Interview mit dem Arbeitsminister Interview mit dem Arbeitsminister: Norbert Bischoff über teure Träume, Mindestlohn und Konsequenzen

Magdeburg/MZ - Herr Minister, haben Sie gespart?
Bischoff: Ja.
Das ist beruhigend. Dann werden es Ihre vier Söhne als Rentner gut haben.
Bischoff (lacht): Ich hoffe, dass die sich selber versorgen können.
Sie gehen also davon aus, Ihre Kinder werden von der eigenen Rente leben können?
Bischoff: Ja, davon gehe ich aus. Aber Altersarmut ist natürlich ein Thema. Ich glaube, um die zu vermeiden, müssen wir das Rentensystem umbauen. Wir brauchen ein System, dass deutlich stärker auch mit Steuergeld arbeitet. Immer weniger Menschen werden für die Wertschöpfung benötigt. Da haben viel die Maschinen übernommen. So kann es für die Rente nicht ausreichen, allein auf die Versichertenbeiträge zurückgreifen zu wollen.
Apropos Rentensystem. Viele Menschen im Osten können nicht verstehen, dass nach mehr als 20 Jahren Einheit noch immer kein einheitliches System besteht. Geht das Ihnen auch so?
Bischoff: Auch ich bin von einer schnelleren Angleichung ausgegangen. Die Schwierigkeit besteht aber darin, bei einer Angleichung nicht neue Ungerechtigkeiten entstehen zu lassen – weder in Ost, noch in West. Ich habe den Eindruck, dass aktuell niemand ein schlüssiges Konzept hat. Das Ungerechtigkeitsempfinden bei den Menschen im Osten wird auch dadurch verstärkt, dass die meisten von ihnen ausschließlich auf eine gesetzliche Rente angewiesen sind. Im Westen dagegen kommen Betriebsrenten, Vermögen und anderes hinzu.
Im Rentenkonzept der SPD ist eine Angleichung bis 2020 vorgesehen.
Bischoff: Ich bin ja schon froh, dass überhaupt ein Datum – wenn auch in einiger Entfernung – genannt wird. Hier haben die Ost-Parteiverbände auch Druck gemacht, denn ursprünglich war das so gar nicht vorgesehen. Aber wie wir nun zu einer solchen Angleichung kommen, das weiß deshalb immer noch keiner. Fairer Weise muss ich aber anfügen: Ich glaube, auch alle anderen Parteien wissen das nicht.
Sie sind derzeit Vorsitzender der Arbeits- und Sozialminister-Konferenz. Wie werden Sie die Zeit nutzen, das Thema Rentenangleichung voranzutreiben?
Bischoff: Ich werde immer wieder anmahnen, dass endlich Konzepte auf den Tisch gelegt werden, mit einer inhaltlich und zeitlich klaren und verbindlichen Perspektive.
Das ist sehr pauschal. Nehmen wir ein Beispiel: DDR-Diplomchemiker werden bei der Rente benachteiligt, weil in ihrer Berufsbezeichnung das Wort „Ingenieur“ fehlt. Vor Gerichten sind sie gescheitert und hoffen nun auf eine Bundesratsinitiative von Ihnen. Wird es die geben?
Bischoff: Nein, die wird es nicht geben. Ich kann den Ärger der Betroffenen verstehen. Aber eine Bundesratsinitiative macht nur Sinn, wenn wenigstens die neuen Länder auch mitziehen. Aber das machen sie nicht. Ich habe alle neuen Länder angeschrieben und die Reaktion war negativ. Und in den alten Ländern wird das Thema erst recht nicht interessieren. Sicher, eine Bundesratsinitiative wäre eine Möglichkeit gewesen, das Thema wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Aber ohne Aussicht auf Mehrheit kann eine solche Aktion nur scheitern. Alle haben Angst, dass dann ein Fass ohne Boden aufgemacht wird und sich andere Berufsgruppen melden. Und das wäre dann nicht zu bezahlen.
Für die Betroffenen ist das unbefriedigend.
Bischoff: Das sage ich ja. Aber ich denke auch, dass all die Ungerechtigkeiten, die es bei der Renteumstellung nach der Einheit gegeben hat, jetzt ohnehin nicht mehr völlig ausgeglichen werden können. Neben den Chemikern gibt es viele andere Berufsgruppen, die betroffen sind. Und vergessen wir nicht: Es gibt auch Berufsgruppen, die in der DDR überhaupt nicht die Chance hatten, in den Genuss eines Zusatzversorgungssystem zu kommen. War das gerecht?
Es sieht ganz danach aus, dass die Politik auf eine biologische Lösung setzt.
Bischoff: Das Gefühl kann man entwickeln. Im Bundestag bewegt sich nichts. Soll also die Zeit das Problem lösen? Ich finde es wichtig, den Menschen wenigstens eine Perspektive aufzuzeigen – und zwar konkret und realistisch. Auch wenn Einzelne sagen werden, das kommt alles viel zu spät. Aber ein Ziel muss her. Gar nichts zu tun, das halte ich für viel schlimmer.
Das heißt, die Rentenangleichung ist ein spezielles Ost-Thema. Und dieses Ost-Thema schafft es nicht, bundespolitisch eine Rolle zu spielen.
Bischoff: So sehe ich das.
Reden wir über die Rentner von morgen. Das Ideal, nach der Ausbildung oder dem Studium einen unbefristeten Job zu bekommen, gibt es kaum noch. Damit ist Altersarmut programmiert...
