Dioxin aus DDR-Zeiten Nach Krebsfällen in Ilsenburg: Gutachter untersucht Boden und Wasser auf ehemaliger Kupferhütte des Mansfeld-Kombinats

Ilsenburg - Wird das Harzstädtchen Ilsenburg fast 28 Jahre nach der Schließung der ehemaligen Kupferhütte von seiner Vergangenheit eingeholt? Bei vier Mädchen aus der Kleinstadt soll im vergangenen Jahr innerhalb weniger Monate Krebs diagnostiziert worden sein, bei zwei von ihnen Leukämie.
Krebskranke Kinder und weitere mit Behinderungen
Ein Mädchen sei an den Folgen der Krankheit kürzlich gestorben. Weitere vier Kinder aus Ilsenburg sollen mit Down-Syndrom, einer Kombination aus Fehlbildungen und geistiger Behinderung, geboren worden sein.
Dass die Krankheiten in einem direktem Zusammenhang mit der bis 1990 betriebenen Kupferhütte stehen könnten - davon sind viele Einwohner überzeugt. „Diese Häufung von Krebsfällen bei Kindern kann kein Zufall sein“, sagt auch der Vorsitzende des Vereins für krebskranke Kinder Harz, Avery Kolle.
Während der Suche nach den Ursachen in Ilsenburg kam ihm der Verdacht, dass die Krebserkrankungen mit der Dioxin-Belastung des Ortes zu DDR-Zeiten zusammenhängen könnten. Er vermutet, dass die Eltern, die Krebsauslöser genetisch an ihre Kinder weiter gegeben haben könnten.
Amtsärztin wertete Statistiken aus
Doch gibt es in Ilsenburg tatsächlich überdurchschnittlich viele Krebsfälle? Das wollte Amtsärztin Heike Christiansen herausfinden. Sie fragte Statistiken des Fehlbildungs-Monitorings in Sachsen-Anhalt, beim Kinderkrebsregister in Mainz und beim Gemeinsamen Krebsregister Sachsen-Anhalt ab.
Alle Daten ergaben, dass es keine Häufung von Krebsfällen oder Fehlbildungen in Ilsenburg gibt. Weiterhin erklärte sie in einer öffentlichen Veranstaltung des Stadtelternrates, dass nicht bekannt ist, dass Dioxine überhaupt das Down-Syndrom verursachen können.
Stadtelternrat hatte besorgte Eltern eingeladen
Der Stadtelternrat hatte am Mittwoch alle besorgten Familien zu einer öffentlichen Veranstaltung in Ilsenburg eingeladen. Dort sollten Bürgermeister Denis Loeffke und Avery Kolle die Chance bekommen, sich zu den möglichen Dioxin-Belastungen in der Kleinstadt zu äußern.
„Wir waren laut diesen Statistiken bisher immer im Durchschnitt von Sachsen-Anhalt“, erklärt Christiansen. Allerdings gibt sie zu, dass die Statistiken auch ihre Schwächen hätten. „Es gibt meist nur Daten bis 2016.
Aktuellere Zahlen habe ich jetzt aber schon angefragt“, sagt sie und ergänzt, dass sie die Angst der Eltern nachvollziehen kann: „Auf der einen Seite stehen die nackten Zahlen und auf der anderen die einzelnen Schicksale der Kinder.“
Vereinschef Kolle berichtet von vielen Anrufe und Briefen
Kolle erklärt, dass er bereits im Dezember 2017 der Stadt und dem Landkreis seine Theorie geschildert hatte. Anschließend soll er Unmengen an Anrufen und Hunderte von Briefen aus der Bevölkerung bekommen haben. Darin schilderten ihm Ilsenburger und ehemalige Einwohner die Zustände durch die Kupferhütte und Krebsleiden aus DDR-Zeiten.
„Wenn mich so viele Menschen bitten, endlich aufzuklären und herauszufinden, was hier los ist, dann kann ich da nicht einfach meinen Kopf einziehen“, erklärt er seine Motivation. Er wolle keinesfalls die Stadt an den Pranger stellen, er wolle nur aufklären und Menschen die Angst davor nehmen, in Ilsenburg Kinder zu bekommen.
