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Swing Konzert mit Andrej Hermlin in Halle Herr Hermlin, welche Rolle spielt Rassismus in Ihrem Leben?

Das „Swing Dance Orchestra“ spielt am 3. März in Halle. Über die Kraft der Musik, Rassismus und die Reaktionen auf den
7. Oktober hat die Mitteldeutsche Zeitung mit Andrej Hermlin gesprochen.

Von Jessica Quick Aktualisiert: 22.02.2024, 19:04
Pianist und Bandleader Andrej Hermlin
Pianist und Bandleader Andrej Hermlin (Foto: IMAGO/Future Image)

Gute Laune ist käuflich! Benny Goodman hat das in den 1930er Jahren gezeigt. Heute übernimmt die Rolle Andrej Hermlin und sein Swing Dance Orchestra. Am 3. März (16 Uhr) macht die Band einmal mehr in Halle Station. In der Gerorg-Friedrich-Händel-Halle sind mit dabei: Hermlins Kinder Rachel und David als Solisten. Über die Kraft der Musik in kräftezehrenden Zeiten hat Jessica Quick mit dem 59-jährigen Pianisten und Bandleader gesprochen.

Herr Hermlin, gestatten Sie mir einen Rückblick zum Valentinstag: „Love is in the Air“ oder „Swing ist in the Air“ – Was haben Sie Ihrer Frau gesungen?

Andrej Hermlin: Weder noch. Hätte ich meiner Frau ein Ständchen gesungen, hätte ich ihr wohl den Tag verdorben (lacht). Ich kann überhaupt nicht singen! Aber wenn überhaupt, wäre es „Swing is in the Air“ gewesen.

Rachel und David Hermlin kommen mit dem „Swing Dance Orchestra“ am 3. März nach Halle.
Rachel und David Hermlin kommen mit dem „Swing Dance Orchestra“ am 3. März nach Halle.
Foto: Imago/Future Image

Wie kommt es, dass Sie diese Musikrichtung schon als Kind geliebt haben?

Andrej Hermlin: Das kann ich gar nicht sagen. Die wenigsten hörten damals Swing-Musik. Sie war fast vergessen. Es ist tatsächlich etwas unlogisch. Ich hatte eine russische Mutter, die mit Swing überhaupt nichts zu tun hatte, und einen deutschen Vater, der Schriftsteller war. In den 1960er Jahren in der DDR plötzlich Benny Goodman für sich zu entdecken, das ist schon etwas merkwürdig. Mein Vater hat fast nur klassische Musik gehört. Wobei: Einige Platten mit Swing hatte er schon. Stéphane Grappelli und Django Reinhardt etwa. Die hatte mein Vater in der Zeit der Emigration – er musste als Jude aus Deutschland weg – in Paris live gehört.

Sie haben an der Musikhochschule Hans Eisler studiert. Swing sollen Sie sich autodidaktisch beigebracht haben, richtig?

Andrej Hermlin: Offiziell hieß das TuM – Abteilung für Tanz und Unterhaltungsmusik. Es gab einen kleinen Anteil an Klassik. Gelehrt wurden neben dem Hauptfach – in meinem Falle Klavier – Tonsatz, Gehörbildung und Instrumentenkunde. Swing war überhaupt kein Thema. Ich habe es aber trotzdem gespielt, weil ich nichts anderes wollte und konnte. Beigebracht habe ich mir diese Stilrichtung des Jazz zuhause – unabhängig von der Musikschule. Ich habe mir die Platten angehört und versucht nachzuspielen.

Und das hat funktioniert?

Andrej Hermlin: Es ist nur mäßig gelungen. Vieles, was ich mir damals „autodidaktisch“ beigebracht hatte, hat sich als falsch herausgestellt. In den vergangenen zehn Jahren habe ich einiges an meinem Klavierstil verändert. Man lernt nie aus. Während meines Studiums war ich ziemlich faul.

Was haben Sie stattdessen gemacht?

Andrej Hermlin: Das Leben genossen. Mich mit Freunden im Café Kisch getroffen. Ich bin niemand, der sich auf eine Sache stürzt und dieser sein ganzes Leben widmet. Ich habe doch nur das eine Leben. Mir ist Musik sehr wichtig, und ich spiele sehr gern Klavier. Aber ich könnte nicht jeden Tag stundenlang üben. Das habe ich schon mit etwa acht Jahren bewusst so entschieden. Meine Klavierlehrerin sagte damals, ich habe Talent, aber ich wollte lieber ein mäßiger Pianist und ein glücklicher Mensch sein, als ein guter Pianist und ein unglücklicher Mensch.

