Dem Himmel so nah Dem Himmel so nah: Der höchste mobile Aussichtsturm der Welt in Wernigerode

Wernigerode - Fährt man in diesen Tagen auf Wernigerode zu, dann kann man den weißen Turm nicht übersehen. Eine hohe, schlanke Stahl-Stele, die in den Himmel über der Harz-Stadt ragt und an der sich dann plötzlich eine runde Gondel nach oben schraubt. Raumschiffgleich schwebt sie in Richtung Wolken, als würden in ihr Außerirdische nach einer Stippvisite in dem Fachwerk-Ort wieder ins Weltall fliegen. Schon von Weitem gibt der „City Skyliner“ - so heißt die Aussichtsplattform - ein spektakuläres Bild ab.
Nicht weniger eindrücklich ist der hochhaushohe Mast aus der Nähe. Von unten sieht die Gondel wie ein überdimensionierter Donut aus. 250 Tonnen wiegt der Kringel aus Metall, an dessen Fuß Skyliner-Chef Thomas Schneider gerade Plakate für die kleine Bar, die zur Attraktion gehört, aufhängt. Darauf werden „frische Brezeln“ und „leckere Germknödel“ beworben. Schneider schaut nach oben: „Mit 81 Metern ist unser Skyliner der höchste mobile Aussichtsturm der Welt“, sagt er stolz. Bis Ende Juni macht der Publikumsmagnet noch in Wernigerode Station.
Tournee durch Europa von Stockholm bis Wernigerode
Für Schneider ist der Harzort eine Etappe auf einer dauerhaften Tournee durch Europa. Zusammen mit seinem Vater und einem achtköpfigen Team ist er seit 2013 von Stadt zu Stadt unterwegs: Stockholm, Luxemburg, Düsseldorf oder Dresden. Immer im Gepäck mit dabei hat das Familienduo aus Soest (Nordrhein-Westfalen) seinen Skyliner, der auf 18 Lastwagen verladen den Kontinent erobert.
„Die Idee, mit einem mobilen Aussichtsturm durch Europa zu reisen, hatten wir in Singapur“, erzählt der 33-Jährige. 2011 war das. Während eines Urlaubs legten sie einen Zwischenstopp in dem asiatischen Stadtstaat ein. „Dort steht ein Riesenrad, das damals das größte der Welt war.“ Die beiden waren neugierig und sahen, dass vor der Attraktion eine lange Menschenschlange stand, „fast so riesig wie das Rad selbst“. Für Vater und Sohn, die eigentlich in der Gastro-Branche arbeiteten, war in diesem Moment klar: Das muss doch auch in Deutschland funktionieren, das wollen wir auch machen.
2.500 Gäste an Spitzentagen
In Wernigerode hält sich der Ansturm auf den Skyliner gerade in Grenzen - nicht verwunderlich an einem Vormittag mitten in der Woche. An Spitzentagen gehen bis zu 2 500 Himmelsstürmer mit dem Turm in die Luft. Jetzt spaziert eine Handvoll Wegemutiger in die Gondel. Darunter ist auch Carmen Winkler, die im nahe gelegenen Kloster Drübeck arbeitet. Sie hat gerade frei. „Ich sehe den Turm immer, wenn ich einkaufen fahre, und da dachte ich nun: Probiere ich das doch einfach mal aus.“
Winkler steigt in die runde Kabine, deren gewölbte Glasverkleidung den Eindruck noch verstärkt, dass man ein Ufo vor sich hat. Würden drinnen Star-Wars-Sternchen Luke Skywalker oder der rundköpfige Außerirdische E. T. neben einem Platz nehmen - die Verwunderung wäre sicher nicht groß.
Dann hebt das Raumschiff ab und dreht sich in die Höhe. Die Geschwindigkeit liegt etwas über Schneckentempo. Die Schwindelgefahr ist gleich null. Und das soll auch so sein. Denn achterbahngewöhnte Jugendliche sind nicht die Zielgruppe des Skyliners. „Wir bieten Nervenkitzel für über 50-Jährige“, sagt Thomas Schneider scherzhaft.
Warum der Plan vom eigenen Riesenrad auf Rädern platzte
Nachdem sie mit der Riesenrad-Idee aus Fernost zurückgekehrt waren, stellten Vater und Sohn 2011 schnell fest, dass ihr anfänglicher Plan eine Nummer zu groß konzipiert war. „Wir wollten nicht wie in Singapur nur in einer Stadt sein“, sagt Schneider. Doch ein mobiles Riesenrad, das noch dazu eine Höhe jenseits der 70-Meter-Marke erreicht, wäre logistisch kaum handhabbar gewesen.
„Da braucht man dann nicht nur 18 Lastwagen wie jetzt, sonder das Zwei- oder Dreifache“, sagt Schneider. Außerdem wäre die Grundfläche zum Aufbau so groß, dass es in Innenstädten kaum Stellplätze dafür gäbe. „Unser Plan war es jedoch, die Attraktion immer so zentral wie möglich aufstellen zu können.“ Der Traum vom eigenen Riesenrad auf Rädern war damit geplatzt.
Doch in der Not besann sich das Gespann auf eine andere Gattung aus dem Reich der Fahrgeschäfte: Aussichtstürme. Die seien unterschätzt, sagt Schneider. „Rauf, runter - mehr wird in den meisten Fällen nicht geboten.“
Die Familienunternehmer wollten jedoch aus den Senkrechtstartern ein Erlebnis machen - mit opulentem Panoramablick, einer professionellen Audioführung für jede Stadt und einem futuristischen Design. Sie ließen nach ihren Vorstellungen einen ersten Entwurf anfertigen und präsentierten ihn auf der internationalen Tourismusmesse ITB in Berlin. „Die Städte rannten uns den Stand ein und wollten wissen, ob wir mit dem Turm auch zu ihnen kommen können“, erzählt Schneider.
