Kinderhospiz Kinderhospiz: Nicht alle kommen zum Sterben
MARKKLEEBERG/MZ. - Genauso wie die zwei fast lebensgroßen, braunen Bären aus Plüsch, die links und rechts vom Eingang stumm grüßen. Als Heike Steinich aus der Tür kommt, bleibt die erwartete Geräuschkulisse aus kindlichem Gewusel und Geplapper aus. "Bei uns gibt es keinen Krach", sagt sie. Und es klingt fast so, als würde sie sich wünschen, dass es ab und an auch anders wäre.
Doch die Hausherrin wirkt entspannter als erwartet - gemessen an der Tatsache, dass sie einen der wohl schwersten Berufe ausübt, die es gibt: Sie ist Pflegedienstleiterin im "Bärenherz", dem ersten - und bislang einzigen - stationären Kinderhospiz für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
In ihrem Büro stehen Kerzen, in die mit Goldschrift die Namen "Hanna" und "Freya" graviert wurden. Erinnerungen an kleine Bewohner, die gestorben sind. Mit dem Tod müsse man immer rechnen, sagt Steinich - schließlich sind die Kinder und Jugendlichen, die hier wohnen, unheilbar krank.
Doch nicht alle kommen zum Sterben in das idyllisch gelegene Haus nahe des Cospudener Sees. Denn das Kinderhospiz versteht sich auch als Erholungsort für die erkrankten Kinder sowie deren Eltern und Geschwister. Hier können sich die Eltern aus der Pflege zurückziehen, sie können mit Mitarbeitern und anderen betroffenen Eltern reden oder Ablenkung finden. Oft freuten sie sich schon darüber, einfach einmal nur zu schlafen, erzählt Heike Steinich. "Das Familienleben läuft ja sonst oft jahrelang wie nach Dienstplan."
Von der Diagnose an können die kranken Kinder in dem Hospiz betreut werden, das im Mai vorigen Jahres eröffnet wurde. Zwölf Plätze stehen zur Verfügung. In der oberen Etage gibt es zudem fünf kleine Wohnungen für die Eltern und die gesunden Geschwister.
Die Kosten des Aufenthalts werden anteilig von den Krankenkassen übernommen, sagt Steinich. "Die Differenz zu den tatsächlichen Kosten - rund 90 Prozent - wird durch Spenden abgedeckt." Seit Ende 2005 unterstützt der Verein "Kinderhospiz Bärenherz Leipzig" mit Hilfe der "Bärenherz Stiftung" aus Wiesbaden betroffene Familien. "Mittlerweile betreuen wir 43 Familien - einige seit mehreren Jahren", sagt Heike Steinich. Manche Kinder kommen für ein Wochenende im Jahr. Andere bleiben mehrere Wochen.
Musik als Therapie
Wie der eineinhalb Jahre alte Eric aus Thüringen, dem Krankenschwester Franziska in der Kuschelecke des Aufenthaltsraums das Fläschchen gibt, bevor es an diesem Vormittag zur Musiktherapie geht. Er ist ohne seine Eltern zu Gast im Kinderhospiz. Durch eine Hirnmissbildung kann er seinen Kopf nicht selbst halten. Er ist zu schwer. "Eric kann nicht sitzen, stehen oder laufen und wird auch nicht sprechen lernen", sagt Steinich, die früher als Kinderkrankenschwester in einer Klinik gearbeitet hat. Wie viel Zeit er noch hat, darüber möchte sie nicht mutmaßen. Zwar kann Erics Gehirn die Dinge, die er sieht, nicht in Bilder umsetzen - doch er hat ein gutes Gehör. "Er liebt Männerstimmen", so Steinich. Genauso mag er es, wenn ihm Musiktherapeutin Christiane Brock aus Halle eine Gitarre auf den Bauch legt und an den Saiten zupft. "So kann ich Kontakt zu ihm aufnehmen", sagt sie.
Nach Angaben des Bundesverbandes Kinderhospiz leben in Deutschland etwa 23 000 Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre, die unheilbar und lebensbegrenzt erkrankt sind. "Jährlich sterben etwa 3 000 Kinder und Jugendliche an einer solchen Erkrankung", sagt die Geschäftsführerin des Verbandes, Sabine Kraft. Dabei handele es sich vorwiegend um Stoffwechsel- und Muskelerkrankungen, Schäden durch die Geburt und Krebs.
Die Idee der Kinderhospizarbeit stammt ursprünglich aus England. Eine anglikanische Schwester gründete Anfang der 1980er Jahre in Oxford das erste Kinderhospiz. "In Deutschland gibt es sie erst seit etwa zehn Jahren", so Kraft. Seither seien acht stationäre Kinderhospize entstanden, vier weitere befinden sich in der Planung.
Außerdem gibt es laut Kraft deutschlandweit rund 55 ambulante Kinderhospizdienste. "Der Bedarf daran ist wesentlich höher, weil sie keine großen Regionen abdecken können", sagt sie. Da es sich um ein "höchst angstbesetztes Thema" handele, wenn Kinder schwer erkranken, sei es wichtig, dass die Familien Unterstützung bekommen.
Von den Kindern beeindruckt
"Die Eltern wissen oft nicht, wie sie damit umgehen werden, wenn ihr Kind stirbt", so Kraft. Für den Fall, dass dieser Tag merklich näher kommt, gibt es im Kinderhospiz "Bärenherz" einen speziellen Raum. Er ist so farbenfroh eingerichtet wie die anderen Kinderzimmer. Der Unterschied: Gleich nebenan befindet sich ein Zimmer für die Eltern. "Das Wissen darum, dass sie Zeit haben, sich von ihrem Kind zu verabschieden, macht die Eltern viel ruhiger", sagt Heike Steinich. Beeindruckt ist sie immer wieder von den Kindern selbst, die spüren, dass sie sterben werden: "Sie sortieren ihr Leben. Da heißt es: ,Der kriegt den Plüschhasen und der die Mundharmonika.' Und oft geben sie ihren Eltern noch einen Auftrag für die Zeit danach." Den Tod akzeptieren, auch darum geht es im Kinderhospiz. "Es ist immer traurig", sagt Heike Steinich. "Doch das Wichtigste ist, dass gute Erinnerungen bleiben."