Bei Ihren Auftritten kommt auch der Humor nicht zu kurz. Ist das charakteristisch für Swing?

Andrej Hermlin: Swing war in den 1930er Jahren in erster Linie kommerzielle Tanzmusik, nichts fürs Konzerthaus. Dabei kann Swing ganz viele Sprachen sprechen. Er kann humorvoll, verrückt, sentimental, aber auch bittertraurig sein. Sie haben Recht, wir machen auch viel Quatsch. Die Show gehört zum Geschäft. Aber Klamauk ist kein Grundbestandteil von Swing.

Nach Halle kommen Sie mit dem „Swing Dance Orchestra“ und Ihren Kindern Rachel und David als Solisten. Wie lange spielen Sie schon zusammen?

Andrej Hermlin: In der Jahreswende 1986/87 habe ich die Swing Dance Band gegründet. Das war eine Besetzung zunächst aus vier, dann aus sechs Leuten. Diese Band haben wir nach und nach erweitert und Mitte der 1990er Jahre umbenannt in das Swing Dance Orchestra. Ehrlich gesagt war das eine Hybris. Wir waren gerade mal acht Leute, also eine Band. Aber „Orchestra“ klangt irgendwie nach mehr. Es war ein Blick in die Zukunft sozusagen. Das Orchester in der heutigen Form ist Ende 2000 gegründet wurden.

Sind noch Musiker von damals dabei?

Andrej Hermlin: Ja, aber nur noch zwei. Wir haben uns gewandelt, was auch mit der Pandemie zusammenhing. Wir erlebten in der Zeit einen großen Bruch – wie viele andere auch. Nur sind wir damit anders umgegangen. Die meisten Musiker haben die Verbote akzeptiert. Wir wollten aber jeden Tag spielen. Meine Frau hatte die Idee, eine Sendung auf Facebook ins Leben zu rufen: „The Music Goes Round and Around“. 800 Sendungen, 800 Tage lang. Parallel dazu haben wir überall gespielt: in den Parks, auf der Straße, im Seniorenheim – überall, wo es ging und auch dort, wo es nicht ging, zur Freude der Polizei. Ich habe die Restriktionen, die man damals über dieses Land gelegt hat, in weiten Teilen für falsch gehalten. Dass man die Kunst praktisch zum Erliegen gebracht hat, war ein tragischer Irrtum.

Andrej Hermlin und sein „Swing Dance Orchestra“  kommen am 3. März nach Halle.
Andrej Hermlin und sein „Swing Dance Orchestra“ kommen am 3. März nach Halle.
(Foto: Veranstalter)

Mit Beginn der Sendungen haben wir eine neue Band gegründet: The Swingin’ Hermlins. Als größere Konzerte später wieder möglich waren, haben wir das Orchestra in veränderter Form auf die Bühne zurückgebracht. Mein Sohn David spielt jetzt das Schlagzeug, was der Band sehr gut getan hat. Zudem haben wir viele neue junge Musiker in der Band. Das gibt der Sache einen wilderen und frischen Anstrich. Meine Tochter Rachel hatte vorher schon im Orchester gesungen. Die bedeutendste Neuerung: Seit etwa einem Jahr schreibt David die Arrangements fürs Orchester. Er hat ein Talent, von dem wir alle nichts geahnt haben.

Wie macht sich das bemerkbar?

Andrej Hermlin: Wir spielen die Musik aus den 1930er Jahren nicht mehr einfach Note für Note nach. Wir spielen jetzt unsere eigenen Arrangements, so wie die Bands damals auch. Es gibt heute auf der ganzen Welt kein anderes Swingorchester, welches das so macht, wie wir. Damit sind wir ein Unikat.

Das macht einen Vater sicher glücklich, oder?

Andrej Hermlin: Natürlich macht mich das froh. Aus drei Gründen: Zum einen, weil ich weiß, wenn ich abtrete, geht es weiter mit dem Orchester – und mit Benny Goodman. Das war immer der Antrieb in meinem Leben. Ich wollte, dass diese Musik nicht vergessen wird. Durch die beiden weiß ich jetzt: Swing stirbt nicht. Zum anderen freue ich mich, dass Rachel und David etwas gefunden haben, was sie lieben. Und nicht zuletzt: Wir sehen die Kinder auch im Erwachsenenalter regelmäßig. Das macht meine Frau sehr glücklich. Diese Nähe ist sehr schön.

