, nur gewartet. Auch Revierförster Bollmann ist am Ende des Jagdtages nachvollziehbar schmallippig.

„Für den Aufwand, den wir betrieben haben, ist die Ausbeute sehr, sehr mager“, sagt er. Gut acht Wochen haben er und die Kollegen die Bewegungsjagd vorbereitet, unterstützt wurden sie von einem Jagd- und Forstdienstleister aus Hohenziatz bei Magdeburg. Fast 30 Hochsitze wurden eigens für die Jagd angefertigt und deren Standorte penibel ausklamüsert.

Auf das abschließende Streckelegen wird bei einem geschossenen Hirsch und einer Hirschkuh verzichtet. Nicht nur an diesem Tag, sondern im Nationalpark Harz immer. „Wir blasen ja auch nicht zum Halali“, sagt Bauling. (mz)