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"Klasse Allgemeinmedizin" "Klasse Allgemeinmedizin": Andreas Klement über das Medizinstudium Landärzte und Stipendien

11.12.2013, 06:28
Die „Klasse Allgemeinmedizin“ wurde begrüßt von Michael Gekle, Dekan der Medizinischen Fakultät der MLU, Thomas Klöss, Ärztlicher Direktor des Uniklinikums, Burkhard John, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalts und Andreas Klement, Leiter der Sektion Allgemeinmedizin (1. Reihe von links).
Die „Klasse Allgemeinmedizin“ wurde begrüßt von Michael Gekle, Dekan der Medizinischen Fakultät der MLU, Thomas Klöss, Ärztlicher Direktor des Uniklinikums, Burkhard John, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalts und Andreas Klement, Leiter der Sektion Allgemeinmedizin (1. Reihe von links). Universitätsklinikum Lizenz

Halle (Saale)/MZ - Mit 20 neuen Studierenden ist die „Klasse Allgemeinmedizin“ in den nunmehr dritten Jahrgang gestartet. Es handelt sich um ein Lehrprojekt der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, das internationalen Vorbildern folgt. Zukünftige Mediziner werden vom ersten Semester an auf eine spätere Tätigkeit als Haus- oder Landarzt vorbereitet. Andreas Klement, Leiter der Sektion Allgemeinmedizin, hat es 2011 mit seinen Kollegen aus der Taufe gehoben. Bärbel Böttcher sprach mit dem Honorarprofessor, der selbst in einer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis tätig ist, über das Projekt.

Herr Professor Klement, die „Klasse Allgemeinmedizin“ wird auch als Rezept gegen den Nachwuchsmangel bei Haus- und Landärzten bezeichnet. Nachwuchs ist hier rar. Warum können sich so wenige Medizinstudenten vorstellen, später mal in diesem Bereich zu arbeiten?

Klement: Was viele Studierende abschreckt, ist ein falsches Bild, das sie vom Hausarzt im Kopf haben: Es ist scheinbar der „Facharzt für Banalitäten“, jemand, der weit weg ist von „richtiger Medizin“, der nur Formulare ausfüllt, ein schlechtes soziales Ansehen hat und auch von den Mediziner-Kollegen wenig respektiert wird. Auch spielen vermutete schlechte ökonomische Bedingungen und große wirtschaftliche Gefahren eine Rolle.

Wäre es nicht Aufgabe des Medizinstudiums, dies zu korrigieren?

Klement: Allgemeinmedizin ist erst seit 2004 ein Pflichtfach im Medizinstudium. Aber auch heute nimmt das Fach, in dem jeder vierte berufstätige Arzt in Deutschland arbeitet, im Regelstudium von mehr als 5 500 Stunden insgesamt nur 50 bis 55 Stunden, also nur ein Prozent, ein. Zudem kommt es sehr spät im Studienverlauf.

Da kommt nun die „Klasse Allgemeinmedizin“ ins Spiel.

Klement: Die Allgemeinmedizin ist ein Ausbildungsstrang, der sich vom ersten Semester an durch das gesamte Studium zieht. Und zwar nicht nur theoretisch mit Vorlesungen und Seminaren, sondern auch praxisorientiert. Denn jeder Student der Klasse bekommt einen Mentor, mit dem er in engem Kontakt steht und bei dem er in den Semesterferien Praxistage absolviert. Das sind erfahrene Hausärzte, die in ländlichen Gegenden tätig sind, die viele Patienten unterschiedlichsten Alters versorgen, die ein breites Spektrum von Beratungs- und Behandlungsfällen zu bieten haben, viele Hausbesuche machen und aufgrund einer sehr lebendigen Sprechstunde mit wenig Technik auskommen. Ich denke, das ist der Ort, an dem hausärztliche Medizin am besten gelernt und ihre Bedeutung erfahren werden kann.

Aber das räumt noch nicht alle Vorurteile aus, die Sie gerade aufgezählt haben.

