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ICE-Neubaustrecke ICE-Neubaustrecke: Unmut im Tunnel

Von Alexander Schierholz 03.08.2012, 17:31

Herrengosserstedt/MZ. - Der letzte größere Einsatz? Da muss Dirk Ramdohr kurz überlegen. "Im September 2010 war das", sagt der Leiter der Freiwilligen Feuerwehr Herrengosserstedt, "da brannten 5 000 Strohbündel in einem Silo." Ansonsten beschäftigen sie sich in dem 600-Einwohner-Dorf im westlichen Burgenlandkreis mit kleineren Löscheinsätzen und Hilfe bei Unfällen. Zwischen fünf- und zehnmal im Jahr rücken sie aus: Alltag einer kleinen Feuerwehr auf dem Land.

Bald könnte sich das ändern. Wenige hundert Meter sind es vom Feuerwehrdepot am Ortseingang zum Westportal des Finnetunnels. Dort wo jetzt noch Baufahrzeuge in einem Kiesbett stehen, werden auf der Schnellfahrstrecke Erfurt-Halle / Leipzig in gut drei Jahren ICE-Züge mit Tempo 300 in die knapp sieben Kilometer langen Röhren rasen. Der Finnetunnel. Der weiter nordöstlich gelegene 6,5 Kilometer lange Bibratunnel bis zur Hälfte. Die 248 Meter lange und 44 Meter hohe Saubachtalbrücke. Und dazu noch ein Überholbahnhof. Wenn dort etwas passiert, wenn es brennt, wenn ein Zug im Tunnel steckenbleibt, wenn es Verletzte zu bergen gilt - dann müssen bis zu acht Feuerwehren aus der Verbandsgemeinde An der Finne ausrücken, darunter die aus Herrengosserstedt.

Wehrleiter Dirk Ramdohr befehligt 41 Aktive. Und wie seine Kollegen in den anderen Dörfern hat er ein Problem. Die kleinen Feuerwehren sind für Einsätze an der Strecke nicht ausreichend ausgerüstet und geschult. Es geht um Geld. Um viel Geld für eine Gemeinde wie An der Finne mit 13 500 Einwohnern. Bürgermeister Götz Ulrich (CDU) hat von einem Brandschutzexperten eine Risikoanalyse ausarbeiten lassen. Neue Tragkraftspritzen, vier Stück. Langzeitatemschutzgeräte, acht Stück. Chemikalienschutzanzüge, hitzebeständig, acht Stück. Hebekissen zum Anheben von Verletzten, mindestens ein Satz. Die Liste ist noch länger. Vielleicht braucht es sogar einen Gefahrgutwagen. Die Feuerwehrmänner fühlen sich im Unklaren gelassen. "Die Bahn will auch Güter transportieren, aber wir wissen nicht, was genau", klagt Peter Meißner, Chef der Verbandsgemeindefeuerwehr. "Wir können uns auf nichts einstellen."

Eine halbe Million Euro, schätzt Bürgermeister Ulrich, würde die neue Technik allein für seine Gemeinde kosten, durch deren Gebiet die Strecke im Burgenlandkreis größtenteils verläuft. Der Haushalt gebe das nicht her. Ulrich sieht sich aber auch gar nicht zuständig: "Die Bahn baut und betreibt die Strecke. Also muss sie auch unsere Ausrüstung finanzieren und die Unterhaltskosten tragen." Der Landkreis sieht das nicht anders. Doch die Bahn, so Ulrich, lehne die Forderungen rundweg ab.

Die Zeit drängt

Das Unternehmen sagt dazu nur: Wir verhandeln. "Niemand sperrt sich", erklärt Bahn-Sprecher Frank Kniestedt. Und fügt hinzu: Es gehe um Steuergelder. "Wir können da nicht das Füllhorn ausschütten." Was sei denn zum Beispiel, wenn ein von der Bahn bezahltes neues Feuerwehrauto auch in anderen Fällen eingesetzt werde? "So etwas müssen wir lösen."

Aus Sicht der Feuerwehren drängt die Zeit: Der Umgang mit neuer Technik und havarierten Zügen will gelernt sein. "Ein ICE ist kein Auto", sagt der Herrengosserstedter Wehrleiter Dirk Ramdohr, "wir müssen üben, wie wir dort Menschen bergen können. Und das jetzt, nicht erst, wenn die Züge fahren." Doch die Finanzierung der Lehrgänge ist ebenso offen wie die der Ausrüstung.

Und das sind nicht die einzigen Probleme. Im Mannschaftsraum in der ersten Etage des Feuerwehrdepots zieht Ramdohr einen dicken Ordner aus dem Regal - die Pläne für das Löschwassersystem im Finnetunnel. In den Tunnelröhren liegen Leitungen, in die Wasser aus höher gelegenen Zisternen gepumpt werden kann. Um das Wasser im Rohrsystem zu verteilen, müssen Schieber geöffnet und geschlossen werden - im Tunnel, per Hand. Vorher müssten im Brandfall Feuerwehrleute zu den Zisternen fahren und dort Pumpen anschließen, schildert Verbandsgemeindewehrleiter Meißner. "Das ist aufwendig und kostet Zeit." Er hat es ausgerechnet: Rund 40 Minuten dauere es, bis das Wasser an Ort und Stelle sei. "Da brauchen wir gar nicht mehr anfangen mit Löschen", sagt er sarkastisch.

Die Feuerwehren fordern deshalb stationäre Pumpen an den Löschwasserzisternen, die frühzeitig ferngesteuert eingeschaltet werden können. Doch die Bahn lehnt das ab. In den mittlerweile rechtlich wasserdichten Plänen sei eine solche Lösung nicht vorgesehen, sagt Bahnsprecher Frank Kniestedt. Deshalb könne es dafür auch kein Geld geben.

Minister will vermitteln

Dirk Ramdohr ist mittlerweile frustriert. "Es gibt zig Treffen zwischen alle Beteiligten, auf denen immer nur geredet wird. Aber es passiert nichts", schimpft der 32-jährige Wehrleiter. Er und seine Kollegen hoffen nun auf Innenminister Holger Stahlknecht (CDU). Der will nach der Sommerpause vermitteln und mit der Bahn reden. Über Geld? Auch über Geld, sagt Stahlknecht. Ob sich dabei "Maximalforderungen" durchsetzen ließen, sei aber offen. Der Minister spricht vorsichtig von einer "Kostenbeteiligung".

Drei Jahre sind noch Zeit, bis das Eisenbahnbundesamt die ICE-Strecke für den Betrieb freigibt. Grundsätzlich müsse die Deutsche Bahn bei solchen Großprojekten nachweisen, dass sie sich mit den Gemeinden und den Rettungsdiensten auf ein Sicherheitskonzept geeinigt habe, sagt ein Behördensprecher. Wie das inhaltlich aussehe, prüfe das Amt in der Regel aber nicht.