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Zwangskollektivierung in der DDR DDR: Ernst Pecher kämpft für Opfer von SED-Unrecht

Von Henrik Klemm 24.04.2017, 13:00
Ernst Pecher möchte das Ackerland zurück, das seine Eltern unter Zwang an den Staat verkaufen mussten.
Ernst Pecher möchte das Ackerland zurück, das seine Eltern unter Zwang an den Staat verkaufen mussten. Heiko Rebsch

Lennewitz - Es gibt diesen kurzen Moment im Gespräch, da wird Ernst Pechers Stimme brüchig. Er habe 1990 nur wenig Zeit gehabt, erinnert er sich. Schließlich war er gerade Bürgermeister von Zehbitz geworden, da stand Privates hinten an, ging es für ihn zuallererst um die Angelegenheiten der Gemeinschaft.

Seine Eltern aber, die hätten damals Hilfe gebraucht. Seine Hilfe. Heute, so scheint es, würde der 68-Jährige die Prioritäten anders setzen. Ernst und Lydia Pecher, beide inzwischen verstorben, ging es vor 27 Jahren um ihr Ackerland.

Zwangskollektivierung zu DDR-Zeiten

„Über sieben Hektar, die sie zu DDR-Zeiten unter Zwang verkaufen mussten, wollten sie zurück“, erzählt der Sohn, wieder mit fester Stimme. Der Versuch scheitert, sie unterliegen vor Gericht. Doch Pecher will sich damit nicht zufriedengeben und hat, „das Vermächtnis seiner Eltern wieder aufgenommen“, wie er sagt.

In den 1950er Jahren betreiben die Pechers Landwirtschaft rund um Lennewitz. Wie viele andere auch, halten sie ihre Familie mit einem Kleinbetrieb über Wasser. 20 Hektar bewirtschaften sie, darunter zwölf Hektar eigenes Land, der Rest gepachtet. Mit dem Ende der 1950er Jahre kommt die Zwangskollektivierung in die DDR.

Landwirtschaft rund um Lennewitz

Zu Pechers kommen indes mehrere Leute. „Polizei, Rat des Kreises, ich konnte das als Neunjähriger nicht einschätzen“, erinnert sich Pecher vage. Was sie fordern, bekommt er indes schon mit, spielt später in den Erzählungen der Eltern immer wieder eine Rolle: Ackerland. Die Pechers wollen und können nicht verzichten, jeden Hektar brauchen sie für ihren kleinen Betrieb.

Auf die Fläche, die ihr Eigentum ist und die sie abtreten sollen, komme eine NVA-Radarstation, erzählen die Männer und fragen, ob die Lennewitzer sich der Sicherung des Friedens verweigern wollen. Sie fragen, ob es nicht an anderer Stelle Land für diesen Zweck gibt oder ob sie vielleicht eine Ersatzfläche in gleicher Größe und Wertigkeit erhalten könnten.

NVA-Radarstation sollte auf dem Land gebaut werden

Antworten bekommen sie nicht. Es gehe um die Interessen des Staates, da seien keine Erklärungen nötig, heißt es lapidar. Der Verkauf scheitert. Vorerst. Doch die Gefahr ist längst noch nicht abgewendet, wie die Kleinbauern bald zu spüren bekommen.

Eines Tages, der Wetterbericht warnt vor starken Regenfällen, da holen die Pechers drei Wagen Weizen vom Feld. Unterm Schleppdach am Haus sollen sie am nächsten Tag gedroschen werden. Sicher ist sicher.

Die Familie geht nach einem harten Arbeitstag zu Bett. Gegen Mitternacht muss es gewesen sein, als Lärm die Familie aufweckt, die Hoftür eingeschlagen wird. Alle werden aus dem Bett geholt. Die Eltern halten der Volkswirtschaft Brotgetreide vor, behaupten die staatlichen Eindringlinge.

