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"Wir sind die Sündenböcke"  Lutz Trautmann wehrt sich gegen schlechtes Bauern-Image

Von Julius Lukas 03.08.2019, 10:00
Der Anbau von Thymian ist eine Spezialität der  Agrargenossenschaft Hedersleben (Harz). In den Feldern tummeln sich zahlreiche Insekten, wie   Genossenschaftschef Lutz Trautmann erzählt.
Der Anbau von Thymian ist eine Spezialität der  Agrargenossenschaft Hedersleben (Harz). In den Feldern tummeln sich zahlreiche Insekten, wie   Genossenschaftschef Lutz Trautmann erzählt. Marco Junghans

Hedersleben - Landwirt Lutz Trautmann hat genug. Seit Jahren, sagt er, werde seine Branche für die Umweltprobleme der Erde verantwortlich gemacht. Zu Unrecht, wie der Vorstandsvorsitzende der Agrargenossenschaft Hedersleben (Harz) - ein Großbetrieb mit 4500 Hektar Feldfläche - findet.

Nachdem in der Mitteldeutschen Zeitung am 19. Juni ein Beitrag zu den verfehlten Klimazielen Sachsen-Anhalts erschien, der mit dem Foto eines Traktors bebildert war, meldete sich Trautmann bei der MZ. Er beklagte, dass die Landwirtschaft immer zum Sündenbock gemacht werde. Grund genug, sich seine Sicht der Dinge anzuhören. Deswegen hat sich MZ-Reporter Julius Lukas mit Trautmann zum Interview getroffen. Natürlich vor Ort, auf dem Gelände der Agrargenossenschaft in Hedersleben.

Herr Trautmann, der Landwirtschaft wird viel angelastet: Artensterben, Bodenbelastung, Wasserverschmutzung und der Klimawandel allgemein. Welchen Schuh ziehen Sie sich davon denn an?

Lutz Trautmann: Keinen. Wirklich keinen. Da können wir alle Punkte durchgehen.

Gut, beginnen wir mit dem Artensterben.

Das kann ich ganz einfach machen: Die landwirtschaftlich genutzte Fläche schrumpfte in den vergangenen 20 Jahren um etwa 600.000 Hektar - meist wurde sie zubetoniert für Straßen, Wohnquartiere oder Gewerbeflächen. Wenn wir also für das Artensterben verantwortlich wären, hätte in dieser Zeit die Artenvielfalt ja zunehmen müssen.

Bauer Lutz Trautmann rechtfertigt Pestizide

Aber, dass Pestizide und Insektizide die Tier- und Pflanzenwelt schädigen, können Sie kaum abstreiten.

Nehmen wir mal das Beispiel der zum Teil verbotenen Neonikotinoide. Wissen Sie, was das ist?

Nicht im Detail.

Neonikotinoide werden als Beize verwendet, die Rüben, Raps oder auch Getreide vor Insektenbefall schützt. Werden die Pflanzen zum Beispiel von Blattläusen angestochen, wirken die Neonikotinoide. Sie töten die Läuse ab. Alle anderen Tiere im Feld bleiben davon unberührt. Das Mittel ist also hochwirksam. Nun dürfen wir es nicht mehr anwenden, was dazu führt, dass wir viermal im Jahr über unsere Felder fahren und mit einem anderen Mittel einfach alles abschießen, was sich dort befindet. Das ist Irrsinn. Genauso ist es bei Glyphosat ...

... dem umstrittenen Unkrautvernichter.

Damit reinigen wir unsere Felder nach der Ernte von Pflanzenrückständen, um danach eine neue Frucht auszusäen. Würde das Mittel verboten, müssten wir das wieder mit dem Pflug machen - den haben wir vor 30 Jahren abgeschafft. Pflügen zerstört nämlich die Bodenstruktur, wertvoller Humus, der enorm viel Kohlenstoffdioxid bindet, geht so verloren.

Bei Glyphosat geht es ja vor allem um die Wirkung auf Menschen. Das Mittel gilt als potenziell krebserregend.

