Bühnen Halle zeigen „Madame Butterfly“ Oper Halle: Asche über Nagasaki
Patric Seibert bringt zum Spielzeitauftakt Giacomo Puccinis „Madame Butterfly“ auf die Bühne. Die Inszenierung ist den Opfern des Atombombenabwurfes gewidmet.
Halle/MZ - Wenn eine Puccini-Oper auf dem Programm steht, dann geht Fabrice Bollon mit der Staatskapelle gerne in die Vollen. Hier darf und soll Arienpathos von der Leine gelassen werden und in der Ergriffenheit des Publikums münden. Dabei ist natürlich jedem klar, dass diese für Butterfly tödlich endende tragische Opernliebe von vornherein auf einer (Selbst-)täuschung auf beiden Seiten beruht.
Ohne Skrupel
Der US-Leutnant nutzt seine Amerika-for-ever-Überheblichkeit ohne Skrupel für ein Liebesabenteuer aus, bei dem er genau weiß, dass das ganze Hochzeitsdrumherum der Japaner nur ein fadenscheiniges Zugeständnis an eine kulturelle Prägung ist, der sich auch die noch unterwerfen müssen, die – wie Butterfly und ihre Familie – ziemlich tief gefallen sind. Wenn Bonzo bei der „Hochzeit“ dazwischenfunkt, kommt ganz unmissverständlich eine Ahnung davon auf.
Cio-Cio-Sun wiederum weiß natürlich auch, was gespielt wird, verdrängt ihren sozialen Abstieg aber mit aller Kraft und verharrt in der Illusion, sie sei jetzt Amerikanerin. Es ist ein Clash der Kulturen mit einem Todesopfer – also ziemlich opernkompatibel. Außerdem fragt man am besten gar nicht danach, was das Erlebte in der Psyche von Pinkerton und Cio-Cio-Suns Sohn anrichtet, den er (immerhin) zum Teil seiner amerikanischen Familie macht. In der konkreten Konstellation der Besetzung der Partien in Halle wäre das obendrein das Problem eines europäisch aussehenden Knaben von Eltern, die in dem Falle beide Amerikaner mit asiatischen Vorfahren wären.
Aber wie dem auch sei – dass der US Leutnant bei Puccini per se kein Sympathieträger ist, muss man sich bei Patric Seibert (Regie) und Kaspar Glarner (Bühne und Kostüme) dazu denken. Chulhyun Kim kommt zwar nicht wie der weiße Traumprinz, sondern in Kampfuniform, wirft sich aber mit schmetternder Verve in das Pathos seiner Rolle. Barbara Senator ist eine Cio Cio sun auf vokaler Augenhöhe, die zudem den Versuch, zur selbstbewussten Amerikanerin zu werden, glaubhaft macht.
Innere Distanz
Als Suzuki veredelt Yulia Sokolik ihre wohldosiert gespielte Melange aus Treue zu Butterfly und innerer Distanz zu deren Bruch mit ihrer Kultur mit fabelhafter Mezzoeloquenz. Gerd Vogel ist überzeugend genau der mitfühlende Konsul Sharpless, der die Leichtfertigkeit Pinkertons von Anfang an missbilligt. Robert Sellier als windig agiler Heiratsvermittler Goro, Michael Zehe als Bonzo und Sebastian Byzdra als in Uniform aufkreuzender Fürst Yamadori und Deulrim Jo als Kate Pinkerton komplettieren das gefeierte Protagonistenensemble. Die kleineren Partien fügen sich in die Auftritte des von Frank Flade präzise einstudierten Chores.
Der allesamt oft von der Regie gleichsam in Ruhe gelassene, direkt ins Publikum gerichtete Gesang mag die rein musikalische Überzeugungskraft beflügeln. Bei der Inszenierung ist ein doppelter Boden lange Zeit tatsächlich ganz wortwörtlich auf das Bühnenpodest beschränkt, das allein mit seinen zwei verschiebbaren Papierwänden japanische Architektur assoziiert. Das seltsame, Gewalt, Erniedrigung und Missbrauch assoziierende Verschnüren von zwei Frauen links und rechts daneben durch zwei vermummte Männer mag den Schein der Liebesrhetorik konterkarieren, bleibt aber doch Illustration.
So, wie auch die opulente Farbenpracht der Kimonos wohl mit der eher nüchternen Vorführgeste der Bühne auf der Bühne Spannung im optischen Dialog erzeugen will.
Den doppelten Boden gibt es aber dann doch. Wenn ein Donnerschlag das ersehnte Einlaufen von Pinkertons Schiff verkündet, ist das ein Schlag, der eine ganz andere Assoziation mit Nagasaki ins Gedächtnis ruft als den Schauplatz von Puccinis Herz-Schmerz-Opus. Die Propellermaschine, mit der Butterflys Junge spielt, erinnert an jenes Flugzeug, das die Atombombe über Nagasaki in Position brachte.
Ein Preis ist zu zahlen
Konsequenterweise haben die Blätter, die dann niedergehen, mehr von einem Ascheregen als von Blüten. Von der Farbenpracht des Chors sind nur noch angesengte schwarze Reste verblieben, die Menschen gerade noch davon gekommen. Im Programmheft steht, dass diese Inszenierung den Opfern des Atombombenabwurfs auf Nagasaki am 9. August 1945 gewidmet ist.
Der Mut, das szenisch umzusetzen, ohne dass es allzu platt wirkt, verdient Respekt. Dass die Rührung über das Einzelschicksal Cio Cio sun da etwas von ihrer Wirkung abgeben muss, ist wohl der Preis, den das hat.