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Ich-AG Gründerin Ich-AG Gründerin: Viele Sorgen, viel Geld

Von JAN-OLE PRASSE 03.04.2013, 19:59
Tobias und Katrin Müller vor ihren Geschäften in Lochau
Tobias und Katrin Müller vor ihren Geschäften in Lochau Andreas Stedtler Lizenz

LOCHAU/MZ - Katrin Müller hat wirtschaftlich überlebt. Mehr als das. Ihr vor neun Jahren gegründeter Büro- und Personalservice in Lochau (Saalekreis) ist so erfolgreich, dass sie Aufträge an andere kleine Unternehmen abgeben muss. Müller kommt mit der Arbeit einfach nicht hinterher. Metallfirmen, die Fachkräfte suchen, wenden sich an Katrin Müller. Und die 47-Jährige kümmert sich dann um die Organisation der Ausbildung, etwa zum Schweißer.

Damit gehört Katrin Müller zu den Gewinnern der Agenda 2010, die in diesem Jahr zehnjähriges Jubiläum feiert. Denn ihre Firma startete 2004 als Ich-AG. Doch von den 20 000 Menschen in Sachsen-Anhalt, die das von der Hartz-Kommission entwickelte Förderinstrument nutzten, waren bei weitem nicht alle so erfolgreich. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung existieren von den Ich-AGs in Ostdeutschland gut vier Jahre nach der Gründung noch 63 Prozent der von Männern und 57 Prozent der von Frauen gegründeten Firmen.

Delfinarium an der Saale

Clemens Winkel, Referent für Existenzgründung bei der IHK Halle-Dessau, hält diese Zahlen für viel zu hoch. Nach seinen Erfahrungen gibt es heute noch etwa ein Viertel der Ich-AGs. Es habe damals durch die neue Förderung einen wahren Gründerboom gegeben, sagt Winkel. Er erinnert sich, wie Leute zu ihm gekommen sind, die ein Delfinarium an der Saale oder eine Kakteenplantage als Ich-AG aufbauen wollten. „Für viele war das damals eine Notlösung in wirtschaftlich schlechten Zeiten“, sagt Winkel zu diesen Geschäftsideen. Er hat damals auch Katrin Müller beraten.

Auf die Frage, warum ihr Geschäft neun Jahre danach erfolgreich ist, zögert die blonde Frau kurz. „Ohne meine Familie wäre das nicht möglich gewesen“, sagt sie. Und das gleich in einem doppelten Sinne. Gerade in der Anfangszeit, als die Aufträge ausblieben und sie - zusätzlich zu den 600 Euro Förderung - einen finanziellen Puffer zum Leben brauchte, hätten ihre Eltern ausgeholfen.

Doch neben dem finanziellen Engagement haben ihre Eltern ihr noch mehr mitgegeben: Das Verständnis für die Selbstständigkeit. „In meiner Familie haben alle seit meinen Großeltern ihr eigenes Geschäft“, erzählt Müller: „Ich habe von klein auf gelernt, was das bedeutet.“ Denn zur Selbstständigkeit gehöre viel Kommunikation und eine Rampensau-Mentalität.

Müller ist bis heute an den Wochenenden auf Berufsmessen unterwegs. Den ersten Tag schaut sie sich nur um, identifiziert die Unternehmen, die für ihr Geschäft interessant sein könnten. Zu Hause beginnt Müller zu recherchieren: Geschichte, Hintergrund und Geschäftsfelder der Firmen. „Es ist etwas anderes, wenn sie gut informiert an jemanden herantreten“, sagt sie. Am nächsten Tag spricht sie an den Ständen die Unternehmen gezielt an. „Klar hat mich das zunächst Überwindung gekostet“, sagt sie.

„Die Erfolgsquote bei Existenzgründung steigt, wenn schon eine unternehmerische Sozialisation vorliegt“, bestätigt Clemens Winkel von der IHK. Entscheidend sei meist ohnehin nicht die Geschäftsidee, sondern der „Typ Unternehmer“ – kommunikativ und vor allem zeitlich genügsam. Zudem müsse eine Selbstständigkeit mindestens ein halbes Jahr vorbereitet werden. „Überstürzte Gründungen werden meist nichts“, sagt Winkel.