Bischoff: Hier muss man drei Gruppen betrachten. Erstens gibt es kurz- und mittelfristig eine Rentnergeneration, die aufgrund unterbrochener Erwerbsbiografien nach der Einheit vielfach nur eine Mindestrente haben wird. Da sehe ich auch keine großen Chancen, noch etwas zu verändern. Dann gibt es zweitens diejenigen, die heute um die 40 Jahre jung sind und vielfach im Niedriglohnsektor beschäftigt sind. Für die brauchen wir einen Mindestlohn. Selbst die aktuell geforderten 8,50 Euro sind dabei nicht viel, wenn man bedenkt, dass erst ein Stundenlohn von etwa 12,10 Euro zu einer Rente führt, die über dem Grundsicherungsniveau liegt. Insoweit sind 8,50 Euro Mindestlohn auch noch nicht das Ende der Fahnenstange. Und drittens habe ich die junge Generation von heute vor Augen und bin mir sicher, da haben wir nicht das große Rentenproblem. Der Fachkräftebedarf in den Firmen wird dazu führen, dass sie - wenn sie gut ausgebildet sind - eine gut bezahlte Stelle kriegen werden und sich frühzeitig um ihre Altersvorsorge kümmern können.
Wir haben die Situation, dass die Zahl der Ausbildungsplätze höher ist als die Nachfrage. Gleichzeitig klagen viele Unternehmen, dass den Kandidaten elementare Kenntnisse in Deutsch und Mathe fehlen und sie soziale Normen nicht einhalten.
Bischoff: Das ist eines der Probleme, die mich am meisten beschäftigen. Die Situation ist doch die, dass die Betriebe in den vergangenen 20 Jahren in Ost wie West eine große Auswahl unter den Jugendlichen hatten. Sie konnten sich die besten Lehrlinge aussuchen, weil der Markt groß genug war. Jetzt ist die Situation anders. Das kann man beklagen. Man kann aber auch etwas tun - zum Beispiel junge Leute über Einstiegsqualifizierungen fit machen. Wir unterstützen solche Projekte mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds. Viele Jugendliche begreifen erst im Arbeitsleben, wozu sie Mathematik und anderes brauchen, viele lernen zum ersten Mal eine Gemeinschaft kennen, erfahren zum ersten Mal Wertschätzung. Ich glaube, das Problem wird von der Wirtschaft größer geredet.
Sie wollen also eher Fördern als Fordern?
Bischoff: Ich bin überzeugt, dass man Menschen erst mitnehmen – also fördern - muss und sie dann im zweiten Schritt auch fordern kann. Man sollte also schon mit dem Fördern beginnen. Nur Fordern schafft Überforderung und Resignation.
Es gibt eine Gruppe von Beschäftigten, beispielsweise Friseurinnen, deren Einkommen nur knapp über dem ALG-II-Niveau liegt. Manche haben ein Problem damit, dass sie morgens aufstehen müssen, zur Arbeit gehen und am Ende des Tages kaum mehr verdienen, als andere, die staatliche Leistung bekommen...
Bischoff: Deshalb muss der Mindestlohn her. Friseurinnen haben ein Recht auf faire Bezahlung. Und dennoch ist über die Bezahlung hinaus wichtig, dass Menschen in Arbeit sind. Arbeit heißt gesellschaftliche Teilhabe und Wertschätzung. Insoweit weiß ich, dass dies provokativ klingen mag, aber ich halte es für wichtig, überhaupt eine Arbeit zu haben, statt ohne Arbeit zu Hause zu sitzen.
Aber finden Sie das ungerecht, dass diese Menschen für wenig Geld den ganzen Tag arbeiten, während andere Hartz IV beziehen und quasi das gleiche Einkommen haben?
Bischoff: Klar doch, das habe ich doch auch gesagt. Und deshalb noch einmal deutlich: Ich bin überzeugt davon, dass wir in den nächsten vier Jahren einen Mindestlohn kriegen. Und die 8,50 Euro sind erst der Anfang.
Ist das ein Allheilmittel? Wir leben in einem Bundesland wo die Menschen sehr preissensibel sind. Der Mindestlohn könnte beispielsweise den einen oder anderen Friseur in Bedrängnis bringen, weil die Kunden nicht bereit sind, plötzlich 40 Prozent mehr zu zahlen.
Bischoff: Zunächst mal zur Friseurin. Bereits heute zahle ich für einen Herrenschnitt mit Waschen rund zwölf Euro und ich verlasse das Friseurgeschäft spätestens nach einer halben Stunde. Zweitens glaube ich schon, dass Branchen, die jetzt deutlich weniger zahlen mit der Einführung von Mindestlöhnen Probleme und damit vorübergehend auch Arbeitsplatzprobleme bekommen werden. Aber - in allen Staaten, die den Mindestlohn eingeführt haben, hat sich das wieder ausgeglichen. Das generelle Thema ist für mich eher, ob wir uns nicht manchmal selber den Ast absägen, auf dem wir sitzen, wenn alles immer nur billig sein muss. Wettbewerb muss mehr sein als ein Preis-Unterbietungs-Kampf.
Für den Mindestlohn gibt es eine breite Zustimmung in der Gesellschaft. Aber muss man sich nicht auch über die Konsequenzen klar und bereit sein, künftig als Kunde mehr zu bezahlen?
Bischoff: Absolut. So sehr ich nachvollziehen kann, dass Preisvergleiche richtig und wichtig sind. Aber immer nur billig ist falsch. Es gibt Menschen, die haben sehr viel Geld und für die ist ein Auto dennoch kein Status-Symbol. Das sind Menschen, die finden ihr Glück nicht über Geld und teure Dinge, sondern über Beziehungen zu anderen Menschen.