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Sachsen-Anhalt erwirbt einzigartiges Feininger-Gemälde Der Himmel über Dessau

Mit dem Erwerb eines sensationellen Gemäldes startet die Feininger-Galerie in die Saison – mit einem neuen Namen und mit einer neuen Direktorin.

Von Christian Eger 03.04.2023, 14:35
Lyonel Feininger: "Im Schnee" (Ausschnitt) - die katholische Kirche St. Peter und Paul in Dessau
Lyonel Feininger: "Im Schnee" (Ausschnitt) - die katholische Kirche St. Peter und Paul in Dessau (Foto: W&K, VG Bild-Kunst Bonn)

QUEDLINBURG/MZ - Eine Kirche, ein Wohnhaus, ein von dünnen, wie gekratzten Linien durchgestrichener Himmel. Unverkennbar eine Stadt im Schnee. Aber keine amerikanische Stadt. 1949, zwölf Jahre nachdem er gezwungen war, Deutschland in Richtung Amerika zu verlassen, malte Lyonel Feininger (1871-1956) in New York dieses 69 Zentimeter breite und 46 Zentimeter hohe Bild in Öl.

Eines der Spätwerke, mit denen der Künstler in einem Zwei-Zimmer-Appartement in Manhattan das für ihn verlorene Deutschland beschwor. Ein Bild, das er mit zahllosen eigenen Fotografien und zeichnerischen „Natur-Notizen“ lebendig hielt. Unter den nach der Erinnerung hergestellten Werken ist das Gemälde „Im Schnee“ ein besonderes: Es zeigt nicht Halle, nicht Weimar, sondern Dessau, jene Stadt, in der Feininger – anfangs als Bauhaus-Meister ohne Lehrauftrag – von 1926 bis 1933 lebte.

Vom Foto zum Gemälde

Das Gezeigte ist nicht auf den ersten Blick zu adressieren. Es ist kein prominentes Motiv, zudem leicht verfremdet. Aber doch ist hier mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die katholische Kirche St. Peter und Paul am Albrechtsplatz in Dessau zu sehen. „Über alle Zweifel erhaben“ sei dieser Befund, sagt Thomas Bauer-Friedrich, Direktor der Moritzburg Halle.

Zwei Fotografien von Feininger gibt es, worauf Bauer-Friedrich hinweist, die der Maler um 1930 von der Kirche machte. Eine Tages- und eine Abendszene, zu finden in der online einsehbaren Harvard-Kollektion der Feininger-Fotografien: Hier sind es die Bilder Nr. 30.3 (Tag) und 31.1. (Abend). Spiegelt man die Bilder seitenverkehrt, lässt sich die 1949 gemalte Szenerie erkennen. Das längere Wohnhaus an der Kirche, die den heute verschwundenen Dachreiter zeigt, steht im Bild vorne rechts statt tatsächlich links. Deutlich sichtbar sind die Oberleitungen der Straßenbahnen, jene Linien, die den Himmel über Dessau durchziehen.

Warum seitenverkehrt? Bereits 1940 fertigte Feininger eine Kohlezeichnung mit der auf dem Gemälde gelieferten Ansicht: seitenverkehrt und mit „Dessau“ betitelt  – eine eindeutige Zuordnung. 1955 folgte ohne Titel eine Tintenzeichnung desselben Motivs.

Der bildliche Seitenwechsel war für Feininger nichts Ungewöhnliches. Auch nicht in den USA. Nach einer Operation in seiner Beweglichkeit eingeschränkt, vertrieb sich dort Feininger die Abende, indem er Dias mit deutschen Orten an die Wohnzimmerwand strahlte. „Wir projizieren auch Photo-Negative, die unerhört sind als neue Umwertung“, notierte Feininger 1948, „das Auge lernt ein neues, wundervolles Sehen an diesen Dingen.“ Gut möglich, dass Feininger eine seitenverkehrte Foto-Projektion für das Gemälde „Im Schnee“ nutzte.

Der Schnee von gestern ist nun der Schnee von heute. Und ein Geschenk für die Feininger-Galerie in Quedlinburg. Als ein tatsächlich sensationeller Neuerwerb wurde das Gemälde, das beiläufig bereits in der Schau „Becoming Feininger“ zu sehen war, jetzt der Galerie übereignet. Hier ist ein Neubeginn im Dreischritt zu melden: neues Gemälde, neue Direktorin und neuer Name für die 1986 gegründete Sammlung.

