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„Tabubruch mit Ansage“ Entsetzen über Fackelprotest gegen Oberbürgermeister in Halberstadt

Hunderte Protestierende zogen am Montagabend vor das Wohnhaus des Halberstädter Oberbürgermeister Daniel Szarata. Landespolitiker sind entsetzt - und fordern Konsequenzen.

Von Jan Schumann Aktualisiert: 15.02.2022, 14:20
Corona-Proteste
Corona-Proteste Foto: dpa

Halberstadt/Magdeburg/MZ/DPA - Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat den Fackelprotest am Wohnhaus des Halberstädter Oberbürgermeister Daniel Szarata (CDU) am Montagabend verurteilt. „Zur Demokratie gehören auch Meinungsverschiedenheiten. Sie muss Spannungen aushalten können. Man kann gegen die Corona-Maßnahmen natürlich demonstrieren“, so Haseloff. „Aber es gibt auch rote Linien. Die gestrigen Proteste vor dem Privathaus von Oberbürgermeister Szarata stellen einen Tabubruch dar und sind aufs Schärfste zu verurteilen.“ Der Regierungschef betonte: „In unserer Gesellschaft darf es keinen Platz für Hass, Hetze und Einschüchterungen geben. Meine uneingeschränkte Solidarität gilt Oberbürgermeister Szarata und seiner Familie.“

Am Montagabend waren Gegner der Corona-Politik mit Fackeln vor das Wohnhaus Szaratas gezogen. Nach einem Bericht der „Magdeburger Volksstimme“ zündeten die Demonstranten auch Bengalos. An dem Corona-Protest in Halberstadt hatten sich Hunderte Menschen beteiligt. Laut kursierender Videos im Internet war unter anderem die „Harzrevolte“ beteiligt - nach Einschätzung des Innenministeriums Sachsen-Anhalt handelt es sich um eine rechtsextreme Gruppierung.

Polizisten hatten das Wohnhaus Szaratas gesichert. Ein Polizeisprecher konnte am Dienstagmorgen noch keine näheren Angaben zu dem Vorfall vor Ort machen. Ob der Oberbürgermeister zu dem Zeitpunkt zu Hause war, blieb zunächst offen. Laut Volksstimme kam es zu Rangeleien mit verletzten Personen.

„Das ist ein absoluter Tabubruch“, sagte der CDU-Innenpolitiker Chris Schulenburg der MZ am Dienstag. „Die Meinungsfreiheit endet da, wo Druck auf das Privatleben von Politikern ausgeübt wird. Einschüchterungen durch Menschenmassen sind nicht vom Versammlungsgesetz gedeckt.“ Der Abgeordnete forderte Konsequenzen. „Wir sehen auch in anderen Bundesländern, dass an Privathäusern Druck auf Politiker ausgeübt werden soll.“ Die lokale Versammlungsbehörde solle eine Bannmeile für „sensible Orte“ errichten - so könnten Corona-Proteste nicht mehr an Wohnhäusern von Politikern stattfinden. „Das muss dann aber auch durchgesetzt werden“, forderte Schulenburg, selbst Polizist.

Innenministerin Zieschang: „Gezielter Einschüchterungsversuch“

Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang und Harz-Landrat Thomas Balcerowski verurteilten am Dienstag den „gezielten Einschüchterungsversuch“ durch Demonstranten. Die Christdemokraten betonten in einem gemeinsamen Statement: „Einem solchen Missbrauch des Versammlungsrechts werden Versammlungsbehörden und Polizei entschieden entgegentreten.“ Kommunalpolitiker verdienten für ihr Engagement höchsten Respekt, Sicherheit und Schutz.

Weitere Landespolitiker aus Sachsen-Anhalt hatten sich noch am Abend mit Szarata solidarisiert. Der Linken-Landesvorsitzende Stefan Gebhardt nannte den Vorfall eine „widerwärtige Aktion sogenannter 'Spaziergänger' die jeden Anstand vermissen lässt“. Gebhardt hoffe, Szarata erhalte „alle notwendige Unterstützung“.

Besorgt zeigte sich Katja Pähle, SPD-Fraktionschefin im Landtag: „Die Bedrohung von Politikern aller Ebenen hat leider ein neues und erschreckendes Ausmaß erreicht“, sagte sie der MZ. „Demokratie braucht die kritische Auseinandersetzung, ohne Frage auch um die Corona Maßnahmen, aber mit dem Aufsuchen der Privatwohnungen ist definitiv eine Grenze überschritten.“ Pähle fügte hinzu: „Dass die Bewegung sich radikalisiert, obwohl wesentliche Öffnungsschritte vor der Tür stehen, zeigt auch: Für die rechtsextremistischen Querdenker ist und bleibt der Protest gegen Corona-Auflagen nur Mittel zum Zweck."

Auch der Grünen-Innenpolitiker Sebastian Striegel solidarisierte sich mit dem Halberstädter Oberbürgermeister. „Die Belagerung des Privathauses des Oberbürgermeisters von Halberstadt war ein Tabubruch mit Ansage. Seit Wochen können die durch Rechtsextreme geprägten Aufzüge von Seuchenbefürwortern in Halberstadt nahezu unbehelligt durch die Gegend ziehen.“

Grüne fordern „Kurswechsel“ im Umgang mit Demos

Laut Striegel liege der radikale Charakter dieser Gruppen unter anderem in Telegram-Gruppen offen zutage. „Daniel Szarata und seine Familie haben meine Solidarität.“ Striegel forderte einen Kurswechsel von Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang. Es brauche „konsequente Strafverfolgung und Gefahrenabwehr gegen diejenigen, die solche Bedrohungsszenarien aufbauen und orchestrieren“.

Auch in Bundesländern wie Thüringen und Sachsen waren wiederholt Privatwohnsitze von Politikern Ziel von Demonstrationen. Im Januar zogen Teilnehmer eines unangemeldeten Protests am Haus von Geras Oberbürgermeister Julian Vonarb (parteilos) vorbei. Im vergangenen Dezember hatte ein Fackelaufzug vor dem Wohnhaus der sächsischen Sozialministerin Petra Köpping (SPD) in Grimma bei Leipzig für Empörung gesorgt.