„Stopp, lassen Sie mich in Ruhe!“ Grundschüler in Harzgerode absolvieren ein Sicherheitstraining
Weniger Angst, mehr Selbstvertrauen: Die Kinder sollen lernen, Gefahren im Alltag zu meistern. Dabei geht es ganz praktisch zu.

Harzgerode/MZ - Eine Frau versucht, Greta ins Auto zu ziehen. Womit sie wohl am wenigsten rechnet: Gegenwehr. Mit einem gekonnten Griff aber wehrt die Erstklässlerin den Angriff der Fremden ab. Dann ruft die Kleine laut um Hilfe - und: „Die Frau verfolgt mich.“ Greta rennt weg, so schnell sie kann, hin zum nächsten Haus, klingelt dort Sturm.
Am Ende bekommt sie dafür eine Urkunde, wie auch ihre Mitschüler. Die Schülerin der Grundschule „Weißer Garten“ in Harzgerode hat an diesem Vormittag an einem Sicherheitstraining teilgenommen. Zwei Tage sind die Mitarbeiter des Kinder und Jugend Sicherheitsteams, kurz „KiJu“, vor Ort. Sie betreiben Prävention gegen Gewalt und Missbrauch.
Dabei vermitteln sie den Schülern, dass sie ein Recht auf körperliche Selbstbestimmung haben, erklären und zeigen, was sie in bestimmten Situationen tun, wie sie sich verteidigen, aber auch schon Warnzeichen rechtzeitig erkennen können, um gar nicht erst in eine für sie bedrohliche Situation zu kommen. So gewinnen sie nicht nur Handlungs-, sondern bekommen auch Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein.
Und so ist Greta, als sie sich von hinten dem Auto, das auf dem Schulhof steht, nähert, natürlich nicht wirklich in Gefahr, die Frau, die es auf sie abgesehen hat, keine Fremde, sondern Elli, eine Projektmitarbeiterin, und der Fluchtsprint des Mädchens endet an einer Regenrinne.
Dann ist der nächste an der Reihe, bis alle einmal dran waren. Einer nach dem anderen versucht den Griff anzuwenden, den ihnen die Leute vom Kinder und Jugend Sicherheitsteam kurz zuvor gezeigt haben. Es folgen ein paar Trockenübungen.
„Broschüren sind super. Sie bringen nur nichts. Das hier ist live.“
Andreas Heilemann, „KiJu-Regionalleiter und Sicherheitstrainer
Elli dirigiert, erinnert die Kinder an den sicheren Stand und ans „Käsebrötchen“ - die kleine Eselsbrücke hat was mit der Handhaltung zu tun. Richtig angewendet, hilft der Griff ihnen nicht nur, sich zu lösen - sie könnten einem Angreifer, der sie aus dem Auto heraus anspricht und packt, im Ernstfall so sogar den Arm brechen.
Die Übung am Auto, sie ist nur eine von vielen Übungen und Rollenspielen, die die Schüler der ersten und zweiten Klassen, aufgeteilt in mehrere Gruppen, durchgehen; die dritten und vierten Klassen sind am nächste Tag dran.
„Broschüren sind super. Sie bringen nur nichts. Das hier ist live“, sagt Andreas Heilemann, „KiJu-Regionalleiter“ und Sicherheitstrainer. Und so dringt auch ein ums andere Mal die lautstarke Aufforderung „Stopp, lassen Sie mich in Ruhe“ aus den offenen Klassenfenstern. Von der vorherigen Übung trägt Heilemann noch einen Schienbeinschoner. Die Kinder sollten einen Übergriff parieren - „gegen’s Schienbein tut immer weh.“
Normalerweise dauert ein solcher Kurs acht Zeitstunden; über vier Schultage erstreckt er sich. „Für die Nachhaltigkeit ist das auch besser“, sagt er. Der Vormittag in Harzgerode habe daher mehr den Charakter einer Kennenlernveranstaltung, denn „an dem einen Tag schaffen wir längst nicht alles“, so Heilemann. Dennoch werden verschiedene Szenarien angeschnitten. Neben Angriffen geht es unter anderem auch um die Gewalt untereinander.
Normalerweise dauert ein Kurs acht Stunden; über vier Schultage erstreckt er sich
Wie wichtig die Arbeit des „KiJu“-Teams ist, weiß auch Schulsozialarbeiterin Stephanie Seibt. Mit dem Thema Gewalt werde sie in ihrer Arbeit immer wieder konfrontiert, sagt sie, sie begegne ihr nahezu täglich. „Kinder verletzen sich untereinander, aber berichten auch darüber, wie ihnen Gewalt von Erwachsenen zugefügt wird“, erklärt die Schulsozialarbeiterin. „Projekte in dieser Form sind für jedes Kind eine große Bereicherung“, sagt sie.
Das bestätigt Heilemann: „Was wir hier machen, ist sehr wirksam“, dafür sprächen die Rückmeldungen, die er und die anderen Sicherheitstrainer bekämen. Er erinnert sich beispielsweise an die einer jungen Frau: Sie habe in der vierten Klasse einen Kurs mitgemacht und sei mit 19 in eine Situation geraten, in der sie das damals Vermittelte noch habe abrufen und anwenden können.
Sponsoren wie Trimet, Spedition Kampe und E-Service Haberkorn ermöglichten das Training
Ihm zufolge erreiche der Verein im Schnitt 8.000 Schüler jährlich - die Corona-Zeit nicht eingerechnet. Auch in Harzgerode sollte das Sicherheitstraining eigentlich schon im Jahr 2020 stattfinden. Der Verein „Bunte Hände“ hat das Team, das unter anderem auch schon in der Kindertagesstätte Regenbogenland war, an die Schule geholt.
Und neben dem Verein gab es noch eine Reihe weiterer Unterstützer, zu denen unter anderem Trimet, die Spedition Kampe und E-Service Haberkorn gehören. Denn auf 4.000 Euro belaufen sich die Kosten für das Projekt.