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Aufstand in der Quarantäne Aufstand in der Zast in der Quarantäne: Flüchtlinge in der Zast klagen über Hygienemängel

Von Jan Schumann 05.04.2020, 17:15
Ein Polizeiauto steht vor der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Sachsen-Anhalt (Archivbild).
Ein Polizeiauto steht vor der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Sachsen-Anhalt (Archivbild). picture alliance/dpa

Halberstadt - Über Nacht wurden die Zäune aufgebaut, plötzlich galt auf dem Gelände der Zentralen Flüchtlingsunterkunft in Halberstadt: Quarantäne wegen Corona-Gefahr. Die Behörden hatten binnen Stunden gehandelt. Keiner dufte mehr rein, keiner raus. Denn ein früherer Bewohner aus Kamerun war positiv auf das neuartige Virus getestet worden - weitere Infektionen in der Einrichtung konnten nicht ausgeschlossen werden.

Seit mehr als einer Woche leben die rund 900 Bewohner der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (Zast) im Harz mittlerweile im Ausnahmezustand. Am Samstag kam es nun zu Tumulten auf dem Gelände - offenbar ausgelöst durch die schwierigen Bedingungen in der Unterkunft.

Zusammenstöße zwischen Asylbewerbern und Security in der Zast

Dabei kam es zu Zusammenstößen zwischen Asylbewerbern und Sicherheitspersonal. Laut Polizei stießen etwa 50 Bewohner Absperrzäune auf dem Zast-Gelände um, es folgten Auseinandersetzungen. Die Polizei prüft mehrere Strafanzeigen gegen Sicherheitsmitarbeiter und Asylbewerber.

An den Auseinandersetzungen am Samstag sei auch eine schwangere Zast-Bewohnerin beteiligt gewesen, bestätigt die Polizei. „Sie wurde vorsorglich medizinisch untersucht“ und über Nacht in ein Krankenhaus gebracht. Laut Polizei wurden aber weder die Frau noch andere Personen am Samstag verletzt.

Ein großes Aufgebot alarmierter Beamter unterband zunächst weitere Konflikte. Allerdings war es nach MZ-Recherchen bereits in den Tagen zuvor zu vereinzelten Unruhen in der Unterkunft gekommen. Eine Polizeisprecherin erklärte am Sonntag, eine „angemessene Anzahl“ von Beamten werde die Lage in den kommenden Tagen weiter absichern.

Wie lange dauert Quarantäne in der Zast noch an?

Unklar war am Sonntag, wie lange die Quarantäne in der Zast noch anhalten wird. Infolge des ersten Corona-Falles waren flächendeckende Tests veranlasst worden. Bei 24 Bewohner wurden bisher Erkrankungen nachgewiesen, sie wurden nach Quedlinburg verlegt. Bis Sonntagabend sollten Testergebnisse für alle rund 900 Bewohner vorliegen.

Indes kritisierten Migrantenverbände die bisherige Quarantäne-Situation in der Zentralunterkunft. „Der Hauptkritikpunkt ist die fehlende Kommunikation“, sagte Mamad Mohamad, Chef des Landesnetzwerks für Migrantenorganisationen (Lamsa). „Es gab bisher zu viele unbeantwortete Fragen unter den Bewohnern: Wie lange dauert die Quarantäne? Wie kann ich mich trotzdem versorgen? Wie kann ich mich und meine Familie in der Zast vor dem Virus schützen?“ Noch am Tag der Tumulte fuhr Mohamad nach Halberstadt und besprach die Probleme mit Zast-Leitung, Bewohnern und Sprachmittlern.

Angst vor Corona: Flüchtlinge kritisieren fehlende Informationen

„Es braucht eine tägliche Absprache, um alle Bewohner auf den neuen Stand zu bringen“, fordert der Lamsa-Chef nun. Solange die Quarantäne in den Zast-Wohnblocks herrsche, könne etwa das Technische Hilfswerk täglich Durchsagen per Megafone machen, zu festen Zeiten. Auch Sachsen-Anhalts Integrationsbeauftragte Susi Möbbeck (SPD) sagte der MZ: „Offensichtlich war es bisher so, dass viele Informationen nicht bei den Bewohnern angekommen sind. Das sorgt für Unsicherheit. Das Wichtigste ist jetzt, dass sie regelmäßig und umfassend informiert werden.“

Ein großer Konfliktpunkt: die Hygiene in der Zast. „Offenbar gab es zu Beginn der Quarantäne Engpässe bei den Hygieneartikeln für die Bewohner“, so Möbbeck. Sie seien mittlerweile abgestellt. Zudem gibt es ab sofort eine neue Regelung für die Sanitäranlagen, die nun mehrmals täglich gereinigt und desinfiziert werden müssen - und damit häufiger als bisher. Waschräume werden von mehreren Bewohnern genutzt.

Integrationsbrauftragte will Zeit in der Zast minimieren

Zudem hat das Gesundheitsministerium Hunderte Schutzmasken für die Einrichtung ausgeliefert. Sie sollen an Mitarbeiter, Übersetzer und Bewohner verteilt werden. „Wir sollten jetzt grundsätzliche Konsequenzen für die Erstaufnahme von Geflüchteten ziehen“, mahnt Möbbeck. „Man muss sie kleiner auslegen, die Aufenthaltszeit verkürzen.“ Die Corona-Pandemie zeige die Risiken großer Zentralunterkünfte auf. „Die dezentrale Unterbringungen ist in jeden Fall die bessere Lösung“, so Möbbeck.

Das forderte auch Grünen-Landeschef Sebastian Striegel, der die Situation in der Zast als „prekär“ bezeichnete. „Wir brauchen eine andere Perspektive. Es ist eine Frage der Statistik, dass es neue Infektionen gibt.“ Es brauche wenigstens eine „dezentralere“ Unterbringung als bisher. „Wir haben Objekte im Land, die in Frage kommen“, etwa leerstehende Jugendherbergen und Hotels.

Mehrere Linken-Abgeordnete forderten Landesinnenminister Holger Stahlknecht (CDU) bereits per Brief auf, jetzt auf dezentrale Unterbringung umzustellen. In der „Massen-Unterbringung“ sei ausreichender Gesundheitsschutz nicht möglich. (mz)

Polizisten stehen vor der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Sachsen-Anhalt (Archivbild).
Polizisten stehen vor der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber des Landes Sachsen-Anhalt (Archivbild).
ZB