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Kunst Kunst: Pierre-Auguste Renoir malte und liebte die Frauen

Von Margit Boeckh 16.02.2013, 17:53
Lise Tréhot war das Modell für die «Odaliske» (1870 / Washington, The National Gallery of Art).
Lise Tréhot war das Modell für die «Odaliske» (1870 / Washington, The National Gallery of Art). ELISABETH SANDMANN VERLAG/ AKG-IMAGES/PRIVATSAMMLUNG Lizenz

Lise, Henriette, Aline, Suzanne, Gabrielle, Madeleine, Heléne, Dedée – und das waren noch nicht einmal alle. Der Kosmos der Modelle und gleichzeitigen Liebhaberinnen des Pierre-Auguste Renoir (1841–1919) umfasste ein milchstraßengleiches Firmament von Sternen. Mit ihrem Buch „Renoir und seine Frauen“ hat Karin Sagner die Musen des Künstlers aus der Anonymität geholt. In dem aufschlussreichen, sorgfältig gestalteten biografischen Bildband stellt die Münchner Kunsthistorikerin den Gemälden des Meisters bislang unentdecktes Fotomaterial von 20 der dargestellten Frauen gegenüber. Und sie erzählt deren zuweilen erstaunliche Geschichte. Wobei schon der Untertitel „Ideale auf der Leinwand – gestandene Frauen im Leben“ auf Haltungen verweist, die man so weder bei vermeintlich ausgebeuteten Künstlermodellen, noch ganz und gar in jener Zeit vermutet. Zugleich entschlüsselt der Band, in dem auch Urenkel Jaques Renoir ausführlich an den berühmten Großvater erinnert, das Frauenbild des Malergenies.

Im Grunde kennt man sie ja alle, diese schönen Damen. Man begegnet ihnen heute in den großen Kunstmuseen der Welt und in unzähligen populären Reproduktionen der Gemälde, auf denen sie verewigt sind. Denn vor allem der weiblichen Schönheit hat sich der schon zu Lebzeiten begehrte Malerstar des Impressionismus gewidmet. Gewiss, auch mit anderen Bildthemen bewies er seine Meisterschaft – Landschaften, Stilleben, Porträts. Doch sein ganzes reiches Künstlerleben prägte ein Sujet: die Frau.

Der jetzt in unseren Kinos laufende Film „Renoir“ zeigt ein letztes großes Aufleuchten dieses künstlerischen Lebensweges. Bewirkt ganz wesentlich von Andrée Heuschling, der letzten aus der lebenslangen Reihe von Musen und Modellen. Sie ist es, die den alten, schwer kranken Maler zu seinen letzten großen Werken inspiriert. Eine in zuweilen gar zu sehr ausgekosteten impressionistisch schwelgenden Bildern erzählte Geschichte (Regie: Gilles Bourdos). Berührend dann doch im Erleben des damals über 75-jährigen Künstlers in all seiner Hinfälligkeit und dabei von geradezu verbissenem Schaffenswillen. An den Rollstuhl gefesselt, konnte er seine Hände nur mit allerlei Hilfsmitteln zu dem zwingen, was ihm die eine, alles überstrahlende und überwindende Leidenschaft gebot: das Malen. Nur unter Qualen konnte er da die Farben setzen, seine Bilder zum Schimmern bringen. Renoir litt extrem unter Gelenkrheuma und hatte sich in sein weiträumiges Atelier-Anwesen an der Côte d’Azur zurückgezogen. Umgeben von einer Schar dienstwilliger ehemaliger Modelle und Liebhaberinnen, trauernd um den Verlust seiner Lebens- und Ehefrau Aline. Diese, „gesegnet mit wohligen Rundungen“, verkörperte ideal „den für Renoir anziehenden katzenhaften Typ, den man gerne liebkoste“, so Karin Sagner.

