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Ingenieurin Brigitte Baumann Ingenieurin Brigitte Baumann: Allein unter Männern in Russland

Von Steffen Höhne 08.03.2013, 20:15

Halle/Wittenberg/MZ - Ein ICE, der bei 40 Grad Hitze und minus 40 Grad Kälte ohne Fehl und Tadel funktioniert? Dies gibt es nicht, würden viele Bahnreisende in Deutschland wohl sagen. Doch, gibt es: in Russland. Dort fährt seit 2009 der von Siemens hergestellte Superschnellzug Sapsan - zu deutsch Wanderfalke - von Sankt Petersburg nach Moskau. Und eine Wittenbergerin sorgt dafür, dass der Betrieb der Züge reibungslos funktioniert.

Die Ingenieurin Brigitte Baumann ist Leiterin des Wartungswerkes des Sapsan. In Russland stellt sie vor allem eine deutsche Tugend unter Beweis: Pünktlichkeit.

Gebaut wird der Zug, der 250 Kilometer pro Stunde schnell fährt, im Siemens-Bahnwerk in Krefeld (NRW). Die Ähnlichkeit zum ICE ist unübersehbar, schließlich besitzen sie die gleiche Plattform. Im Detail gibt es allerdings einige, mitunter entscheidende Unterschiede.

600 Millionen Euro haben die Russen für die acht Prestigezüge gezahlt. Auf 30 Jahre hat sich Siemens für die Instandhaltung verpflichtet. „Mein Job ist es, dass der Kunde zufrieden ist“, sagt Baumann. Die russische Staatsbahn als Betreiberin des Zuges sei anspruchsvoll. Nicht nur im männerdominierten Eisenbahngeschäft in Russland ist sie als Werkleiterin die Ausnahme. Laut Schätzungen des Verbands der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik sind in Deutschland 85 000 von landesweit 700 000 Ingenieuren weiblich - das entspricht einem Anteil von etwa zwölf Prozent. Nur ein Teil dieser Ingenieurinnen ist in Führungspositionen.

Baumann, 60 Jahre alt, spricht unaufgeregt und bestimmt. Typ: Angela Merkel. Aufgewachsen in Wittenberg, begeisterte sie sich schon als Jugendliche für Physik und Maschinenbau. Sie studierte im ukrainischen Lwiw Mikroelektronik und war später in Teltow (Brandenburg), dem Zentrum der Automatisierungstechnik in der DDR, tätig. „Ich bin es gewohnt gewesen, meist allein unter Männern zu arbeiten“, sagt sie.

Dies änderte sich auch nicht, als sie 1997 zu Siemens wechselt. Erst arbeitet Baumann im Elektroniksektor, später in der Bahnsparte. Sie begleitet unter anderem den Aufbau der Montage für Chinas Hochgeschwindigkeitszüge. Dann erhält sie das Angebot, nach Russland zu gehen. Die Mutter von drei Kindern reizt die Herausforderung: „Schritt für Schritt haben wir das Instandhaltungswerk aufgebaut.“ Die meisten der 44 Mitarbeiter kommen von der russischen Eisenbahn und müssen sich mit der Technik erst vertraut machen. Nicht nur ihre guten Russischkenntnisse erleichtern ihr die Arbeit. „Die russische Eisenbahn ist ein Männerhaufen“, sagt sie. „Sachverstand wird aber schnell anerkannt.“

„Ich wünsche mir, dass wir ein Dankeschön bekommen – ob mit Blumen, einem Essen oder Worten.“

„Ich erwarte gar nichts. Man muss die Männer einfach nehmen, wie sie sind.“

„Frauen sollen auf ihre Anliegen aufmerksam machen und damit wahrgenommen werden.“

„Alles soll so bleiben, wie es ist. Ein wenig mehr Zeit mit meinem Mann wäre heute schön.“
enig mehr Zeit mit meinem Mann wäre heute schön.“

„Männer müssen mit uns Frauen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf streiten nicht nur am
Frauentag.“

„Mein Mann soll so lieb zu mir sein, wie immer. Wäre schön, wenn sich das nie ändert!“

„Ich wünsche mir gar nicht so viel, das dann aber das ganze Jahr über und nicht nur an einem Tag.“

„Männer, bleibt gelassen und selbstbewusst. Behandelt eure Frauen stets genauso, wie ihr es umgekehrt von ihnen wünscht!“

„Das ist ganz einfach: Ich erwarte heute ganz viel Arbeit. Darauf freue ich mich.“

„Frauen sind längst oben angekommen. Trotzdem könnte es zu Hause mal wieder Blumen geben.“

„Es wäre toll, wenn der Frauentag schon bald - nach der vollkommenen Gleichberechtigung - ganz überflüssig wird.“

„Solange es in Deutschland 25 Prozent weniger Lohn für Frauen gibt, ist Frauentag immer ein Thema.“

„Die Männer sollen charmant wie immer sein - und eine kleine Überraschung parat haben.“

„Eine nette Geste wäre, wenn mein Trainer Rene Sack jeden von mir im Training geworfenen Diskus einzeln
für mich einsammelt.“

„Ich erwarte am Frauentag von Männern nichts anderes als an den anderen Tagen auch.“

„Wir brauchen den Weltfrauentag, um kritisch darauf zu schauen, wie weit wir mit der Gleichberechtigung sind.“

Die Wartung und Reparatur der acht Hochgeschwindigkeitszüge erfolgt nachts und ist meist in weniger als vier Stunden abgeschlossen. Vor allem der Winter stellt Baumanns Mannschaft vor enorme Herausforderungen. „Auch bei minus 27 Grad und darunter müssen alle Komponenten intakt sein. So dürfen die Ventile nicht auf dem Weg in den Bahnhof vereisen“, erklärt sie. Da müsse jeder Handgriff sitzen.

Die Ansprüche der Russen an ihren Vorzeigezug sind hoch. Das „Handelsblatt“ berichtete, dass der russische Bahnchef Wladimir Jakunin im März 2011 eigens Siemens-Konzernchef Peter Löscher anrief, weil der Sapsan innerhalb eines Monats drei Verspätungen von mehr als fünf Minuten hatte. „Wir haben daraufhin die Störungsquellen weiter reduziert“, erzählt Baumann. Ohnehin sei der Sapsan, der mehr als 600 Fahrgästen Platz bietet, den klimatischen Bedingungen in Russland angepasst. „Alle Elemente des Zuges wie Technik, Isolation und Schmierstoffe sind für hohe Temperaturschwankungen ausgelegt“, sagt sie. So würde im Winterbetrieb die Kühlluft durch spezielle Luftkanäle vom Dach in die nahezu dichten Bodenwannen geleitet - Vorteile, die der Bruderzug ICE nicht besitzt.

Nicht ohne Stolz sagt Baumann: „Seit dem Start 2009 ist noch nie ein Zug auf der Strecke liegen geblieben und musste abgeschleppt werden.“ Die Pünktlichkeit liege bei 99 Prozent. Dies wird von den russischen Bahnfahrern honoriert: Denn auch die Auslastung des Wanderfalken liegt bei 98 Prozent.

Die Arbeit in Russland macht ihr Spaß. „Ich kann in vielen Dingen frei entscheiden“, sagt sie. Das selbstständige Arbeiten vermisst sie bei einigen russischen Mitarbeitern. „Es gibt die Mentalität, sich hinter dem Chef zu verstecken“, sagt sie.

Eine deutsche Ingenieurin, die beherzt Entschlüsse trifft, bleibt daher weiter gefragt.