Müller hat sich diese Zeit genommen. Schon vor 2004 hatte sie jahrelang mit der Selbstständigkeit geliebäugelt. Zuvor war die ausgebildete Oberarztsekretärin in vielen Büros angestellt – zumeist in Teilzeit oder befristet. Sie hatte vorher schon zahlreiche Kunden angesprochen, verfügte über Kontakte. Mit der Ich-AG bot sich Müller, die zu diesem Zeitpunkt wegen der Pflege eines Familienangehörigen kurzfristig arbeitslos war, die Möglichkeit, ihren Traum zu verwirklichen. „Die Ich-AG hat mir damals unheimliche Sicherheit gegeben.“ Denn die Gründerin konnte mit der Förderung über drei Jahre - 600 Euro pro Monat im ersten, 360 Euro im zweiten und 240 Euro im letzten Jahr - ihre Sozialversicherungsbeiträge zahlen.

An ihren ersten Auftrag erinnert sie sich noch gut. Ein Unternehmer aus Lochau gab ihr mehrere Kisten Bürounterlagen zum Sortieren und Archivieren. „Damit hat er mich sicher auch erst mal getestet“, sagt Müller. Sie bestand. Stolz präsentiert sie das Empfehlungsschreiben des Firmeninhabers, der auch heute noch zu ihren Kunden zählt. „Das war natürlich ein toller Start“, erzählt sie.

Eines hat sie aber lernen müssen. Von zu Hause aus die Firma zu betreiben, gehe nicht. „Das akzeptieren Kunden nicht, schon gar nicht bei einer Frau“, sagt sie. Es sehe zu amateurhaft aus, ein wenig nach Hausfrau im Nebenerwerb. Daher hat sie schon 2005 ein eigenes Büro in Lochau angemietet. 50 Quadratmeter, funktional mit Konferenztisch, Schreibtisch und zwei Bürowänden eingerichtet. Mittlerweile ist Müller in mehreren Geschäftsfeldern aktiv – von der Vorbereitung von Zertifizierungen bis hin zur Betreuung von Auszubildenden zum Schweißer.

Erster Urlaub nach fünf Jahren

Dennoch musste Müller auch entbehrungsreiche Zeiten mitmachen. Ihren ersten Urlaub seit der Geschäftsgründung hat sie 2009 gemacht, eine Woche an der Ostsee mit ihrer Großmutter. „Ab diesem Zeitpunkt kann ich erst davon sprechen, dass ich von meinem Unternehmen gut leben kann“, sagt sie. Bis heute ist mehr als eine Woche Urlaub am Stück nicht drin.

Ihr Lebenspartner und insbesondere ihr zum Zeitpunkt der Ich-AG-Gründung 14 Jahre alter Sohn Tobias hätten viele Einschränkungen hinnehmen müssen. „Klar war er eher ein Telefonkind, aber das ging eben nicht anders“, sagt Müller.

So abschreckend kann es für Tobias Müller aber nicht gewesen sein. Der heute 24-Jährige leitet seit drei Jahren seine eigene Firma, die Computer- und Netzwerkservice anbietet. An der Fassade des Büros hängen jetzt zwei Schilder: Müller Netzwerk & PC-Service und Müller Büro- und Personalservice. Zwar teilt sich Tobias mit seiner Mutter den Raum in Lochau, aber beide Unternehmen sind rechtlich getrennt.

„Auch ich hätte es ohne meine Familie - insbesondere meine Großeltern nicht geschafft“, sagt der junge Firmengründer. Die haben das Auto und den ersten Warenbestand finanziert. Er habe nur den Gründungszuschuss in Anspruch nehmen können, der 2007 anstelle der Ich-AG eingeführt worden ist. Anderthalb Jahre lief diese Förderung. Katrin Müller hat dazu eine klare Meinung: „Wenn ich das bei meinem Sohn sehe, würde ich mir wünschen, dass es die Ich-AG noch geben würde. Das war noch eine stabile Förderung.“