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Arthur Grimm - auf den Spuren eines NS-Fotografen Arthur Grimm - auf den Spuren eines NS-Fotografen: Der Kriegsgerüchterstatter

Von Wolfgang Schilling 07.03.2021, 13:56
Arthur Grimm auf einem Bild aus dem Jahr 1942. Es ist im finnischen Militärmuseum zu sehen.
Arthur Grimm auf einem Bild aus dem Jahr 1942. Es ist im finnischen Militärmuseum zu sehen. O. Pietinen, valokuvaaja/Military Museum

Wernigerode - rthur Grimm  war ein Fotograf - ein guter, nein, ein sehr guter, der sein Handwerk mit außergewöhnlicher Kunstfertigkeit verstand. Vielen Wernigerödern wird Arthur Grimm nicht bekannt sein, lebte er doch nur wenige Jahre in der Stadt.

„Halb Wernigerode ließ sich von ihm ablichten“

Zwischen 1945 und etwa 1949 betrieb er ein Fotogeschäft  am Markt. „Halb Wernigerode ließ sich von ihm ablichten“, sagt die Buchhändlerin Herrat Schulze. Sie kann sich noch lebhaft an den kleinen, gebückten und wendigen Mann erinnern, der freundlich und gekonnt die Personen in Szene setzte. „Er fotografierte wunderbar“ und auch viel für das Wernigeröder Theater, zumal seine Frau Helga Schauspielerin am Theater war, erzählt Schulze.

Dass er dort auch als Bühnenbildner engagiert war, erfährt man aus Programmheften zum Faust und anderen 1947 aufgeführten Stücken. Der später bekannt gewordene Fotograf Horst Lang begann 1945 bei Grimm seine Ausbildung als Fotolaborant.

Einen Buchstaben aus dem Namen verloren

Auf der Flucht aus dem umkämpften Berlin in den Harz nach Wernigerode verlor Grimm 1945 übrigens das h aus seinem Vornamen und wurde zu  „Artur“. Erstaunlicherweise fand er den Buchstaben bei der Rückübersiedlung nach Westberlin später wieder!

Sein Intermezzo in Wernigerode als „Artur Grimm“  diente bestimmt dem Verwischen von Spuren. Arthur Grimm hatte einige Gründe, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges unterzutauchen. Denn dieser unscheinbare Mann war in den zwölf Jahren vorher einer der einflussreichsten NS-Propagandafotografen.

Schon 1933 trat er in die NSDAP ein. Grimm fotografierte nicht nur, er inszenierte seine Bilder derart penibel, dass er zum „Sonderführer“ einer Propagandakompanie (PK) für die NS-Zeitschrift „Signal“ wurde  und auch für die „Berliner Illustri(e)rte Zeitung“ arbeitete.  Diesen Sonderkompanien, die es nur in der deutschen Wehrmacht sowie der SS gab, kam eine Schlüsselrolle bei der Indoktrinierung der Wehrmacht und der Bevölkerung im In- und Ausland zu. Sie waren ein Mittel, das den NS-Staat in die Lage versetzte, in der rassenideologischen und systemtreuen Berichterstattung allen Gegnern seiner Zeit voraus zu sein.

Die Filmkamera als Waffe

Joseph Goebbels rühmte diesen neuen Typ Militärkorrespondent: „Er ist kein Berichterstatter im herkömmlichen Sinne, sondern ein Soldat. Neben Pistole und Handgranate führt er noch andere Waffen mit sich: Die Filmkamera, die Leica, den Zeichenstift oder den Schreibblock.“  

Es sind aus den Propagandakompanien 1,7 Millionen Fotos verfügbar, die oft für die Rezeption der NS-Zeit im Nachkriegsdeutschland verwendet worden sind und damit in Ästhetik und Bildsprache weiterwirken können - und so nicht unmaßgeblich unser heutiges Bild der Nazizeit geprägt haben.
Grimm stellte sein hohes handwerkliches Wissen mit emotionalen Bildern geschickt  in den Dienst der braunen Machthaber.