Sie sollten sofort die Dreschmaschine anwerfen und bis 8 Uhr morgens das Getreide an der Station Weißandt-Gölzau abliefern. Zu zweit eine Aufgabe, die nicht zu bewältigen ist. Und so kommen noch ein paar Leute aus dem Dorf hinzu und packen mit an. Letztlich schaffen sie es, der Termin wird gehalten.

Verkauf oder sofortige Inhaftierung

Den Vertretern der Staatsmacht gefällt das gar nicht. Nur kurze Zeit später sind sie wieder auf dem Hof und haben zwei Schreiben mitgebracht. Das erste hat den freiwilligen Verkauf der sieben Hektar zum Inhalt. Das zweite ist ein Haftbefehl, der die sofortige Inhaftierung vorsieht. Pechers sind ängstlich und unterschreiben, verkaufen zu einem „staatlich vorgegebenen niedrigen Preis“.

Einer nimmt den Haftbefehl, zerreißt ihn und sagt: „Sie sehen, wir können auch anders.“ Die Pechers fügen sich und treten später in die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft ein, die Radarstation auf ihrem Land wird gebaut ...

Keine Entschädigung nach Ende der DDR

Jahrzehnte später verschwindet die DDR von der Landkarte und Pechers hoffen, dass ihnen nun Gerechtigkeit widerfährt, sie ihr Land zurückbekommen oder entschädigt werden. Das klappt nicht. Der Widerspruch gegen das Gerichtsurteil wird ebenfalls zurückgewiesen, auch die dagegen gerichtete Klage.

Ernst Pecher, Christdemokrat und zu DDR-Zeiten bei Orbitaplast in der Folienforschung tätig, dann Bürgermeister der Gemeinde Zehbitz und schließlich bis zur Pensionierung 2011 im Kultusministerium beschäftigt, will jedoch nicht aufgeben.

NVA-Objekt wurde 1993 liquidiert

Zumal das NVA-Objekt 1993 liquidiert wird. In den Besitz der Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft übergegangen, kommt es zum Verkauf. Pecher beteiligt sich, unterliegt aber bei der Ausschreibung. Zahllose Anfragen verschickt er, angefangen beim Amt für offene Vermögensfragen bis hin zur Bundeskanzlerin.

Doch nirgendwo hat er Erfolg. Der Petitionsausschuss des Landtages formuliert Mitte 2015: „Es ist sehr bedauerlich, dass Sie sich zu Unrecht behandelt fühlen. Aber die gegebene Rechts- und Sachlage begründet fachlich und rechtlich keine weitere Unterstützungsmöglichkeit“.

Sein Parteifreund und Bundestagsmitglied Kees de Vries schreibt 2016: „Es gilt auch in diesem Bereich die Feststellung, dass die Folgen von 40 Jahren Diktatur bedauernswerterweise nicht vollständig heilbar sind.“

Engagement auch für andere Opfer

Pecher kommt in seinem Fall nicht weiter. Nirgendwo findet er wirklich Gehör. Auch nicht mit seinem Vorschlag, dass die Bundesrepublik Ackerland ohne finanzielle Forderungen an Sachsen-Anhalt geben könnte, damit dort Betroffene entschädigt werden, wie es nach seinen Angaben in Niedersachsen und Brandenburg bereits praktiziert wird.

Selbst sein Engagement beim bundesweit agierenden Verein „Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum“, dort ist er Landessprecher, konnte nicht helfen. Ihm und auch vielen anderen nicht. Doch er will nicht aufgeben, weil er die Enteignung seiner Familie nur als Beispiel für bislang unaufgearbeitetes Unrecht sieht.

„Unrecht hat kein Verfallsdatum“

„Unrecht hat kein Verfallsdatum“, sagt er und fordert, dass in Sachsen-Anhalt ein Gremium gebildet wird, das autorisiert ist, DDR-Unrecht zu heilen. „Wenn der politische Wille dazu existiert, dann ist das machbar“, findet er. (mz)