Internet-Stalking Internet-Stalking: Der digitale Psychoterror
Naumburg/MZ. - "Wie bitte?!" Die Geschäftsfrau aus Naumburg (Burgenlandkreis) ist schockiert. Pädophilen-Reisen buchen? Bei ihr? "Das ist doch abartig. Ich bin selbst Mutter und habe eine kleine Enkelin." Kinderschändern Angebote zu machen - undenkbar für die Unternehmerin. Fassungslos schaut sie auf eine E-Mail, in der ihr genau das unterstellt wird.
"All-inclusiv-Reisen für Pädophile. In unseren Privatclubs können Sie als Pädophiler ungestört ihren Neigungen frönen" verspricht ein vermeintliches "Reisebüro für Pädophile" per elektronischer Post. Was folgt ist eine Liste mit mehr als 50 deutschlandweiten Buchungsadressen - darunter zwei in Halle und Naumburg. Recherchen indes lassen schnell klar werden: Mit Pädophilen hat der Fall nichts zu tun. Auch Oberstaatsanwalt Peter Vogt von der Zentralstelle zur Bekämpfung von Kinderpornografie in Halle winkt ab.
Statt dessen ist die Mail Zeichen eines Trends, den Forscher zunehmend erkennen: Stalking per World Wide Web. "Das Internet wird inzwischen sehr stark von Stalkern genutzt", sagt Stalking-Forscher Dr. Jens Hoffmann von der Technischen Universität Darmstadt. Von Menschen, die anderen nachstellen, sie bedrohen, verleumden. Lauerten die Täter ihren Opfern bisher an der Haustür auf oder terrorisierten sie per Telefon, so überschütten sie die Opfer nun mit Mails, ziehen per elektronischer Post oder auf Webseiten und in Internetforen über sie her.
Das geht, sagt Hoffmann, von Rufmord über "Gerechtigkeitsfeldzüge psychisch kranker Täter" bis hin zu Männern, die auf Sexseiten die Privatadresse ihrer ehemaligen Partnerin oder Nacktfotos von ihr hinterlegen. "Mancher Stalker fürchtet im Internet weniger Konsequenzen oder hat weniger Hemmungen", so Hoffmann. Nicht immer bleiben die Täter allerdings anonym. 60 Prozent der Cyber-Stalker, ergab eine Studie der TU Darmstadt, sind Ex-Partner.
Hoffmann rät, Anzeige bei der Polizei zu erstatten. "Viele Cyber-Stalker leben zurückgezogen. Für sie ist es sehr ernüchternd, wenn die Polizei vor der Tür steht und ihre Tat in die reale Welt überschwappt", sagt er.
Im Fall des angeblichen Pädophilen-Reisebüros laufen inzwischen Ermittlungsverfahren wegen Stalkings in Bremerhaven und Konstanz - ausgelöst durch einen Rechtsanwalt aus Nordrhein-Westfalen, der als vermeintlicher Hauptanbieter in der Liste steht.
Er sei nicht das erste Mal Opfer einer solchen Verleumdungskampagne, erzählt Uwe G. "Immer wieder erstatte ich Anzeige, anders wehren kann ich mich nicht." Sich ständig in seinem beruflichen Umfeld rechtfertigen zu müssen, belastet ihn sehr. Die neuerliche Mail war offenbar gezielt in seiner Region und unter verschiedenen Medien gestreut worden. Unklar sei ihm und einem weiteren Hauptopfer aber, wie der Rest der Liste zustande kam. Offenbar handelt es sich um willkürlich aus dem Internet kopierte Daten - zum großen Teil von Finanzdienstleistern.
Die mutmaßlichen Täter kennt Uwe G., einen von ihnen hat er selbst schon - erfolgreich - als Anwalt vertreten. Dennoch tun sich die Ermittler derzeit noch schwer. "Die Zuordnung solcher Mails auf einen Beschuldigten ist oft nicht ohne weiteres möglich", erklärt Bremerhavens Staatsanwaltschaftssprecher Frank Schmitt. Zum Teil würden sie über Server im Ausland verschickt, in denen nur eine sehr kurze Aufbewahrungsfrist für Daten gilt, die eine Rückverfolgung zum ursprünglichen Internetanschluss zulassen. Auch die Staatsanwaltschaften registrieren zunehmendes Cyber-Stalking. "Früher waren es Briefe, die zu den Anzeigen dazugelegt wurden, heute sind es immer öfter Ausdrucke von Mails oder Internetseiten", so Schmitt.
Hoffmann rät grundsätzlich zu prüfen, welche Daten man von sich selbst im Internet preisgibt. Darauf hat die Naumburger Geschäftsfrau reagiert: Den Eintrag zu ihrer ohnehin nicht mehr existierenden Firma will sie jetzt umgehend von der Seite löschen lassen, auf der er noch steht.