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"Ich bin kein Alpha-Rüde" "Ich bin kein Alpha-Rüde": Burkhard Lischka nimmt Abschied vom Bundestag

Von Hagen Eichler 24.09.2019, 18:00
Der scheidende SPD-Politiker Burkhard Lischka vor dem Reichstagsgebäude in Berlin.
Der scheidende SPD-Politiker Burkhard Lischka vor dem Reichstagsgebäude in Berlin. Hagen Eichler

Berlin - Die letzte Bundestagsrede liegt hinter ihm, am Dienstag hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) den SPD-Politiker Burkhard Lischka verabschiedet. Nach zehn Jahren im Bundestag kehrt der Magdeburger in seinen alten Beruf als Notar zurück. Mit ihm sprach MZ-Redakteur Hagen Eichler.

Herr Lischka, als Sie 2009 in den Bundestag gewählt wurden, hatte die SPD eine schlimme Niederlage zu verdauen. Zehn Jahre später steht es sogar noch schlechter – flüchten Sie vor dem Niedergang Ihrer Partei?
Burghardt Lischka: Nein, mein Ausflug in die hauptberufliche Politik war immer als eine Episode in meinem Leben geplant. Die Bürger verlangen zu Recht von Politikern, dass sie zunächst im Beruf Erfahrungen sammeln und nach einem politischen Engagement nicht an ihren Sesseln kleben, sondern in ihren Beruf zurückkehren.

Die meisten tun das nicht. Wie sind die Reaktionen auf Ihre Entscheidung?
Lischka: Offenbar haben mir viele nicht geglaubt, was ich all die Jahre gesagt habe. Im Gegenteil, es hieß regelmäßig: Der hört mit der Politik auf, weil es der SPD so schlecht geht. Dass mein Rückzug so gewertet wird, bereitet mir auch ein schlechtes Gewissen.

Dies ist Ihre letzte Plenarwoche. Welches Gefühl überwiegt bei Ihnen – Erleichterung, Wehmut, Stolz?
Lischka: Rational ist es der richtige Schritt. Politik in diesem Tempo war auch mit Selbstaufgabe verbunden.

Worauf haben Sie verzichtet?
Lischka: Ein Beispiel: Meine 14-jährige Tochter ist Leistungssportlerin und ich hatte ihr versprochen, dass ich mir eines ihrer Kanurennen ansehe. Das war ein Sonnabend. Der Tag war dann aber so voll mit Terminen, dass ich erst angekommen bin, als sie bereits im Ziel ankam. In solchen Momenten wurde mir klar, dass ich auf viele Dinge verzichte - auch auf geliebte Menschen.

Sie stehen extrem früh auf, um Ihre Termine vorzubereiten. Was sind die Folgen?
Lischka: Ich hatte ein ständiges Schlafdefizit. Jeder Abend war verplant, bis 22 oder 23 Uhr und manchmal länger. Ich kann mich an viele Wochen erinnern, in denen ich nur vier, fünf Stunden Schlaf hatte. Das ist auf Dauer ungesund. Es gab Situationen kurz vor dem Ausgebrannt-Sein, und ich weiß, dass es manch´ anderem auch so geht.

Wie reagieren Bundestags-Kollegen auf Ihren freiwilligen Ausstieg?
Lischka: Viele sind verwundert, viele sagen: schade, dass du gehst. Von früheren Kollegen, die selbst freiwillig ausgeschieden sind, habe ich übrigens einhellig gehört, dass ihnen eine Last von den Schultern gefallen ist. Das Leben ist selbstbestimmter, es gibt wieder Wochenenden. Das ist Lebensqualität. Es wird natürlich auch Tage mit Wehmut geben.

Welche Fähigkeit nehmen Sie aus der Politik mit?
Lischka: Ich bin sehr stressresistent geworden. In brenzligen Situationen, wo manche hektisch werden, behalte ich einen kühlen Kopf. Da ziehe ich mir einen Panzer über.
Als frischgebackener Landesvorsitzender haben Sie 2016 Ihren Parteifreund Jörg Felgner zum Rücktritt als Wirtschaftsminister genötigt. Hatten Sie da den Panzer an?
Ja, das hat nach außen sehr kühl gewirkt. Man schneidet sich da gefühlsmäßig ab und tickt nur noch rational. Die Emotionen holen einen dann einen Tag später ein.

Sie haben im Bundestag viele Gesetze mitverhandelt. Was bleibt von Ihrer Zeit als Abgeordneter?
Lischka: Wahrscheinlich werde ich mich später gar nicht zuerst an die fünf Koalitionsverhandlungen erinnern, auch nicht an die Mietpreisbremse, die Asyl- und Sicherheitsgesetze bis zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Was bleibt, sind die Fälle, wo ich jemandem helfen konnte. Wo einem Kind die Operation von der Krankenkasse bewilligt wurde oder wo ich Geld für einen neuen Kinderspielplatz organisiert habe. Das hat mir immer am meisten Spaß gemacht.

