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Kölner Stadtarchiv Kölner Stadtarchiv: Noteinsatz im schwarzen Loch

Von SIMON MÜLLER 05.04.2009, 17:26

KÖLN/DESSAU-ROSSLAU. - Beladen ist der Wagen mit vergilbtem Papier, das mit einer altertümlichen, schwungvollen Handschrift beschrieben ist. Zwei Frauen, auch sie tragen weiße Overalls, verstauen das zu kleinen Häufchen gestapelte Papier in große Kartons, die sie anschließend mit einem Filzstift nummerieren.

Marén Weigel und Silke Erler vom Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt und Thomas Brünnler von der Dessau-Roßlauer Außenstelle des Archivs machen hier, in einer fast fensterlosen Lagerhalle im Süden Kölns, gerade ihre letzte Arbeitsschicht. Sie gehören zu der Schar von freiwilligen Helfern, die nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs in die Domstadt gekommen ist.

Fast fünf Wochen sind vergangen, seitdem Dokumente aus über tausend Jahren unter Schutt begraben wurden. Ein katastrophaler kultureller Verlust, der das deutsche Archivwesen in den Ausnahmezustand versetzt hat. Archivare aus ganz Deutschland sind angereist, um zu retten, was noch zu retten ist. Oft sind es nur noch Fetzen und Schnipsel, die von mittelalterlichen Urkunden und Chroniken oder Stadtrats-Protokollen von 1983 übrig sind.

Immerhin zehn von insgesamt 25 Regalkilometer Akten konnten schon geborgen werden, darunter der Nachlass von Konrad Adenauer und Teile der berühmten Schreinsurkunden, die mittelalterliche Besitzverhältnisse dokumentieren. Mit Handfegern entfernen die freiwilligen Helfer den gröbsten Schmutz, sortieren das Material nach feucht und trocken, nummerieren und verzeichnen jedes zerknitterte Pergamentstückchen.

Aufgeteilt in zwei je siebenstündige Schichten sind hier jeden Tag bis zu 100 Freiwillige im Einsatz. Marén Weigel, Silke Erler und Thomas Brünnler sind mit vier weiteren Mitarbeitern des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt für fünf Tage nach Köln gereist. Ulrike Höroldt, die Leiterin des Landeshauptarchivs, hatte auf einer Konferenz vom Hilferuf der Kölner Kollegen erfahren und daraufhin eine Rund-Mail an ihre Mitarbeiter verschickt. Weigel, Erler und Brünnler haben sofort ihre Bereitschaft zugesagt. Aus Verbundenheit zu Kölner Archivaren. "Wir wissen ja, was dieser Einsturz für sie bedeuten muss: An den verschütteten Beständen hängen Berufsleben, ja Existenzen. Da sind Dinge, die Jahrhunderte überdauert und Kriege überstanden haben einfach innerhalb von Sekunden in einem schwarzen Loch verschwunden."

Nach ihrer ersten Schicht sind die drei zur Unglücksstelle gefahren. Unbeschreiblich sei das gewesen, sagt Silke Erler. Ein Bagger habe gerade die Trümmerteile abgetragen, aus der Schaufel habe man die Akten hängen sehen. "Ich dachte nur: Oh Gott."

Ein weiterer Gitterwagen ist inzwischen abgeräumt. Die beschrifteten Kartons, in denen das Archivgut verstaut ist, werden auf einer Palette gestapelt und mit Folie umwickelt. Ein Lastwagen bringt sie zur Zwischenlagerung in eines der Archive im Umland, wie das des Erzbistums Köln oder der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn. Ein kurzes Klingeln ist zu hören, der Signalton des Fahrstuhls. Aus dem unteren Stockwerk, wo das Archivgut vorsortiert wird, ist eine neue Fuhre feuchtes Material gekommen. Brünnler räumt es auf den Gitterwagen. Vorsichtig breitet er das wellige Papier aus. "Damit es besser trocknen kann." Einige Meter weiter schiebt er eine von der Decke hängende Wand aus grauen Planen zur Seite und den Gitterwagen hinein. Hinein ins Trockenzelt. Hier steht eine etwa Kommoden-große Maschine: Ein Bautrockner, der die Luft ansaugt und mit einer Luftfeuchtigkeit von nur noch 30 Prozent wieder heraus bläst.

Bei diesem Wert trocknet das Papier, wird aber nicht brüchig. Nach etwa zwölf Stunden im Trockenzelt kann das Archimaterial verpackt werden. Dafür sind dann wieder Marén Weigel und Silke Erler zuständig. Sie kennzeichnen gerade die letzten Kartons. Ihre letzte Schicht ist gleich zu Ende, es ist kurz vor 14 Uhr. Wieder liegen dann sieben Stunden Arbeit im Stehen, unterbrochen von einer Frühstückspause mit Kaffee und einem halben Brötchen, hinter ihnen.

Ein Shuttle-Bus wird sie in die Unterkunft des städtischen Versorgungsamtes bringen, wo die Helfer einquartiert sind. Schlichte Zimmer mit Stockbetten. "Die reichen völlig aus", sagt Marén Weigel. Das erste, was sie in der Unterkunft machen werden, ist duschen. "Überall sitzt der Staub." Am Nachmittag geht dann der Zug wieder in Richtung Heimat, Umsteigen in Hannover, Ankunft in Magdeburg gegen 21 Uhr.

Die Rettung der Archivalien wird sich noch über Monate erstrecken, ein Ende ist nicht in Sicht. Wenn ihre Hilfe noch mal gebraucht werde, das sagen Marén Weigel, Silke Erler und Thomas Brünnler unisono, würden sie gerne wiederkommen. Jederzeit.