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Freispruch für Jägerin Freispruch für Jägerin: Das Projektil wurde nie gefunden

Von Petra Korn 05.12.2019, 11:58
Bei einer Jagd in einem Wald bei Ballenstedt ist ein 81-Jähriger versehentlich erschossen worden.
Bei einer Jagd in einem Wald bei Ballenstedt ist ein 81-Jähriger versehentlich erschossen worden. dpa

Ballenstedt - Eine 22-Jährige, die im Oktober 2017 bei einer Jagd in einem Privatwald bei Ballenstedt versehentlich einen 81-jährigen Jäger erschossen haben soll und sich jetzt wegen fahrlässiger Tötung vor dem Jugendgericht des Amtsgerichtes Quedlinburg verantworten musste, ist am Mittwoch freigesprochen worden. „Es ist nicht bewiesen, dass die Angeklagte den tödlichen Schuss abgegeben hat“, sagte Richter Theo Buß.

61 Jäger, dazu noch Dutzende Treiber und Helfer hatten an einer sogenannten Drückjagd teilgenommen. An deren Ende war der 81-Jährige aus Niedersachsen tot am Fuß des ihm zugewiesenen Hochsitzes gefunden worden. Eine Kugel hatte ihn in den Kopf getroffen. Die 22-jährige Studentin soll laut Anklage den tödlichen Schuss abgegeben haben. Sie soll einen Hirsch anvisiert, auf ihn geschossen und das Tier verfehlt haben. Das abgefeuerte Projektil soll den 200 Meter entfernt sitzenden 81-Jährigen getroffen haben.

Die 22-Jährige habe außer Acht gelassen, dass kein ausreichender „Kugelfang“ - also Erdreich eines Hanges - vorhanden gewesen sei, so die Staatsanwaltschaft. Die 22-jährige Studentin erklärte im Prozess, dreimal mit ihrem Gewehr mit Zielfernrohr geschossen zu haben - „mit sicherem Kugelfang in allen drei Fällen“.

Freispruch für Jägerin: Das Projektil wurde nicht gefunden

Das Projektil, das den 81-Jährigen tödlich verletzte, wurde nicht gefunden. Ausgehend von anderen vor Ort gefundenen Spuren ergaben Ermittlungen der Polizei, dass der Schuss aus der Richtung jenes Hochsitzes gekommen sei, auf dem sich die 22-Jährige bei der Jagd befand.

Weitere Untersuchungen zeigten, dass es - obwohl man von einem den anderen Hochstand nicht sehen kann - eine direkte Verbindung zwischen beiden gibt - eine Schussbahn, die ein Projektil hätte nehmen können. Das Gericht überzeugte sich davon bei einem Vor-Ort-Termin. Auch nach Einschätzung des Sachverständigen für Ballistik des Landeskriminalamtes ist der der 22-Jährigen unterstellte Schuss „möglich“.

„Es gibt nichts, was mir bekannt ist, was dem objektiv entgegenstehen würde“, erklärte der Sachverständige am Mittwoch vor Gericht.

Zudem hatten vier Mitglieder aus einer Treibergruppe im Prozess berichtet, dass die 22-Jährige sie auf der Suche nach dem Hirsch in jene Richtung geschickt habe, in der sich auch der Hochsitz des 81-Jährigen befand.

Freispruch für Jägerin: Zeugenaussage hat sich relativiert

Das alles sei „auf den ersten Blick geeignet, als wichtige Beweiszeichen zu gelten“, sagte Theo Buß. Doch eine bei der Polizei protokollierte Zeugenaussage, wonach die Angeklagte erklärt hätte, den Hirsch gar nicht richtig gesehen zu haben, habe sich vor Gericht relativiert: Die Zeugin schilderte, dass sie persönlich aus einem Gespräch mit der Angeklagten geschlossen habe, dass diese das Tier gar nicht richtig gesehen hätte. Blieben die Indizien, dass der Schuss von links gekommen sei, so Theo Buß weiter.

Aufgrund eines Indizienbeweises dürfe eine Verurteilung nur erfolgen, wenn andere Schlüsse aus den Indizientatsachen nicht mehr in Betracht kämen. „Das kann das Gericht hier nicht tun.“

Freispruch für Jägerin: „Die Zahl der in Frage kommenden Schützen ist im Prozess signifikant gestiegen“, sagte Theo Buß

So sei ein wesentlicher Umstand, dass das Projektil nicht gefunden wurde. Dass nur dort gesucht wurde, wo es hätte sein können, wenn der Schuss von der Angeklagten gekommen wäre, könne dieser nicht angelastet werden.

Und auch mit dem Gutachten sei - dem Auftrag entsprechend - im Wesentlichen die Möglichkeit dieser Schussbahn überprüft worden.

Ob der Schuss auch von einem anderen Stand hätte kommen können, „ist nicht mit dem nötigen Aufwand probiert worden“. Hinzu komme: „Die Zahl der in Frage kommenden Schützen ist im Prozess signifikant gestiegen“, sagte Buß und verwies auf sogenannte Abstauber - Jäger, die in Nachbarrevieren auf das aufgescheuchte Wild warten und schießen - und Treiber, die ebenfalls Waffen getragen hätten.

Dass Letztere vor Gericht etwas Falsches zu ihren Schüssen ausgesagt hätten, dafür gebe es keine Anhaltspunkte, so der Richter. Doch wenn es so wäre, könnte es nicht mehr nachgewiesen werden.

Freispruch für Jägerin: „Augenblicksversagen“ mit „fataler Folge“

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft stand hingegen fest, dass die 22-Jährige fahrlässig gehandelt und den Schuss abgegeben habe: ein „Augenblicksversagen“ mit „fataler Folge“. Ähnlich sah es der Nebenklagevertreter: Wie er sagte, sei das Interesse der Nebenklage nicht die Strafe, sondern aufzuklären, was mit dem Ehemann und Vater passiert sei.

Die 22-Jährige selbst hatte in ihrem letzten Wort der Familie des Opfers ihr Beileid ausgesprochen. Dass der 81-Jährige gestorben sei, sei an keinem Teilnehmer der Jagd spurlos vorbeigegangen. Aber „dies ist nicht meine Schuld“.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. (mz)