Das Leipziger Musikleben während der NS-Jahre Marmor für Wagner
„Hakenkreuz und Notenschlüssel“: Das Leipziger Stadtgeschichtsmuseum zeigt, wie sich das Musikleben der Messestadt während der NS-Jahre veränderte.

Leipzig/MZ - Die Kulturpolitiker der Stadt Leipzig setzten 2019 das Attribut „Musikstadt“ als Dachmarke zur touristischen Promotion ihrer Großereignisse Bachfest, Mendelssohn-Festtage, Wagner22 und Mahler-Festival. Den gleichen Titel gab man sich an der Pleiße bereits im Jahr 1938, als das Museum der Bildenden Künste dort eine Ausstellung über „Die Musikstadt Leipzig“ gezeigt hatte. Verschwiegen wurden damals aufgrund ihrer jüdischen Herkunft allerdings die Ortsheiligen Felix Mendelssohn Bartholdy und Gustav Mahler.
Die Sonderausstellung „Hakenkreuz und Notenschlüssel. Die Musikstadt Leipzig im Nationalsozialismus“ des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig widmet sich jetzt zum ersten Mal dem Leipziger Musikleben von 1933 bis 1945. Die Idee zu diesem Projekt begleitete die Kuratorin Kerstin Sieblist bereits seit ihrem Amtsantritt 1997. Co-Kurator Sebastian Krötzsch nennt als thematischen Hauptstrang, „wie sich Nationalsozialismus und Musikleben immer weiter ineinander verzahnten“. Holger Koppe, dessen Stiftung das Projekt unterstützt, erklärt: Diese Ausstellung ist „zugleich ein Blick in den Spiegel, in dem wir unsere eigene Verletzlichkeit und Verführbarkeit erkennen“.
Weill muss raus
Die Themen, die Exponate und die Präsentation von neun exemplarischen Biografien geben einen intensiven Einblick in die mit rasanter Beschleunigung eingesetzten Veränderungen. Das Deutsche Nationaltheater Weimar spielt derzeit das Werk, an dem sich die rapiden Auswirkungen des Regierungswechsel mit erschreckender Deutlichkeit zeigten.
Drei Wochen nach der Machtübernahme durch die NSDAP fand am 18. Februar 1933 die Uraufführung von Georg Kaisers „Der Silbersee“ mit Musik von Kurt Weill in Leipzig statt. Die Proben hatten noch vor dem antihumanen Richtungswechsel begonnen. Fünf Wochen später war der jüdische Komponist Kurt Weill bereits auf dem Weg in die Emigration. Ende der 1930er Jahre waren von 97 Musikern des Leipziger Gewandhausorchesters 82 Parteimitglieder der NSDAP, 1937 wurde der Thomanerchor in die Hitlerjugend eingegliedert. Die Ausstellung zeigt die ideologische Vereinnahmung und Neupositionierung auch der Jazz-Szene, der Hochschule für Musik, des Reichsrundfunks und des ideologisch umgepolten Musiktheaters durch das NS-Regime. Neben Exponaten aus den museumseigenen Beständen präsentiert die Ausstellung Leihgaben zum Beispiel der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig, des Leipziger Synagogalchors und des Landeskirchenarchivs Eisenach.
Einige NS-Projekte haben Auswirkungen bis ins 21. Jahrhundert: Zum Beispiel wurde erst 2013 das Richard-Wagner-Denkmal anlässlich dessen 200. Geburtstags enthüllt. Der Bildhauer Stephan Balkenhol verwendete dafür den von Max Klinger entworfenen Sockel. Damit fanden Bemühungen ihren Abschluss, die schon 1913 begonnen hatten.
Für den 6. März 1934 hatte Hitler die monumental inszenierte Grundsteinlegungsfeier für ein Richard-Wagner-Denkmal angeordnet. Wegen des Krieges konnten die im Marmorwerk der oberbayerischen Gemeinde Kiefersfelden hergestellten Reliefs aber nicht geliefert werden. Die Stadt Leipzig weigerte sich nach Kriegsende, die Lagerkosten für diese zu bezahlen. „Das Marmorwerk verkaufte die Einzelteile schließlich an private Abnehmer“, schreibt Marie-Louise Monrad Møller.
Die Ausstellung reflektiert auch Konsequenzen und Kriegsverluste nach 1945. Und sie gibt einen Ausblick auf Karrierekontinuitäten nach Kriegsende wie jene des Gewandhauskapellmeisters Hermann Abendroth. Dieser war 1934 in Köln wegen seiner Affinität zu jüdischen Werken und Künstlern entlassen worden. Abendroth übernahm sein Leipziger Amt im gleichen Jahr, trat 1937 in die NSDAP ein und verfasste regimetreue Texte in einschlägigen Fachmedien. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt er sofort eine Stelle bei der Staatskapelle Weimar und übernahm in der jungen DDR ab 1949 die Leitung des Rundfunksinfonieorchesters in Leipzig. Als man Anfang der 1990er Jahre Aufnahmen Abendroths mit dem Gewandhausorchester wiederentdeckte und im MDR sendete, war die Freude über deren hohen künstlerischen Rang groß.
Gedächtnis der Stadt
An solchen Beispielen wird deutlich, wie wichtig die von einem umfangreichen Rahmenprogramm begleitete Ausstellung für das Gedächtnis der Musikstadt Leipzig ist. Der Zyklus „Wagner22“ der Oper Leipzig und des für diese Leistung international umjubelten Gewandhausorchesters zeigte im Sommer 2022 erstmals seit 1938 in der Geburtsstadt Richard Wagners wieder alle von ihm vollendeten Bühnenwerke.
Bis 20. August: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Haus Böttchergäßchen, Böttchergäßchen 3, Di-So 10-18 Uhr, Begleitbuch 14,80 Euro