Wenn es das wirklich wäre, dann wäre es gerade in Deutschland doch schon lange verboten. Ist es aber nicht. Doch jeder meint, weil er Glyphosat schreiben kann, hätte er auch Ahnung davon.

Trautmann, der auch Vizepräsident des Bauernverbandes Sachsen-Anhalt ist, redet sich nun in Rage und ist kaum noch zu stoppen. Schon als Kind hat der heute 59-Jährige Rüben auf den Äckern rund um Hedersleben gehackt. Sein Leben ist eng mit der Landwirtschaft verbunden, mit dem, was auf seinen Feldern passiert.

Sachsen-Anhalt ist ein  Agrarland. Und das liegt nicht allein an den Böden in der Börde, die als beste in ganz Deutschland gelten.  Von den zwei Millionen Hektar Landesfläche werden laut Statistischem Landesamt rund 1,2 Millionen landwirtschaftlich genutzt. Das sind 60 Prozent. Bundesweit liegt der Anteil bei 51 Prozent. Hauptsächlich werden die Flächen dabei als Ackerland genutzt, gefolgt von bewirtschafteten Wiesen und Weide. Einen geringen Teil der Agrarfläche machen Baum- und Beerenobst aus. Die werden auf 1600 Hektar angepflanzt.

Das prägt seine Sicht. Er zeigt Bilder von Pflanzen, die von Blattläusen übersät sind. Kartoffeln, die die Fäulnis dahingerafft hat, und Getreide, dem Steinbrand oder Braunrost den Garaus gemacht haben. Das passiere, sagt Trautmann, wenn man nichts tut. Doch das sei freilich keine Option.

Stichwort Nitrat im Grundwasser: Da fühlen Sie sich auch zu Unrecht beschuldigt?

Da wird uns ja immer eine Überdüngung der Felder vorgeworfen - was Quatsch ist. Warum sollten wir mehr teuren Dünger auf die Felder bringen, als wir brauchen? Das wäre doch ökonomischer Unsinn. Und außerdem sind bei uns die Felder nicht stärker mit Nitrat belastet als Flächen, auf denen keine Landwirtschaft stattfindet.

Bauer Lutz Trautmann: Nitrat im Boden kommt nicht von Landwirten

Wir haben in diesem Jahr auch Proben im Hakel, einem Vogelschutzgebiet, nehmen lassen. Da gab es noch nie Landwirtschaft. Trotzdem war die Nitratbelastung - so sagt es der Laborbericht - doppelt so hoch wie auf unseren Feldern. Und das ist eigentlich auch nicht verwunderlich. Schließlich kommen Stickstoffverbindungen wie Nitrat ganz natürlich vor. Selbst unsere Luft besteht ja zum überwiegenden Teil aus Stickstoff.

Aber der Nitrat-Eintrag durch die Landwirtschaft, etwa durch Gülle aus der Schweinemast, lässt sich ja kaum abstreiten?

Natürlich entsteht bei der Schweinehaltung Gülle, die Stickstoff enthält. Aber dazu muss man eben auch sagen, dass kein Schweinestall illegal gebaut wurde. Das ist alles genehmigt. Und trotzdem sind wir Landwirte die Sündenböcke. Dabei ist doch zum Beispiel beim Nitrat eigentlich nicht die intensive Landwirtschaft verantwortlich, sondern der intensive Lebensstil der Menschen.

Auffällig ist, dass sich die Größe der durch einen Betrieb bewirtschafteten Fläche bundesweit deutlich unterscheidet. So baut ein Agrarbetrieb aus Sachsen-Anhalt  im Durchschnitt auf 270,1 Hektar Fläche an. In Bayern liegt die Durchschnittsgröße bei 34,7 Hektar. Insgesamt gibt es bei  den Betriebsgrößen ein Ost-West-Gefälle, was ein Erbe der  DDR-Zeit ist. Damals wurden Einzelbetriebe zwangsweise in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) integriert. Diese Struktur ist auch nach der Wende  erhalten geblieben.

