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Krisenintervention im Ehrenamt Krisenintervention im Ehrenamt: Erste Hilfe für verletzte Seelen

Von Katrin Löwe 04.04.2006, 18:38

Zwintschöna/MZ. - Die Schreie hat Kerstin Gorgas noch heute im Hinterkopf. Die Verzweiflung einer Mutter, deren Säugling an plötzlichem Kindstod starb. Damals war Kerstin Gorgas Rettungsassistentin. Und während sich das Einsatzteam noch um das Leben des Kleinkindes mühte, es ins Krankenhaus brachte, blieb die Mutter zurück. Zeit, sich um die Frau zu kümmern, gab es nicht.

Von Anfang an dabei

Die verzweifelte Mutter hat sich wenig später das Leben genommen. Ob sie den Schritt auch gegangen wäre, wenn es für sie eine Betreuung gegeben hätte, weiß niemand. Für Kerstin Gorgas aber war damals klar: "In solchen Fällen muss dringend jemand da sein, wenn wir die Angehörigen allein lassen müssen." Die 44-Jährige war eine der ersten, die sich deshalb im 1997 gegründeten Kriseninterventionsteam in Halle engagierten. Über die Rettungsleitstelle werden die Helfer vor allem alarmiert, wenn Todesnachrichten übermittelt werden müssen. "Wir begleiten die Angehörigen in der ersten Phase", sagt Gorgas. Begleiten heißt, die Menschen nicht allein zu lassen. Da zu sein zum Reden, weitere Angehörige oder Freunde zu informieren, Formalitäten zu erledigen und Angebote wie Selbsthilfegruppen oder Psychologen zu vermitteln. "Gerade Eltern, die ihr Kind verlieren, schaffen das nicht alleine. Sie schaffen es auch nicht ausschließlich mit uns", sagt die Frau aus Zwintschöna im Saalkreis nach jahrelanger Erfahrung.

Sie hat gelernt, mit den unterschiedlichsten Reaktionen umzugehen. Sie hat ein Gespür dafür entwickelt, ob Menschen ihre Hilfe nur im ersten Schock ablehnen. "Bei denen bin ich oft drei bis vier Stunden", sagt Gorgas. Zeit, die mit Reden verbracht wird, aber nicht selten auch mit Schweigen. "Man muss es einfach aushalten können, mal eine Weile nichts zu sagen", erklärt die Notfallbegleiterin. Das musste auch sie erst lernen. "Emotionale Ausbrüche sind leichter zu ertragen als Schweigen."

Was sagt man Menschen, die der Tod eines Angehörigen wie der Blitz aus heiterem Himmel trifft? Wie reagiert man auf Fälle wie den Unfall auf der Autobahn 9 bei Zerbst, bei dem zwei Frauen den tödlichen Unfall von drei Familienmitgliedern mit ansehen mussten? "Manchmal braucht man gar nichts zu sagen. Die Menschen stehen unter einem derart emotionalen Stress, dass nichts zu ihnen vordringt", sagt Gorgas. Da sein ist wichtig - so lange, bis andere die Betreuung übernehmen können. "Dann habe ich ein gutes Gefühl, wenn ich ruhigen Gewissens gehen kann." Das Gefühl ist es, was die 44-Jährige motiviert weiterzumachen. Die Kraft dafür holt sie sich in ihren Hobbys, beim Wandern und Fotografieren, im Erlebnisurlaub.

Kerstin Gorgas weiß, dass sie ein schweres Ehrenamt übernommen hat. Eines, das auch Kriseninterventions-Mitarbeitern an die Nieren geht. "Da kullern schon ab und an die Tränen mit. Aber man muss handlungsfähig bleiben", sagt sie. Das Abschalten nach einem Einsatz fällt dennoch nicht immer leicht. Gerade, wenn Kinder betroffen sind. Oder Assoziationen zum eigenen Leben bestehen. Tödliche Motorradunfälle setzen der Zwintschönaerin zu - ihr 23-jähriger Sohn Simon fährt selbst Motorrad.

Sport zum Abschalten

Nach schwierigen Einsätzen hilft Kerstin Gorgas oft "Sport bis an die Grenzen der Belastung" beim Abschalten. Dann geht sie schwimmen, joggen oder powert sich im Fitness-Studio aus. Sie hat Yoga gelernt, genießt lange Spaziergänge mit ihrem Mann. Regelmäßig treffen sich die Kriseninterventions-Teams auch, um Einsätze auszuwerten. Unter sich - "die Betroffenen müssen wissen, dass nichts nach außen dringt."

Kerstin Gorgas ist froh, dass die Akzeptanz der Krisenintervention in den vergangenen Jahren bei Rettungsdienst und Polizei gestiegen ist. Sie ist dankbar für die Unterstützung ihres Arbeitgebers - nach acht Jahren auf der Intensivstation und 15 Jahren als Rettungs-Assistentin ist sie seit 2003 beim Gesundheitsdienst bei BMW in Leipzig tätig. "Ich werde die Krisenintervention so lange machen, wie ich kann", sagt sie. "Hinter jedem Einsatz steckt viel Leid. Auch darum muss sich jemand kümmern."