Bürgermeister Loeffke befürchtet eine Diffamierung von Ilsenburg
Bürgermeister Denis Loeffke (CDU) ist von Kolles Recherchen wenig begeistert. Er befürchtet, dass dessen unbelegte Vermutungen Ilsenburg zum „Gift-Ort“ diffamieren und dem Image der Stadt schaden könnten.
Loeffke erklärte weiter, dass das Gebiet der ehemaligen Kupferhütte nach der Wende von Experten saniert wurde. Und auch andere Flächen, auf denen Kitas und Schulen gebaut wurden, seien kontrolliert worden. Vergangene Untersuchungen hätten außerdem gezeigt, dass bereits kurz nach der Wende die Dioxin-Belastung stark abgenommen habe.
Leiter des Krebsregisters beruhigt die Ilsenburger
Genau wie die Amtsärztin kann Roland Stabenow, Leiter des Gemeinsamen Krebsregisters, die Ilsenburger beruhigen. „Unsere Daten deuten auf keine überdurchschnittliche Häufung von Krebs-Fällen hin. Wir können Entwarnung geben.“
Die vier Krebs-Fälle versucht er so zu erklären: „Natürlich klingt das auf ein Jahr gesehen erst einmal viel.“ Doch es sei sehr wahrscheinlich, dass - auf Sachsen-Anhalt hochgerechnet - innerhalb von zehn Jahren in einem Ort von der Größe Ilsenburgs vier Krebsfälle bei Kindern in einem Jahr auftreten.
Außerdem müsse bei diesen vier Fällen, die Kolle aufzählt, erst einmal geklärt werden, ob die Kinder wirklich alle parallel die Diagnose Krebs bekommen haben und in welchem Stadium sich die Krankheit befindet.
So könnten zum Beispiel zwei Kinder bereits 2016 erkrankt sein und die anderen beiden 2017 - dann läge man wieder im Durchschnitt. Eine Erforschung der Ursachen können seine Statistiken allerdings nicht bieten. Allein eine Einwohnerbefragung könnte Zusammenhänge zur Kupferhütte oder andere Ursachen aufdecken, sagt Stabenow weiter.
Stadt will einen Gutachter beauftragen
Eine Umfrage in der Bevölkerung ist auch die Idee von Avery Kolle. Dazu will er Ilsenburg mit einer Stadt vergleichen, die nicht durch eine ähnliche Industrie belastet ist.
Bürgermeister Loeffke spricht sich aber klar gegen eine solche Befragung aus. Wenn man das täte, so Loeffke, sei „doch klar, was am Ende herauskommt“. Schließlich sei der Harz durch die Industrie und den Bergbau vorbelastet.
Stattdessen schlägt der Bürgermeister vor, das Ergebnis eines Gutachtens abzuwarten. Zusammen mit der Landesanstalt für Altlastenfreistellung, die sich um die Sanierung des Geländes der ehemaligen Kupferhütte gekümmert hatte, und der Kreisverwaltung hat die Stadt beschlossen, einen externen Gutachter zu beauftragen.
Gutachter soll mehrere Monate Zeit bekommen
Dieser soll mögliche Belastungen in Boden, Wasser und Pflanzen überprüfen. Die Stadt verspricht, die Bevölkerung über alle neuen Erkenntnisse auf dem Laufenden zu halten. „Im besten Fall kommt es im April zu einer Vertragsunterzeichnung mit dem Gutachter“, sagte Loeffke. Dessen Arbeit soll dann drei bis vier Monate dauern.
Einigen Einwohnern ist das aber viel zu lange, sie wünschen sich schneller Gewissheit. Auch Kolle kritisiert die Dauer dieses Gutachtens. „In anderen Orten wurde in solchen Fällen viel schneller reagiert“, sagt er.
„Wenn Sie sich streiten, bringt uns das gar nichts”
Als ein Streitgespräch zwischen Kolle, Christiansen und Loeffke ausbricht, steht eine Mutter unter dem Beifall der anderen Eltern auf: „Wenn Sie drei sich streiten, bringt uns das gar nichts. Sie müssen zusammenarbeiten, damit schnell eine Ursache gefunden oder Entwarnung gegeben werden kann.“ (mz)