Wollen wir in Ställen Bedingungen wie in Zoos, dann müssen wir eben drei Euro für den Liter Milch zahlen. Das will aber keiner. Deswegen ist die Massentierhaltung notwendig, um die Massenmenschenhaltung zu ermöglichen. Aber heute weiß ja niemand mehr, weswegen er satt wird. Und wie heißt es so schön: Wer Hunger hat, hat ein Problem. Wer keinen Hunger hat, hat viele Probleme.

Bauer Lutz Trautmann: Menschen zahlen nicht für Tierwohl

Der Markt zwingt die Bauern also?

Wissen Sie, was ein Bauer an einem Schwein verdient? Zwischen drei und fünf Euro. Und vom Großhandel erhalten wir pro Kilo Kartoffeln zwischen vier und zwölf Cent. Das rechnet sich nur, wenn man viel anbaut.

Aber es gibt ja Bauern, die umsteuern. Manche bauen zum Beispiel Blühweiden an, damit Insekten Nahrung finden.

Haben Sie schon einmal eine Blühweide auf dem Butterbrot gehabt? Blühweiden zum Allheilmittel zu erheben, ist die Dekadenz einer von der Landwirtschaft weit entfernten Gesellschaft. Das sind genau die Leute, die mit einem Porsche vorm Bioladen vorfahren.

Aber wären Blühweiden nicht trotzdem auch etwas für Sie?

Das brauchen wir doch gar nicht. Unsere Felder sind voll von Tieren. Da wimmelt es. Wir haben alles: Vögel, Schnecken, Insekten, Spinnen, Hamster und mehr.

An dieser Stelle ist genug geredet. Trautmann ist ein Praktiker, deswegen will er seine Felder zeigen. Wir steigen in seinen Pick-up und fahren vom Hof, vorbei an Feldern, die erst am Horizont enden. Nach einem huckeligen Weg bleiben wir auf einem Thymian-Feld stehen. Wir steigen aus, eine Hummel surrt vorbei. Libellen schwirren durch die Luft. Am Himmel: ein Milan. „Hören Sie mal“, sagt Trautmann.

Da ist Vogelzwitschern.

Das sind Feldlerchen. Vor ein paar Tagen hatten wir hier noch Tausende Distelfalter. Und immer wieder begegnen uns Bienenfresser. Das ist ein Vogel, der sich von großen Insekten ernährt. Warum sollte der sich hier ansiedeln, wenn es gar keine Insekten mehr gibt?

Bauer Lutz Trautmann: Meiste Insekten nützen dem Menschen nicht

Das Insektensterben ist für Sie also bloße Hysterie?

Das will ich nicht sagen und ich will auch nicht alle Insekten totspritzen - keinesfalls. Doch wenn meine Pflanzen voll mit Schädlingen sind, dann mache ich etwas dagegen. Und Autos, an deren Scheiben täglich Milliarden Insekten sterben, verbietet auch niemand. Die meisten Insekten nützen dem Menschen ja rein gar nichts. Nur weil wir Bienen und Schmetterlinge niedlich finden, wird das plötzlich wichtig.

Was ist denn Ihre Perspektive für die Landwirtschaft? Einfach weiter so?

Flächen, die noch nicht zubetoniert sind, sollten intensiv geschützt werden. Und Flächen, die wir in der Landwirtschaft haben, sollten intensiv genutzt werden. Und dabei dürfen auch Innovationen wie Grüne Gentechnik oder bessere Dünger kein Tabu sein.

Ertrag um jeden Preis also?

Wissen Sie, in Deutschland bräuchten wir eigentlich die doppelte landwirtschaftliche Fläche, um bei dem Veredlungsgrad, an den wir uns gewöhnt haben, alle satt zu machen. Deswegen müssen wir viele Waren importieren, für die anderswo der Urwald gerodet wird. Und trotzdem propagieren bestimmte politische Farbtöne die Butterblumenwiese. Das ist nicht nur abenteuerlich, sondern auch gefährlich. Da geht es nur um Wählerstimmen und Angstmacherei. Die Gedanken enden an der deutschen Grenze. (mz)

Der Beitrag in der MZ vom 19. Juni.
Der Beitrag in der MZ vom 19. Juni.
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