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Konzert in Afghanistan Konzert in Afghanistan: "Formlos" rocken am Hindukusch

Von Ralf Böhme 13.07.2015, 11:49
Die Enge im Wohnwagen der Band stimmt schon auf den Wohncontainer im deutschen Feldlager in Afghanistan ein.
Die Enge im Wohnwagen der Band stimmt schon auf den Wohncontainer im deutschen Feldlager in Afghanistan ein. holger john Lizenz

Eilenstedt - Nächstes Ziel: Camp Marmal. Das liegt in Afghanistan, in der Nähe der Stadt Masar-e Scharif. Es ist das letzte Feldlager der Bundeswehr am Hindukusch. 850 Soldaten versehen dort Dienst. Vor ihnen spielt eine Band aus dem Harz, die sich „Formlos“ nennt, Ende Juli - voraussichtlich bei Temperaturen um die 40 Grad Celsius. Die fünf Freizeit-Rockmusiker sind sich einig: Ein Abenteuer erwartet sie. Aber das ist es nicht allein, was sie „heiß“ macht auf das Gastspiel - über 6 000 Kilometer von zu Hause entfernt.

„Highway to hell“ von ACDC. Damit endet die Generalprobe für Afghanistan - im Jubel, beim Biker-Treffen am Wochenende in Eilenstedt bei Halberstadt. Es ist weit nach Mitternacht, als „Formlos“ die kleine Bühne auf dem Sportplatz räumt. Noch ein Bier und noch ein Schnaps. Dann wird die Ausrüstung verstaut. Die Truppe klettert in ihren Wohnanhänger, selbst umgebaut. Der Einachser mit Miniküche, ein „Queck Junior“ aus DDR-Zeiten, ersetzt das Hotel. „Man muss sich schon gut verstehen“, sagt Sänger Michael Bleu, ein angehender Metallbau-Lehrling, zur Enge in der rollenden Herberge. Der 21-Jährige, wegen seiner Stimmgewalt von den Bikern auch „die Röhre“ genannt, flüstert hier.

Schlagzeuger Martin Juppe jedenfalls glaubt, dass die Band bei der Bundeswehr nicht mit viel mehr Komfort rechnen darf. „Unsere Unterkunft im Camp ist ein schmaler Wohncontainer“, berichtet der 25-jährige Bürokaufmann, der den Kontakt zur Bundeswehr hält. Von ihm stammt auch die Idee für den Auftritt vor Soldaten im Einsatz. Bassist Michael Schumann, hauptberuflich Musikinstrumenten-Händler, erinnert sich: „Das war um die Weihnachtszeit. Martin hatte einen Film über Afghanistan im Fernsehen gesehen.“ Gleich begeisterte Zustimmung bei den Kollegen? Fehlanzeige. Stattdessen Skepsis auf der ganzen Linie.

Warum die Band nach Afghanistan reist, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Afghanistan? Ein Land, aus dem fast nur schlechte Nachrichten kommen. Eine blutige Gegend, wo die Auseinandersetzungen mit Kämpfern der Taliban täglich neue Opfer fordern. Jonas Schlieter, der Kfz-Mechatroniker am Keyboard, sagt über einige Wochen der Diskussion: „Krieg gefällt uns überhaupt nicht. Aber die Soldaten sind doch unsere Leute,“ Der Mittzwanziger hat wie alle anderen Band-Mitglieder auch noch nie eine Kaserne von innen gesehen. Für Lead-Gitarrist Enrico Roth, der als Koch in Wernigerode arbeitet, ist mittlerweile klar: „Wir haben zwar keine politische Message. Aber die Jungs, die dort unten ihren Kopf hinhalten, haben allemal Party verdient.“

„Formlos“ ringt mit seiner Musik seit vier Jahren um die Gunst der Fans. Wöchentlich zwei Probennachmittage in einem Dorf bei Thale, jeden Monat drei, vier Auftritte - meist in Sachsen-Anhalt, manchmal in Hessen oder in Berlin. Eine CD mit ausschließlich deutschen Texten gibt es auch schon zu kaufen, ihr Titelsong „Der falsche Weg“. Manches auf der Scheibe klingt ziemlich martialisch, etwa nach „Freiwild“ oder „Rammstein“. Aber auch Hits, die schon die Eltern rockten, finden sich auf dem Programmzettel. Auf Wunsch gibt es auch was von den „Puhdys“ auf die Ohren.

Dem Einsatzführungskommando in Potsdam, auch zuständig für die Truppenbetreuung im Ausland, gefällt das Rock-Gewitter aus dem Brocken-Gebiet. Oberstleutnant Thomas Kolatzki: „Das kann auch am Hindukusch ein Highlight werden, auf jeden Fall ist so ein Auftritt eine willkommene Abwechslung und stärkt nach unseren Erfahrungen die Motivation der Soldaten.“ Man freue sich, wenn Künstler die Anstrengungen auf sich nehmen, um vor der Truppe auftreten zu können. „Wir von der Bundeswehr setzen alles daran, um die Sicherheit unserer Gäste zu gewährleisten.“ Dennoch, und das habe man auch der „Formlos“-Band erklärt, sei eine Reise nach Afghanistan natürlich mit einem erhöhten Risiko verbunden.

Wie die Musiker sich auf die speziellen Bedingungen einstimmen, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Schlagzeuger Martin Juppe stimmt seine Kollegen auf die speziellen Bedingungen ein. „Das Camp ist zwar ein Hochsicherheitstrakt. Trotzdem werden wir rund um die Uhr einen Betreuer an unserer Seite haben.“ Der sagt der Band dann in kritischen Situationen, wie sie sich zu verhalten haben. Auch wenn Angreifer das Camp wohl erst zweimal attackiert hätten, müssten die Insassen ihre Waffen ständig am Mann tragen - auch beim geplanten Konzert.

Die Freundin eines Band-Mitglieds, Vanessa Schmidt, hält die Vorsicht der Bundeswehr für eine richtige Entscheidung. „Schließlich sind die Jungs hier nur einfache Zivilisten ohne jegliche militärische Ausbildung - und das inmitten eines umkämpften Kriegsgebietes.“ Obwohl die 22-jährige Hotelfachfrau sich seit einiger Zeit viel mit den Verhältnissen in Afghanistan beschäftigt, bleibe sie selbst lieber daheim. „Ich bin erst beruhigt, wenn die Musiker nach dem Gastspiel wieder gesund und munter bei mir sind.“

Sänger Michael Bleu und die anderen Musiker wollen trotz der Sorgen ihrer Angehörigen fröhliche Optimisten bleiben. Nach dem Auftritt beim Biker-Treffen freuen sich erst einmal auf den Grillabend mit Freundinnen, Verwandten und Bekannten - am Tag vor der Abreise. Und wenn er etwas Grummeln im Bauch habe, sagt Martin Juppe als Initiator der Aktion, dann nur wegen der nicht ganz einfachen Landung in Camp Marmal. Weil Beschuss durch Aufständische drohe, so habe er von der Bundeswehr erfahren, werde der Militärflugplatz stets ungewöhnlich steil angeflogen. Und das vertrage nun mal nicht jeder der Passagiere - sprich: Betroffene müssen im Fall des Falles zur Tüte greifen. „Aber dann trifft es uns alle“, so Juppe. Denn keiner von ihnen sei bislang schon einmal geflogen. (mz)

Auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) besuchte das schwer bewachte Camp Marmal in Masar-e Sharif.
Auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) besuchte das schwer bewachte Camp Marmal in Masar-e Sharif.
dpa Lizenz