Um die 20 war demnach jene Aline Charigot (1854–1915), als sie Renoir erstmals begegnete. Ein Mädchen aus der Provinz, das als Schneiderin in Paris sein Glück suchte. Dann traf sie auf den Maler, noch unbekannt und arm, aber von offenbar faszinierender Attraktivität. Ein Womanizer mit Tendenz zum Frauenversteher. Er schuf der warmherzigen Blonden mit dem Genießermund Denkmäler mit heute weltweitem Wiedererkennungswert. Millionenteure Bild-Ikonen wie „Das Frühstück der Ruderer“ und „Die Badende“. Erst Jahre später, 1890, beschloss er, sein Leben für immer mit ihr zu teilen. Was den stets von so viel Weiblichkeit umgebenen Künstler nicht daran hinderte, zugleich eine Liebesbeziehung mit Suzanne Valdon (1865–1938) zu beginnen. Auch sie sein Modell, ein „Frauenzimmer mit Feuer im Blut“, dem „Leidenschaft pur“ bescheinigt wird. Entsprechend gut bezahlt war sie als Berufsmodell. Im Gegensatz zu all den anderen wurde sie selbst später zu einer gefragten Malerin, deren Werke heute in den großen Museen von New York und Paris gezeigt werden.

Eine Ausnahme. Denn die anderen umschwärmten ihn, ihren „Patron“, waren ihm zu Diensten und ergeben. Bis in die letzten Tage in seinem Mittelmeer-Refugium, denen sich der Film widmet. Ganz so, als würden ihm die auf den Bildern verewigten Frauen vergelten, dass er sie anders sah als viele seiner Malerkollegen. Näher, ja liebevoller als etwa Toulouse-Lautrec oder Degas. „Er malte die lichte Seite des Weiblichen“, resümiert Karin Sagner. Doch aus einer zeitgemäß selbstverständlich gelebten Männlichkeits-Position. In einer Weise, wie sie der (allzu durchschaubar gepuschten) Sexismus-Debatte anno 2013 quasi ins offene Empörungsmesser gerannt wäre. „Also, wenn ich einen Hintern gemalt habe und Lust bekomme, einen Klaps darauf zu geben, dann weiß ich, das Bild ist fertig“, zitiert Jaques Renoir den unverblümten Ur-Opa. Steilvorlage für Alice S. und andere Feminismus-Talkerinnen „old school“.

Doch: Er hat sie einfach geliebt, diese Frauen mit den sanft weiblichen Formen, war süchtig nach dem Schimmer auf ihrer Haut. Weshalb er seine Modelle auch immer ein kleines bisschen schöner gemalt hat, als sie eigentlich waren. Die Vergleichsfotos in Sagners Buch sind augenscheinlicher, oft überraschender Beweis. Auch so manchen intimen Geheimnissen kam die Autorin auf die Spur. Zeitlebens verheimlichten unehelichen Kindern, für die Renoir gleichwohl sorgte. Möglicherweise gar der spätere Maler Utrillo darunter. Die Finessen seiner patriarchalischen Herrschaft über die Modelle, von denen nicht wenige zu willigen Dienstboten wurden - in Liebe und Ehrerbietung. Und auch das kommt heraus: Dass der Modell-verschlingende Frauentyp ganz eigentlich schüchtern war als Mann. Dem es auch bei subtilsten Aktdarstellungen nie in den Sinn gekommen wäre, den weiblichen Körper bloßzustellen.

„Bei Renoir wurden die nackten Körper, die Frau und das Mädchen zu Metaphern für Schönheit, Wahrheit und Reinheit“, konstatiert die Autorin. Genau so hat er Andrée, die letzte Muse, auf die Leinwand gebracht. Im „Bildnis einer Frau mit Fächer“ etwa und explizit im letzten Hauptwerk, den „Badenden“. Tragik oder gutes Ende: Renoirs Sohn Jean, der später berühmte Regisseur, verliebte sich in die selbstbewusste Schöne. Heiratete sie und machte sie zur Protagonistin in mehreren Hollywood-Filmen. 1976 starb Andrée. Renoirs Modell und Muse, Schwiegertochter und zeitweiliger Filmstar in Paris. Im Sehnsuchtsort der Kreativen jener Zeit. An dem Ort, wo sie entdeckt worden war, von Auguste Renoir, dem Maler und Liebhaber der Frauen.

„Renoir“, der Film, läuft noch bis 20. Februar im Luchs Kino in Halle.