Auf die Kunsthistorikerin Gloria Köpnick, die das Haus von 2020 bis 2022 leitete, folgt jetzt als Direktorin die Kunsthistorikerin Adina Christine Rösch. Geboren in Erlangen, studierte die 39-Jährige Kunstgeschichte, Neuere deutsche Literatur, Buchwissenschaft sowie Theater- und Medienwissenschaft. Im Staatlichen Museum Schwerin arbeitete sie an Ausstellungen mit, die sich der Klassischen Moderne widmeten. Zuletzt leitete sie das Deutsche Burgenmuseum Veste Heldburg (Landkreis Hildburghausen).

Fokus auf Quedlinburg

Von der Burg nach Quedlinburg? Aus dem Mittelalter in die mittelalterlich geprägte Welterbestadt? „Es ist eigentlich ein bisschen back to the roots“, sagt Adina Christine Rösch, zurück zu den Wurzeln. Seit sie in Schwerin kuratiert hatte, habe es sie immer zur Klassischen Moderne gezogen. „Das Burgenmuseum“, sagt sie, „war nur ein Umweg.“

Einer, der jetzt zu Feininger führt, von dem es in Schwerin nur ein einziges Gemälde gab. Nun also eine einzigartige Sammlung. Die soll nicht mehr unter dem Namen „Lyonel-Feininger-Galerie. Museum für grafische Künste“ arbeiten, sondern unter dem Titel „Museum Lyonel Feininger. Welterbestadt Quedlinburg“.

Ein Namens-Lifting, wozu? Immer wieder habe der Name für Irritationen gesorgt, sagt Rösch. Eine Aussage, die Thomas Bauer-Friedrich bestätigt. Wie denn nun die in Quedlinburg ausgestellten Feininger-Werke zu erwerben seien?, soll des öfteren gefragt worden sein. Die Öffentlichkeit habe das Haus nicht selbstverständlich zuerst als ein Kunstmuseum, sondern als einen „Verkaufsraum“ begriffen. Das soll sich nun ändern.

Oder steckt hier ein stiller Kurswechsel dahinter? Weg vom „Museum für grafische Künste“, dessen Sammlung zuletzt vor allem von dem Direktor Michael Freitag mit bedeutenden Zustiftungen und erstaunlichen Ausstellungen in Szene gesetzt werden konnte? „Der Fokus wird sich schon mehr auf Feininger zurückdrehen“, sagt Rösch. „Und auf Quedlinburg.“

Erworben in Wien

Auf die Frage, ob mit dem Begriff „Museum“ nicht auch eine andere Erwartung geweckt werde, nämlich die eines Hauses, das nicht nur Kunst, sondern alles zeige, was mit Feininger zu tun habe, sagt sie, dass das durchaus „interessant“ sei. „Wir wollen sammeln, bewahren, forschen.“ Die Dauerausstellung, die von diesem Mittwoch an wieder geöffnet sein wird, soll in der Fläche vergrößert werden. Mit dem Gemälde „Im Schnee“ hat sie eine attraktive Neuerwerbung zu bieten.

Ein Ankauf, der im Verbund gestemmt wurde: von der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Ostdeutschen Sparkassenstiftung gemeinsam mit der Harz-Sparkasse, dem Land Sachsen-Anhalt und dem Förderverein der Feininger-Galerie. Zur Gesamtsumme des Bildes, das eine lückenlose Provenienz aufweist und zuletzt von der österreichischen Galerie Wienerroither & Kohlbacher erworben wurde, ist Stillschweigen vereinbart. Allein die Kulturstiftung der Länder nennt ihren Anteil: 85.000 Euro. Weder für Sachsen-Anhalt noch für Quedlinburg ist dieser Neuerwerb in seiner Bedeutung zu überschätzen. In beiden Fällen bietet es einen Feininger-Blick zurück nach vorn.

Museum Lyonel Feininger: Vom 29. März an geöffnet Mi-Mo 10-18 Uhr, Dienstag geschlossen. Nächste Sonderausstellung vom 29. April bis 14. August: „Emil Nolde: Mythos und Wirklichkeit. Die Ungemalten Bilder“.