Seine Themen sind breit gefächert und spiegeln seinen omnipräsenten Einsatz für den NS-Staat wieder. Selbstverständlich ist er bei den Eroberungsfeldzügen in Frankreich, Polen und der Sowjetunion sowie auf dem Balkan an vorderster Front dabei, übermittelte Bilder, die dem Betrachter an der Heimatfront die große Überlegenheit der deutschen Wehrmacht, ihre Unbesiegbarkeit und die Unterlegenheit jedweden Feindes klarmachten.

Motto: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“

Getreu dem Motto „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ zeigt er deutsche Panzer an einem Wegeschild 100 Kilometer vor Moskau, fotografiert die Jungmannen der Potsdamer Napola beim Boxen oder in der Waffenkammer; hingegen freuen sich polnische „Ostarbeiter“ angeblich auf Deutschland, werden beim Duschen und beim Friseur gezeigt.

Seine akribischen Bildtexte vernachlässigen allerdings, dass viele von ihnen als Zwangsarbeiter deportiert wurden. Wie sie leben mussten, davon vermittelt unter anderem die Mahn- und Gedenkstätte am Veckenstedter Weg in Wernigerode ein realistisches Bild.

Rassismus ungestraft ausgetobt

1939 begleitet Grimm Goebbels bei einem Besuch in Warschau als Fotograf. So zeigen Fotos einer gestellten Serie, wie vorgeblich „nach versteckten Waffen“ im Warschauer Ghetto gesucht wird. Der Anlass, warum deshalb einem Delinquenten mit hämischem Lächeln der lange Bart abgeschnitten wird, bleibt nicht verborgen: Rassismus, den man ungestraft an „Untermenschen“ austoben durfte.

Ein Bild zeigt jüdische Ärzte vor einem Krankenhaus im Krakauer Ghetto, fröhlich scherzend. Wer sich mit den realen Lebensverhältnissen in diesen hermetisch abgesperrten Ortsteilen in eroberten Ostgebieten beschäftigt hat, weiß, dass die Lebenswirklichkeit der drangsalierten Menschen eine gänzlich andere war.

Viele Fotos zeigen russische Soldaten in endlosen Kolonnen oder Kriegsgefangenenlagern. Eins aus der Ukraine  suggeriert deren Entlassung daraus. Wohin? Aus der historischen Forschung sind diese „Entlassungen“ zu folgenden Zwecken bekannt: Zwangsarbeit im zivilen oder militärischen Bereich, Überstellung zur Gestapo oder Einordnung in deutsche Kampfverbände.

Erhängte Partisanen finden sich ebenso unter den Fotodokumenten wie die sich hart „durchbeißenden“ deutschen Landser an der Ostfront. Das Verhör eines russischen Kommissars  durch deutsche Feldpolizei suggeriert die vermeintlich humane Behandlung. Der Kommissarbefehl auf Geheiß Hitlers  legte allerdings fest, dass diese Menschen nicht als Kriegsgefangene zu behandeln, sondern zu erschießen sind.

Fotos sollten glaubhaft erscheinen

Unter Fotografen ging der Terminus des „Kriegsgerüchterstatters“ als Bezeichnung für die PK-Fotografen um. Glaubt man diesen Fotos, schien der „Endsieg“ nahe. Psychologisch sehr geschickt, werden antipolnische und antijüdische Ressentiments in Bildbotschaften verpackt transportiert.

Grimm fotografiert überall: Hitler bei einer Rede zum „Tag der Arbeit“ 1934 in Berlin auf dem Tempelhofer Feld oder zum zentralen Reichserntedankfest auf dem Bückeberg. Die BDM-„Führerinnenschule“ auf der Neuenburg/Freyburg beim Morgenappell mit dem deutschen Gruß, die Erholungsstätte der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt für Mütter und Kinder im Berliner Schloss Bellevue 1936 (heute Bundeskanzleramt), daneben Künstler wie Käthe Kollwitz (1940), Schauspieler Gustaf Gründgens, Adele Sandrock, Sportler wie Max Schmeling, das Atelier des NS-Vorzeigekünstlers Arno Breker, aber auch die Ausstellung für „Entartete Kunst“ in München 1937.