Ein Lied, das Ihre Tochter zum Festival „Women in Jazz“ in Halle gesungen hat, ist „Strange Fruit“. Mit „sonderbarer Frucht“ ist die Leiche eines gelynchten Schwarzen gemeint. Welche Rolle spielt Rassismus in Ihrem Leben?

Andrej Hermlin: Was soll ich sagen? Sie wissen, in welchem Land wir leben, und wie die Atmosphäre hier gerade ist. Ich selbst bin als Kind von Diskriminierung betroffen gewesen – in anderer Weise als meine Kinder, weil man mir das Nicht-Deutsch-Sein nicht auf den ersten Blick ansieht. Aber als Fünfjähriger haben mir die Nachbarskinder in Pankow „Russenschwein, Russenschwein“ hinterhergerufen. Diese Art der Ausgrenzung habe ich erlebt, auch antisemitische Hetze begegnete mir in der DDR. Bei David und Rachel gab es rassistische Diskriminierung durch Schulkameraden. Das ist sicherlich ein großer Schmerz für die beiden.

In der gegenwärtigen Lage bin ich – sagen wir mal – beeindruckt. Seit dem 7. Oktober, dem schrecklichsten Massaker, das es seit dem Holocaust an Juden gegeben hat, kommen in Deutschland plötzlich gewisse Dinge wieder zum Vorschein. Nach ein paar Tagen des betretenden Schweigens kam schnell dieses „Ja, aber“, die Morde der Hamas scheinen inzwischen vergessen, stattdessen wird die israelische Regierung kritisiert, Narrative werden bedient, die von islamistischen Terroristen vorgegeben werden.

Nicht, dass ich es nicht geahnt hätte, aber wenn es doch geschieht, macht das etwas mit einem. Ich kann mich doch im Grunde genommen auf niemanden mehr verlassen. Es gibt die extremen Rechten – gut, von denen habe ich eh nichts zu erwarten. Dann die Araber, die in den Straßen „Free Palestine“ rufen und „From the River to the Sea“, was nichts anderes bedeutet, als die Auslöschung Israels. Und es gibt eben auch ein dröhnendes Schweigen der sogenannten Kunstszene. Die, die sich sonst zu jedem Quatsch äußern, schweigen. Dazu eine sehr ambivalente Haltung in der deutschen Politik.

Ich erinnere mich noch daran, wie wir im Oktober am Brandenburger Tor aufgetreten sind – David, Rachel und ich – in Solidarität mit Israel. Die meisten dort waren Betroffene. Juden oder Ehefrauen, Ehemänner von Juden. Sonst war dort niemand. Jetzt gehen Zehntausende gegen Rechtsextremismus auf die Straße, zu Kundgebungen, die zum Teil von Israelhassern initiiert sind. Das macht mich misstrauisch. Ich verstehe meinen Vater jetzt sehr viel besser. Ich verstehe, wie er sich gefühlt haben muss Anfang der 1930 Jahre, als alles wegrutschte. Wir rutschen hier auch gerade weg. Es ist nur eine von vielen Krisen, mit denen Deutschland konfrontiert ist. Die Lage ist wenig erfreulich, um es zurückhaltend zu formulieren.

Sind Sie enttäuscht?

Andrej Hermlin: Man kann nur enttäuscht sein, wenn man sich etwas eingebildet hat, was es nicht gab. Menschen sind wie sie sind: sehr unterschiedlich. In uns allen wohnt Zwietracht und Hass, aber auch Liebe. Bei den einen überwiegt vielleicht der Neid und die Missgunst und bei den anderen ist es Liebe oder die Freude, anderen zu helfen. Man kann nur versuchen, sich mit Menschen zu umgeben, die zur letzteren Gruppe gehören. Oder die, die wütend sind, davon abzubringen. Haltung zeigen, darauf kommt es in solchen Zeiten an.

Das klingt dramatisch. Wie behalten wir in solchen Zeiten unsere gute Laune?

Andrej Hermlin: Mit Swing (lacht). Kommen Sie am 3. März zu uns ins Konzert. Das sind doch sehr erfreuliche Aussichten! Hoffnung verbreiten, Swing hat genau diese Funktion. Im Amerika der 1930er Jahre haben sich die Menschen ihren letzten Penny für den neusten Film mit Fred Astaire und Ginger Rogers abgespart. Für zwei Stunden in einer Traumwelt zu schweben, das ist doch was! Vielleicht liegt es daran, dass die Musik jetzt wieder so erfolgreich ist.