Klement: Die Mentoren spielen auch dabei eine wichtige Rolle. Sie können glaubwürdig vorleben, dass ein lebenswertes Leben auch als Hausarzt auf dem Land möglich ist, dass auch Zeit für Theaterbesuche und anderes ist. Früher gab es für Landärzte eine Residenzpflicht. Die wurde aufgehoben. Der Landarzt kann heute auch in der Stadt leben und auf dem Land arbeiten. Zudem ist der Einzelkämpfer, der sieben Tage die Woche 24 Stunden lang für seine Patienten erreichbar ist, ein Arztbild, das der Vergangenheit angehört. Praxisgemeinschaften, in denen beispielsweise auch eine junge Mutter in Teilzeit arbeiten kann, sind bei Neuniederlassungen heute die Regel. Auch die wirtschaftlichen Risiken, die mit einer Niederlassung als Hausarzt verbunden sind, halten sich in Grenzen. Die werden durch zahlreiche Förderinstrumente aufgefangen. Und - Hausärzte gehören inzwischen zu den besserverdienenden niedergelassenen Arztgruppen.

Sie setzen auf die Vorbildwirkung.

Klement: Ich will es mal so sagen: Der Österreicher Konrad Lorenz hat 1973 den Medizin-Nobelpreis für seine Studien über das Verhalten von Graugänsen bekommen. Er hat nachgewiesen, dass die Tiere demjenigen folgen, den sie zuerst sehen, wenn sie aus dem Ei geschlüpft sind. Im Falle der nobelpreiswürdigen Arbeit war das das bärtige Gesicht von Konrad Lorenz. Von ihm hat die Graugans auch fliegen gelernt - und ist doch immer wieder zu ihm zurückgekehrt. Das ist auch das didaktische Prinzip der „Klasse Allgemeinmedizin“. Ein frühzeitig präsentiertes, verlässliches und glaubwürdiges Vorbild wird nachgeahmt.

Seit diesem Jahr gibt es ein attraktives Stipendienprogramm der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalts, das sich an die „Klasse Allgemeinmedizin“ richtet. Welche Bedeutung hat das?

Klement: Bisher hatte das Projekt auch ohne Stipendienprogramm einen großen Zulauf - wir haben insgesamt deutlich mehr Bewerbungen als Plätze. Dennoch ist das Stipendienprogramm zu begrüßen. Es ist ein Ausdruck von öffentlicher äußerer Wertschätzung für die innere Motivation und hohe zusätzliche inhaltliche und zeitliche Lernbereitschaft der Studierenden im Projekt.

Studenten, die sich für das Stipendium entscheiden, legen sich sehr früh auf einen Weg fest - für eine Niederlassung in Sachsen-Anhalt.

Klement: Für das Stipendienprogramm gibt es internationale Vorbilder. Im US-Staat Pennsylvania ist in den vergangenen 30 Jahren inzwischen jeder dritte berufstätige Landarzt aus diesem Programm hervorgegangen, obwohl nur ein Prozent der dortigen Medizinstudenten daran teilgenommen hat. Ob das hier funktioniert, bleibt abzuwarten. Es dauert etwa 13 Jahre, bevor ein Hausarzt fertig aus- und zum Facharzt weitergebildet ist. Und ob so eine Selbstverpflichtung, die heute eingegangen wird, 13 Jahre später noch zur Lebensrealität passt, ist tatsächlich eine offene Frage. Umso wichtiger ist es, nicht nur am Anfang einen finanziellen Anreiz zu setzen und zu hoffen, am Ende eine Gegenleistung abrufen zu können. Dazwischen muss in den Herzen und in den Köpfen etwas passieren. Im Klartext: Es muss ein kontinuierliches Lehrangebot gemacht werden. Insofern ist das Stipendienprogramm das Sahnehäubchen für die Klasse - aber nicht der Kuchen. Mein Anliegen ist ein geschmack- und gehaltvoller Kuchen unter dem Sahnehäubchen.