Ein geistiger Brandstifter

Ein Konzert zu Tschaikowskis 100. Geburtstag in einem Café in Warschau am 6. Mai 1940 sollte wohl Normalität nach der Besetzung Polens vermitteln.  Und immer wieder sind Ordnungsübungen für den Gleichschritt im System zu sehen: marschierende HJ, Strammstehen zum Appell, Fahnenträger. Grimm gehörte mit solchen Fotografien zu den geistigen Brandstiftern des Dritten Reiches, indem er wider besseres Wissen zu Propagandazwecken die Öffentlichkeit belog.

Das war sein Auftrag, den er mit deutscher Gründlichkeit ausführte. Seine letzten Fotos vor dem Kriegsende zeigen Zeichen der Auflösung in Berlin. Dann reißt der nicht enden wollende Propagandarummel urplötzlich ab. Grimm muss abtauchen.

Drittes leben in Westberlin

Mit der sich abzeichnen Staatsgründung der DDR wird es Grimm in Wernigerode zu unsicher. Er geht Ende der 1940er Jahre nach Westberlin und beginnt sein drittes Leben. 

Schnell steigt er auf und ist in seiner letzten Blütezeit der Mann, der all die Schlagerstars und -sternchen ins Bild setzt. Ob Heino, Rex Gildo, Drafi Deutscher, Michael Holm oder Dieter-Thomas Heck: Grimm lichtet sie alle hervorragend ab.  So wird er gern gesehener Dauergast in der „ZDF-Hitparade“. Es gibt kaum einen Schauspieler oder Künstler, der nicht vor Grimms Linse steht: Hans Moser (1954), Zarah Leander (1937 und 1970), Harald Juhnke, Peter Kraus, Romy Schneider (1953), Katja Ebstein, Wim Thoelke, Heinz Rühmann im Film „Der brave Soldat Schwejk“, Roland Kaiser (1955). 

Bis 1984 setzt sich  seine Karriere fort, auch als Drehbuchautor, dann zieht sich Arthur Grimm als 76-Jähriger zurück, lebt später in Hamburg, wo sich seine Spuren im Jahr  1990 verlieren. Am 28. Juni 2000 stirbt er dort.

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Professionelle Bilder

Auf Arthur Grimm   wurde der Autor bereits bei Nachforschungen zum Buch „Grube Büchenberg“ aufmerksam. Aus dem riesigen Konvolut von zusammengetragenen Bildern stachen einige hervor, die sich in Abbildungsqualität, Blickwinkel und Professionalität deutlich von der Dutzendware der „Privatknipser“ abhoben. Zum Buchprojekt „Grube Einheit“ kam eine Serie professioneller Fotos von Grimm zur Auswahl.

Ihm gelang es, auch in untertägigen Grubenbauen um das Jahr 1947 hervorragende Aufnahmen zu fertigen. Seine Bildsprache zeigt den muskulösen, produktiv tätigen Bergmann, den Prototypen des Aktivisten, der auch genauso einige Jahre vorher in den physisch dominierten Bildern einer Leni Riefenstahl vorkam.  

Hans Puhl, ein ehemaliger Kumpel der Grube Einheit, hatte diese Fotos letztlich vor der Müllkippe bewahrt. Jahrelang hingen sie an einer Wandzeitung, Auftragsarbeiten wohl.

Von Dieter Mucke kamen ähnlich brillante Aufnahmen der Gruben-Seilbahn Büchenberg - Minsleben, die in die 1940er Jahre datiert werden konnten. Eine Autorenangabe – Fehlanzeige. Auch hier darf Grimm als Urheber vermutet werden. Durch eine unterschiedliche Schreibung des Vornamens - auf der Flucht aus Berlin in den Harz nach Wernigerode verlor Arthur Grimm 1945 das h aus seinem Vornamen und wurde zu  Artur, später kam das h zurück -  gab es erst nach den Buchveröffentlichungen Fortschritte bei der Recherche. Auf einem Bild hatte Grimm mit „Foto-Grimm Wernigerode“ signiert.
(mz)