Als SPD-Innenpolitiker waren Sie das Gegenüber von Horst Seehofer, der 2018 im Streit um Asyl die Koalition fast zum, Platzen gebracht hätte. Täuscht der Eindruck, dass Sie harte Kritik an ihm immer vermieden haben?
Lischka: Dieser Streit um ein paar Hundert Leute an den Grenzen hatte viel mit Armdrücken zu tun, mit dem Begleichen alter Rechnungen. Das habe ich ihm auch gesagt. Ich habe Seehofer aber auch anders kennengelernt. Er ist sehr viel besonnener, als er sich nach außen darstellt. Er gehört auch nicht zu den glattgeschliffenen Politikern. Menschlich habe ich größte Hochachtung vor ihm.

Als Sie krank waren, hat er an Sie gedacht.
Lischka: Ja, ich habe handschriftlich sehr persönliche Genesungswünsche von ihm bekommen. Das ist etwas, was in der Politik selten vorkommt.

Sind viele Politiker privat ganz anders?
Lischka: Meine Erfahrung aus dreizehneinhalb Jahren Politik ist: Keiner ist eine Maschine, das sind alles Menschen – teilweise sehr verletzliche Menschen. Politiker sind ein Querschnitt der Bevölkerung: viele nette, fleißige, ehrliche Frauen und Männer. Und einige, bei denen man die Straßenseite wechselt, wenn sie einem entgegenkommen.

Können Sie sich an Ihre erste Rede erinnern?
Lischka: O ja, das war zum Thema Afghanistan. Ich war tierisch nervös, und Hans-Christian Ströbele von den Grünen hat ständig dazwischengerufen - obwohl es ungeschriebenes Gesetz ist, dass man bei einer ersten Rede nicht dazwischenruft. Er kam dann später zu mir und hat sich entschuldigt. Man steht da im Scheinwerferlicht und versucht, keine Grimassen zu ziehen, weil live bei Phoenix eine Million Menschen zusehen. Ich habe nur gehofft: Hoffentlich stellt jetzt keiner eine Zwischenfrage.

Gewöhnt man sich dran?
Lischka: Ich gebe gern zu: Etwas Lampenfieber ist bei jeder Bundestagsrede dabei. Spaß gemacht hat mir die Rede zur Guttenberg-Affäre. Ich hatte den Bundestagspräsidenten gefragt, ob der damalige Verteidigungsminister den wissenschaftlichen Dienst des Bundestags für seine Doktorarbeit in Anspruch genommen hat – und das war ja auch so. Die Bundestagsdebatte soll von sechs Millionen Zuschauern verfolgt worden sein.

Gab es Reaktionen?
Lischka: Viele, und eine E-Mail habe ich mir aufgehoben. Jemand hat mir geschrieben: Warum können Menschen wie Sie nicht einfach in den Wald gehen und Holz hacken?

In Magdeburg waren Sie mal Staatssekretär, in Berlin nie. Woran lag es?
Lischka: Politik hat mich immer fasziniert, ich wollte Dinge verbessern. Auf der anderen Seite weiß ich heute, dass mir viele Fähigkeiten fehlen, die ein Politiker in der ersten Reihe braucht: Machtwille, taktisches Geschick, auch mal Bluffen können. Ich bin nicht der geborene Alpha-Rüde, sondern ein Klugschieter für die zweite oder dritte Reihe.

Hat diesen Machtwillen überhaupt noch jemand in der SPD?
Lischka: Die SPD wird sich und die Öffentlichkeit einmal überraschen mit einem Namen, dem im Augenblick keiner etwas zutrauen würde.

Es gibt Gerüchte, dass Sie nach Sachsen-Anhalt zurückgehen, um 2022 als OB von Magdeburg zu kandidieren.
Lischka: Nein, das ist nicht so. Ich freue mich darauf, jetzt noch 15 Jahre juristisch zu arbeiten.

Ist die Rückkehr in den Beruf des Notars finanziell lukrativ?
Lischka: Ich wusste immer, dass ich in der Juristerei mehr Geld verdienen kann als in der Politik. Was ich in der Politik erleben durfte, kann aber all das Geld nicht aufwiegen. Ich gehe jetzt als Notar nach Haldensleben und werde vom kleinen Antrag auf einen Erbschein bis zur Firmengründung alles machen, auch mit Hausbesuchen auf dem Dorf. Mir haben solche Begegnungen schon immer mehr bedeutet als Geld. Ich bin Pfarrerssohn und weiß: Das letzte Hemd hat keine Taschen. (mz)