Brockenblick und Schlossaussicht
Auf 72 Metern stoppt die Gondel ihren Höhenflug und dreht sich gemächlich im Kreis. Wernigerode liegt den Insassen zu Füßen: Altstadt-Gässchen, Schmalspurbahn und vis-à-vis das herrschaftliche Schloss. In der Ferne erhebt sich zudem majestätisch der Brocken. Carmen Winkler macht ein Foto nach dem anderen. „So einen Blick hat man ja sonst nicht“, sagt sie begeistert.
Die Panorama-Fenster im Skyliner sind so gebaut, dass Hobby-Fotografen kaum mit lästigen Spiegelungen zu kämpfen haben. Selbst zu später Stunde nicht, wenn in der Gondel aus Sicherheitsgründen die Beleuchtung angeschaltet wird. Und die Legende sagt auch, dass manch Besucher durch die bauchigen Scheiben, die einen direkten Blick nach unten ermöglichen, seine Höhenangst kuriert hat.
„Das Glas ist eine Spezialanfertigung, für die wir mit Carl Zeiss zusammengearbeitet haben“, verrät Thomas Schneider. Eine Eigenkreation, so wie der gesamte Turm. Nach dem Erfolg auf der ITB hatte das Vater-Sohn-Duo einen renommierten Fahrgeschäftbauer aus den Niederlanden beauftragt, die Pläne in stählerne Realität zu verwandeln. Die Statik wurde vom Tüv in München überprüft - „dem strengsten Tüv Deutschlands“, wie Schneider sagt.
3,8 Millionen Euro teuer
Die Einzigartigkeit des Skyliners hatte jedoch auch ihren Preis. 3,8 Millionen Euro mussten sich Schneider junior und senior bei der Bank leihen. Ihr Businessplan sieht vor, dass der Kredit nach zehn Jahren abgezahlt ist. „Wir sind jetzt im sechsten Jahr und noch immer froh, dass wir uns damals in dieses Abenteuer getraut haben“, sagt Thomas Schneider. „Und wenn es sich nicht mehr lohnen würde, würden wir es nicht mehr machen.“
Für Carmen Winkler ist das Abenteuer Skyliner nach etwa zehn Minuten beendet. Die Gondel hat sich zum Boden zurückgewunden. Beseelt von ihren Eindrücken schlendert sie aus dem Riesen-Donut. „Man vergisst im Alltag manchmal, wie schön Wernigerode ist und wie wundervoll die Umgebung“, sagt Winkler. Am Wochenende komme ihr Sohn sie besuchen. „Mit dem mache ich dann gleich noch eine Fahrt.“
Der höchste mobile Aussichtsturm der Welt
Der City Skyliner ist ein sogenannter Gyro-Tower. Dabei handelt es sich um ein Fahrgeschäft, bei dem sich eine geschlossene Kabine einen Turm hinaufwindet. Wie das Riesenrad gelten diese Attraktionen aus dem Jahrmarkt- und Freizeitpark-Bereich als langsame Fahrgeschäfte. Der derzeit höchste Turm dieser Art steht im britischen Brighton. Er hat eine Gesamthöhe von 173 Metern, wobei die Gondel auf 138 Metern stoppt. Allerdings handelt es sich um eine fest installierte Anlage. Der City Skyliner, der 2012 von Thomas Schneider und seinem Vater in Auftrag gegeben wurde, ist mobil einsetzbar. Mit 81 Metern Gesamt- und 72 Metern Aussichtshöhe ist er weltweit der höchste nicht ortsgebundene Turm.
Für Auf- und Abbau des Skyliners braucht das Team von Thomas Schneider drei bis vier Tage. Die Einzelteile des Aussichtsturms werden auf 18 Lastwagen verteilt. Fünf davon sind Spezialtransporte, weil die von ihnen beförderten Teile bis zu 22 Meter lang und bis zu 50 Tonnen schwer sind. Vor Ort werden die Komponenten mit einem Schwerlastkran wieder zusammengesetzt. Der Turm ruht dabei auf mehreren Standfüßen, die sein Gewicht (etwa 250 Tonnen) optimal verteilen. Der Skyliner ist so konzipiert, dass er auch bei Windgeschwindigkeiten von bis zu 70 Kilometern pro Stunde betrieben werden kann. So stand er 2016 zum Beispiel am Timmendorfer Strand (Schleswig-Holstein), direkt an der Ostsee.
Um ihren Aussichtsturm aufstellen zu dürfen, zahlen die Schneiders der jeweiligen Stadt eine Pacht. Meist sind sie mehrere Wochen an einem Ort. In Wernigerode stehen sie auf dem Parkplatz Anger, dort, wo auch viele Touristen ihre Fahrzeuge abstellen. In die runde, beheizte Kabine passen bis zu 60 Personen. Der Zugang ist barrierefrei möglich. Eine Fahrt dauert etwa zehn Minuten und wird von einer Audio-Stadtführung begleitet. Der Eintritt kostet für Erwachsene sieben und für Kinder fünf Euro. Bis zum 23. Juni steht der Skyliner noch in Wernigerode und hat täglich von 10 bis 20.30 Uhr, an manchen Tagen auch bis 23 Uhr geöffnet.
Mehr Informationen zum Skyliner unter: www.cityskyliner.com
