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„La Bohème“ in Halle Der Tod steht ihr gut

Künstler, die in prekären Verhältnissen leben: An der Oper Halle hat Giacomo Puccinis Opernklassiker „La Bohème“ in einer Inszenierung von Intendant Walter Sutcliffe Premiere.

Von Joachim Lange 14.03.2024, 17:19
Marcello (Andreas Beinhauer), Musetta (Franziska Krötenheerdt),  Rodolfo (Chulhyun Kim) und Mimi (Anastasiia Doroshenko, von links)
Marcello (Andreas Beinhauer), Musetta (Franziska Krötenheerdt), Rodolfo (Chulhyun Kim) und Mimi (Anastasiia Doroshenko, von links) (Foto: Anna Kolata)

Halle/MZ. - Von Zeit zu Zeit gehört ein gewisses Quantum Puccini einfach in jeden Spielplan. Selbst wenn das Motto „Champagner!“ über der Spielzeit steht wie in Halle. Irgendwann ist schließlich auch in der Mansarde der verkrachten Künstlerexistenzen im Klischee-Paris davon die Rede. „La Bohème“ ist einer von Giacomo Puccinis (1858-1924) Dauerbrennern. Am Samstag hatte der Bühnenklassiker an der Oper Halle Premiere.

Besonders bei diesem Italiener wird es so hemmungslos genregemäß gefühlig. Als Zuschauer kann man den meisten seiner Bühnenheldinnen das Mitgefühl einfach nicht verweigern. Natürlich auch nicht der todkranken Mimi, die in Paris mitten in jenem Künstler-Milieu stirbt, das sprichwörtlich geworden ist und von dem Puccinis 1896 in Turin uraufgeführte „Bohème“ ihren Namen hat.

Für den regieführenden Intendanten Walter Sutcliffe geht es, wie er im Programmheft mitteilt, um unseren existenziellen Umgang mit der Kunst, für die der Maler, der Dichter, der Musiker und der Philosoph im Stück stehen und die „dem Nichts Bedeutung geben wollen“. Deren Atelier-Wohngemeinschaft fehlt zwar der Ausblick über die Dächer von Paris, weil nichts mehr durchsichtig ist an diesen Atelierfenstern. Aber vertraut wirkt die Behausung, die wir im ersten Bild sehen, schon.

Das Bühnenportal hat Ausstatter und Kostümbildner Jon Bausor mit einem riesigen Bilderrahmen versehen. Dort scheint als Projektion dann auch jenes Bild auf, das die Akteure an der Bar zeigt – und von dem nach Mimis tragischem Tod – in einer Videoeinspielung auf dem Vorhang – alle Beteiligten verschwinden.

Vokal in die Vollen gehend

Grund für einen Einwand an diesem inszenierten Überbau ist das jedoch nicht, denn in diesem Rahmen wird die Geschichte geradeaus erzählt, zu der Puccinis Musik ihre Wirkung entfaltet. Wobei Fabrice Bollon am Pult der Staatskapelle Halle so beherzt auf das Aufrauschen und Gefühlspathos setzt, dass das über weite Passagen sehr laut rüberkommt.

Was den Protagonisten keine andere Wahl lässt, als vokal in die Vollen zu gehen. Vor allem Chulhyun Kim ist als Rodolfo nicht zu beneiden. Sein Durchhaltevermögen ist indes bewundernswert. Dabei kann er sich auf seine trompetenhafte Höhe verlassen. Die junge, am Anfang ihrer Karriere stehende Anastasiia Doroshenko als Mimi setzt dem eine überzeugend aufblühende Wärme entgegen, auch wenn sie mit ihrer Gestik die Todkranke eher konterkariert. Vielleicht auch, weil die Personenführung hier erstaunlich oft auf szenische Standbilder setzt.

Franziska Krötenheerdt hat mit ihrem Charisma natürlich kein Problem, eine verführerische Musetta hinzulegen und ihren Verehrer Alcindoro (in dieser Maske erinnert Gerd Vogel an Joe Biden) im wahrsten Wortsinn aufs Kreuz zu legen. Uneingeschränkte Freude machen die differenzierenden Charakterbilder, die Michael Zehe als Musiker Schaunar, dem sonoren Ki-Hyun Park als Collin, vor allem aber Andreas Beinhauer als Maler Marcello gelingen. Auch der von Frank Flade einstudierte erweiterte Chor wie auch der von Bartholomew Berzonsky einstudierte Kinder- und Jugendchor halten vor dem gutgefüllten Tresen musikalisch überzeugend Kurs.

Um einfach der Geschichte und der Musik zu folgen, kann man die beigefügten Übertitel einfach ignorieren. Macht man das nicht, dann wirken sie gelegentlich wie ein plattes Anbiedern an den Zeitgeist. Da kaufen die Pariser Künstler im „Späti“ ein, es wird auch „Scheiß Schuhe!“ geflucht, und wenn es um das nicht vorhandene Geld geht, ist gar von der Chefin der Europäischen Zentralbank die Rede.

Wenn hier freilich die „Leipziger Volkszeitung“ verhöhnt wird, dann ist das nicht wirklich witzig. Damit wird immer noch (wie schon in der „Fledermaus“-Inszenierung) mit ziemlich kleiner Münze die harsche Kritik des Blattes an einer Inszenierung von Walter Sutcliffe zurückgezahlt. Souveränität sieht anders aus.

Vergessene Herztabletten

Keine Insider-Petitesse ist freilich ein gewisses Knirschen beim Heranzoomen der Geschichte an die Gegenwart. Die Jungkünstler leben sichtbar prekär, ihre Miete können sie schon seit Monaten nicht zahlen. Dass hier die Heizung abgestellt ist, passt ins Bild, dass der Strom noch funktioniert, aber nicht. Auch dass man für die todkranke, eigentlich Blut spuckende Mimi auf den letzten Drücker Herztabletten besorgt, ihr die aber nicht gibt und sie dann einfach stirbt, hält die Tragik dieses Todes deutlich auf Distanz.

Das Premierenpublikum begrüßte die neue „Bohème“ und alle Beteiligten mit langem Beifall.

Nächste Aufführungen: am 15. März um 19.30 Uhr, am 24. März um 16 Uhr