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Neues Asisi-Panometer in Leipzig Mit den Augen Monets

Eine Hommage an den Impressionismus: Das Panometer Leipzig zeigt Yadegar Asisis turbulentes Panorama „Die Kathedrale von Monet – Freiheit des Malens“.

Von Mathias Schulze 18.03.2024, 17:13
Blick ins 19. Jahrhundert: Yadegar Asisi präsentiert Monets Darstellung der Kathedrale  der nordfranzösischen Stadt Rouen
Blick ins 19. Jahrhundert: Yadegar Asisi präsentiert Monets Darstellung der Kathedrale der nordfranzösischen Stadt Rouen (Foto: dpa)

Leipzig/MZ. - Was ist die Realität? Diese Frage klingt viel zu abstrakt und wie eine Hinführung zu allerlei Science-Fiction-Klamauk. Angesichts des erstmals in Leipzig ausgestellten Panoramas „Die Kathedrale von Monet – Freiheit des Malens“, das Yadegar Asisi bereits in der französische Stadt Rouen gezeigt hat, darf man sie sich aber durchaus in dieser unspezifischen Art vorlegen. Das Erstaunliche der Schau liegt auch darin begründet, dass diese Frage im Panometer Leipzig sogar beantwortet wird. Doch der Reihe nach.

Asisi hat ein Ölgemälde im Stil des Impressionismus geschaffen, das ursprünglich sechs mal zwei Meter groß war. Anschließend wurde es hochauflösend digitalisiert, vergrößert, auf Stoff gedruckt und als 360 Grad-Panorama inszeniert. Dabei ließ sich der in Halle aufgewachsene Asisi von Claude Monets Gemäldeserie „Die Kathedrale von Rouen“ inspirieren, die die Kirche – genauer unsere Empfindungen derselben – unter verschiedensten Lichteinflüssen zeigt.

Glocken läuten, Hunde bellen

Im Gegensatz zu Monet (1840-1926), der als Mitbegründer des damals bahnbrechenden Impressionismus gilt, beschränkte sich Asisi aber nicht nur auf den Prachtbau. Asisi zeigt auch den Vorplatz, die umliegenden Gassen und Häuser, das Lumpenproletariat, die vornehmen Schichten, die Pferdekutschen, Marktstände und Bürgerhäuser der „Belle Époque“. Es ist, als stünde man 1894 auf dem Kathedralplatz von Rouen. Gewitzte Details wie den am offenen Fenster malenden Monet oder das Einarbeiten bekannter Maler und Zeitgenossen wie Vincent van Gogh oder Pierre-Auguste Renoir kommen hinzu.

Und natürlich lesen sich die technischen Daten beeindruckend: Wir haben es mit einer Bildfläche von 3.500 Quadratmetern, mit einer Länge von über 110 Meter und mit einer Höhe von 32 Metern zu tun, ungefähr 4.750 Meter vernähtes Garn kamen zum Einsatz. Ergänzt wird das Rundbild in den Vorräumen mit über 200 Werken von Yadegar Asisi, die das Spannungsfeld von Malerei, Handwerk und Digitalisierung beleuchten. Doch was entfaltet sich den menschlichen Sinnen, wenn man durch die Ausstellung schlendert, wenn man den Besichtigungsturm im Panometer besteigt, der es ermöglicht, das Rundbild aus einer Höhe von sechs oder fünfzehn Meter anzuschauen?

Zu sehen, zu hören und zu empfinden bekommt man einen ganzen Tag. Beständig begleitet von Klängen (Musik: Eric Babak) und wechselnden Lichtverhältnissen erlebt man einen Sonnenaufgang, ein geschäftiges Tagestreiben, ein langsames Ermatten und ein melancholisches Gleiten in die Nacht. Man hört die Glocken läuten, die Vögel zwitschern, die Hunde bellen, die Kinder lärmen oder die Pferde traben. Das Panorama selbst verändert sich natürlich nicht im Geringsten, es ist und bleibt ein Standbild. Aber die Lichtsituationen, Geräusche und Farben, die hier imaginierten Einflüsse der uns umgebenden Welt verändern unsere Empfindungen, unsere Realitätswahrnehmungen beträchtlich.

Der Meister in seinem Werk: Yadegar Asisi im Monet-Panorama
Der Meister in seinem Werk: Yadegar Asisi im Monet-Panorama
(Foto: Sebastian Willnow/dpa)

Schiebt sich die Sonne mit Macht in den Tag, fühlt man am Morgen langsam die Lebensgeister erwachen – die Kathedrale erscheint als ein mächtiger Koloss, der im Gegensatz zum menschlichen Körper weder Müdigkeit noch Stimmungsschwankungen zu kennen scheint. Regungslos, starr und scheinbar unerschütterlich wirft die Kirche ihre Schatten. Wachen wir gerade auf, signalisiert sie uns: Ich habe die ganze Zeit gewacht – über dich und über alle. Und so wird es immer sein! Ist das Geschäftige, der Trubel und die Hitze des Tages im vollen Gange und brennt die Sonne gnadenlos in alle Ecken, scheinen die vielen Menschen in den Gassen hektischer zu laufen.

Wirkte der von der Masse isolierte Mann am Kathedralen-Tor am Morgen noch hoffnungsvoll wartend, scheint es in der Mitte des Tages so, als würde er gleich beginnen, seinen Gang tatkräftig zu beschleunigen. Aber im warmen orange-roten Licht der Abendsonne scheint es keinen Zweifel mehr zu geben: Dieser Mann am Kathedralen-Tor ist enttäuscht, er hat den ganzen Tag umsonst gewartet. Bricht die Nacht herein, erscheint es noch klarer: Dieser einsame und tieftraurige Mann wurde gerade von seinen Liebsten verlassen!

Wechsel der Tageszeiten

Ganz in der Tradition des Impressionismus sind es auch im Panometer Leipzig die jeweiligen Tageszeiten, die mal freundlichen, mal unwirtlichen Lichtverhältnisse, die flirren Farben und flüchtigen Geräusche, die unsere Wahrnehmung der Welt prägen.

In Wirklichkeit sehen wir immer denselben Mann, dieselbe Kathedrale, dieselbe Stadtszenerie. Aber in unserer Realität sehen wir immer etwas anderes. Ja, unsere Realität ist nichts anderes als unser vielfach beeinflusster Blickwinkel, unsere vielfach beeinflussten Empfindungen. Eine sehenswerte Schau.

Die Kathedrale von Monet – Freiheit des Malens: im Panometer Leipzig, Richard-Lehmann-Straße 114, täglich von 10 bis 17 Uhr. Im Internet: www.panometer.de