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Hochwasserrisiko in Sachsen-Anhalt Hochwasserrisiko in Sachsen-Anhalt: Viele Grundstücke erhalten geringere Gefahrenbewertung

Von Stefan Thomé 18.07.2014, 09:11

Halle (Saale)/MZ - Trotz der immer noch frischen Erinnerungen an das Hochwasser im Jahr 2013 ist die statistische Gefahrenbewertung für viele Grundstücke in Sachsen-Anhalt geringer als bisher. Das geht aus einer Auswertung der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt hervor, welche die neuesten Daten des Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen (ZÜRS) unter die Lupe nahm. Die Daten stammen vom Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).

Sven Kretzschmar, Versicherungsexperte bei der Landesverbraucherzentrale in Halle, zeigte sich von den Ergebnissen sehr überrascht: "Wir hatten vermutet, dass die Zahlen nach dem Hochwasser im vergangenen Jahr nach oben schießen. Das hat sich aber nicht bestätigt."

Neue Berechnungen

Denn in der nun für 2014 aktualisierten Version der Datenbank sei im Vergleich zum Stand 2013 auffällig, dass statt 21.849 Grundstücken in Sachsen-Anhalt nur noch 16.609 in den höchsten ZÜRS-Gefährdungsklassen drei und vier eingestuft sind. Damit habe sich per Saldo die Versicherbarkeit gegen Elementarschäden mehr als 5.000 mal verbessert hat. Betroffen davon sind nach Kretzschmars Ausführungen unter anderem Gebiete in Halle und Derenburg.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff (CDU) hat am Dienstag im Landeskabinett über die Informationskampagne des Landes zur Absicherung gegen Elementarschäden informiert. So gibt das Land einen Informationsflyer in einer Auflage von 25.000 Exemplaren heraus, der über die Landkreise und die Verbraucherzentrale erhältlich ist. Darin enthalten sind alle Informationen und Ansprechpartner zu Fragen einer ausreichenden Absicherung gegen Elementarschäden.

Darüber hinaus steht ab sofort ein vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft entwickelte Informationsportal zur Verfügung. Das Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen (ZÜRS) ermöglicht eine genaue Risikoabschätzung für den jeweiligen Wohnort.

Nach Sachsen und Niedersachsen steht ZÜRS public mit Sachsen-Anhalt nun dem dritten Bundesland zur Verfügung. Weitere Länder werden folgen. Für ZÜRS public werden Geobasisdaten der Vermessungsverwaltung, Hochwasserdaten der Umweltverwaltung und Risikodaten der Versicherungswirtschaft verknüpft. So kann der Nutzer das von Hochwasser und anderen Naturereignissen ausgehende Gefährdungspotential objektbezogen einschätzen. Dazu zählen neben Hochwasser insbesondere Starkregen, Sturm und Hagel, Blitz und Überspannung sowie Erdbeben. ZÜRS public soll Risikobewusstsein schaffen und die Eigenvorsorge fördern.

"Jeder kann sich informieren und gegen wirtschaftliche Schäden infolge von Naturkatastrophen absichern. Bitte schieben sie dieses Vorhaben nicht auf die lange Bank, sondern handeln sie jetzt", betonte Ministerpräsident Haseloff. Mit ihrer Informationskampagne wolle die Landesregierung dabei Unterstützung geben.

Haseloff erklärte, dass von den Anträgen auf Fluthilfe nach dem Hochwasser vom Juni 2013 inzwischen mehr als 60 Prozent abgearbeitet seien. Während bei den privaten Wohnungsbesitzern bereits mehr als 75 Prozent der Anträge beschieden seien, dauere die Bearbeitung im Bereich der kommunalen Infrastruktur weiter an. Grund seien hier notwendige Planungsarbeiten.

Insgesamt wurden laut Landesregierung im Rahmen der Aufbauhilfen bisher mehr als 350 Millionen Euro bewilligt. Haseloff warnt jedoch davor, sich auf staatliche Hilfen zu verlassen: "Ein so umfangreiches Hilfspaket des Bundes und der Länder wird es in Zukunft wohl nicht wieder geben."

Umweltminister Dr. Hermann Onko Aeikens betont: "Hochwasserschutz geht uns alle an. So wie Bürgerinnen und Bürger sich um ihre Eigenvorsorge kümmern müssen, sorgt das Land für funktionierende Deiche und genügend Flut-Ausweichfläche." Sachsen-Anhalt werde in den kommenden sechs Jahren rund 600 Millionen Euro in den Hochwasserschutz investieren, versprach der Minister. Aeikens: "Wir werden dafür sorgen, dass 2020 alle Deiche im Land auf technisch modernem Stand sind." Flankiert werde dies von Deichrückverlegungen, dem Bau von Poldern und Hochwasserrückhaltebecken. Zur Zeit sei man dabei, Suchräume für zusätzliche Retentionsflächen und Polder zu definieren. Dies solle im Herbst abgeschlossen sein.

Weitere Informationen unter www.hochwasser.sachsen-anhalt.de und www.zuers-public.de sowie www.vzsa.de

Von 665.544 Grundstücken in Sachsen-Anhalt sind demnach nur noch 2,5 Prozent in den ZÜRS-Gefährdungsklassen drei und vier eingestuft. "2013 waren es noch 3,29 Prozent", so Kretzschmar.

Welche Folgen die neuen Festlegungen der Gefahrenbewertung für die Versicherungskosten zur Folge hat, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Dies zeige, dass das statistische Risiko, zukünftig vom Hochwasser betroffen zu sein, an einigen Orten entscheidend geringer eingeschätzt wird als bisher. "Ursache dafür sind offenbar neue Daten, etwa aus dem Hochwasserschutz, und aktualisierte Berechnungen", vermutet Kretzschmar. Ein weiterer Grund könnte sein, dass die vom Hochwasser 2002 betroffenen Grundstücke zuletzt schadensfrei blieben.

Kartendaten von 2002

Alina Schön, Sprecherin des GDV, bestätigte auf MZ-Nachfrage diese Annahme. „Aufgrund der Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie der EU mussten alle Länder ihre entsprechenden Gefahrenkarten bis Ende 2013 aktualisieren. Diese nun wesentlich besseren und detaillierteren Basisdaten, die ZÜRS verarbeitet, führen zu den Veränderungen.“ Das Hochwasser vom vergangenen Jahre habe in der Tat keinen unmittelbaren Einfluss auf die Einstufung.

Allerdings weißt die Staatskanzlei Sachsen-Anhalt darauf hin, dass die Hochwasserdaten von 2013 noch gar nicht für ZÜRS zur Verfügung stehen. Die können nach Angaben des Landes erst bis 2015 eingepflegt werden. Die jetzige Grundlage seien Zahlen des vorherigen großen Hochwassers im Jahr 2002.

Verbraucherschützer Kretzschmar betont wiederum: "Für einige tausend Sachsen-Anhalter sollte es nun deutlich einfacher werden, eine bezahlbare Elementarschadenversicherung gegen Überschwemmung abschließen zu können." Zahlreiche Grundstücke, die bisher in den risikoreichen Gefährdungsklassen vier und drei gar nicht oder nur sehr teuer versicherbar waren, sind nun den geringeren Gefährdungsklassen zwei oder eins zugeordnet. Dies müssten nun die Versicherer bei ihren Kalkulationen berücksichtigen.

Kein Hinweis auf sinkende Versicherungskosten

Allerdings: Die neuen Risikobewertungen sind nach Auffassung der Verbraucherzentrale kein Hinweis auf womöglich sinkende Versicherungskosten insgesamt. "Eine aktuelle Befragung von 153 unmittelbar vom Juni-Hochwasser 2013 betroffenen Sachsen-Anhaltern zeigt, dass in einem Drittel der Fälle die Versicherungsunternehmen anschließend entweder den Beitrag oder die Selbstbeteiligung erhöhten", sagt Kretzschmar.

Selbst Hausbesitzer außerhalb von Hochwasser gefährdeten Bereichen müssen mit jährlichen Steigerungen der Prämien rechnen. "Die Versicherer legen die kalkulierten Kosten nach dem Solidaritätsprinzip auf alle Kunden um", weiß Kretzschmar.

Beratungsangebot der Verbraucherzentrale

Die Verbraucherzentrale fordert darüber hinaus weiterhin die gesetzliche Verbesserung der Elementarschadenversicherung, etwa durch die Einführung einer Versicherungspflicht, was von den Justizministerien der Länder gegenwärtig geprüft wird. Denn die meisten Schäden des Junihochwassers 2013 lagen nicht in den Gefährdungsklassen drei oder vier.

"All jene Sachsen-Anhalter, die wissen möchten, ob und wie stark ihr Grundstück oder Gebäude durch Hochwasser nach den neuen Bewertungen gefährdet ist, können sich an uns wenden", sagte Kretzschmar. Für jede Adresse können die Beratungsstellen in Dessau, Halle und Magdeburg mit Hilfe der genannten ZÜRS-Datenbank die aktuelle Gefährdungsklasse ermittelt werden, was über die Aussagekraft der aktuell freigeschalteten Internetseite unter zuers-public.de hinausgeht.

Auf dieser Homepage können sich Haus- und Grundstücksbesitzer sowie Mieter unter Angabe der jeweiligen Adresse aber bereits detailliert über die aktuelle Gefahreneinstufung informieren.