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Harz Harz: «Drachenbrut» in Rübeland

Von Steffen Reichert 21.07.2008, 19:37

Rübeland/MZ. - Es ist kurz nach zehn Uhr, als Ute Fricke nach dem Rechten schaut. Noch ist es leer am Eingang zur Rübeländer Hermannshöhle. Aber das kann sich an einem Tag wie diesem sehr schnell ändern. Dann wird die Höhlen-Führerin plötzlich von einer Gruppe Kinder und Touristen umringt, die ins Reich des Dunklen wollen. Es geht durch eine massive Tür am Kassenhäuschen vorbei und danach - begleitet von permanenten Tropfgeräuschen - Meter um Meter unter Tage.

Man muss schon ein wenig Ausdauer haben, wenn man in der im Jahr 1866 zufällig entdeckten Höhle einen kleinen versteckten See erreichen will, dessen Ruhe nur durch die sanften Wellen unterbrochen wird, die herunterfallende Tropfen auslösen. Aber genau an diesen Olmensee wollen die meisten der bis zu 200 000 Besucher pro Jahr gerne gehen. Denn wenn man genau ins Wasser schaut, ist dort eine deutschlandweit einmalige Sensation zu entdecken. In der Rüberländer Hermannshöhle leben die letzten 13 der in Deutschland vom Aussterben bedrohten Grottenolme.

"Leise muss man sein"

Es muss 1932 gewesen sein, so besagt es jedenfalls die von Mund zu Mund weitergegebene Geschichte, als aus dem slowenischen Karst mit einer Milchkanne die ersten fünf jener merkwürdig ausschauenden Lurche nach Deutschland gebracht und in der Rübeländer Höhle ausgesetzt wurden. Es waren fünf Lurche, die maximal 30 Zentimeter lang werden, unendlich scheu sind und deren Lebensraum als Höhlentier so eingeengt ist, dass sie sich niemals an das Tageslicht oder auf Wanderschaft begaben. Ihr Lebensraum endet da, wo auch die Höhle endet.

"Leise muss man sein", flüstert Ute Fricke. Und dann gibt die seit fast 20 Jahren in der Höhle arbeitende Führerin den Blick frei auf die Grottenolme. Sie liegen in dem etwa acht Grad kalten Wasser und bewegen sich kleine Ewigkeiten lang nicht. Die Augen der Tiere sind mit Hornhaut zugewachsen. Mit Hilfe ihrer lichtempfindlichen Rezeptoren können sie lediglich hell und dunkel unterscheiden. Und noch ein Phänomen gibt es zu beobachten. An den vorderen Füßen haben die Tiere drei, hinten nur zwei Zehen - möglicherweise die Folge einer Rückentwicklung. "Drachenbrut" haben die Menschen die Grottenolme lange Zeit genannt, weil nichts bekannt, sondern alles mystisch an ihnen war.

Amerikanische Infanteristen sollen nach Kriegsende im Jahr 1945 in die Hermannshöhle gegangen und ein Tier als Mutprobe gegessen haben. Was an diesen Geschichten wahr ist, weiß niemand genau. Ute

Fricke allerdings kann den Weg der ungewöhnlichen Tiere ziemlich gut nachverfolgen. 1954 soll es noch fünf von ihnen gegeben haben. Aus Sorge, dass sie aussterben könnten, wurden Mitte der fünfziger Jahre von Fachleuten noch einmal Grottenolme aus dem damaligen Jugoslawien in die DDR geschmuggelt. "Das gab dann sogar auf diplomatischer Ebene Verstimmungen", erzählt die Höhlen-Expertin. "Jugoslawien schützte sein Grottenolm-Monopol damals mit Nachdruck."

Forschungen und Versuche, die etwa 100 Jahre alt werdenden Tiere im Ostharz zu vermehren, wurden immer wieder vorangetrieben. Denn die Zeit drängt. Die beiden ältesten Tiere zählen bereits etwa 80 Jahre, die elf jüngeren inzwischen rund 60 Jahre.

So richtete die DDR in einem groß angelegten Projekt 1981 ein Zuchtbecken ein, das mit vermuteten optimalen Bedingungen die Tiere zur Fortpflanzung ermuntern sollte. Doch der Versuch scheiterte. "Dann wurde ein Zoologe aus Halle eingeschaltet", erzählt Ute Fricke. "Er hat alle Tiere als Männchen identifiziert." Und damit die Träume vom Nachwuchs platzen lassen.

Geschenk an Frankreich

Nun erhofft sich die Höhlenverwaltung in Rübeland über eine deutsch-französische Achse Rettung vor dem Aussterben der Tiere. Nachdem der damalige jugoslawische Staatschef Tito vor Jahrzehnten dem französischen Präsidenten Charles de Gaulles einige wenige der seltenen Grottenolme geschenkt hatte, verhandeln die Harzer nun mit den Franzosen. Und: Es sieht gut aus. "Möglicherweise bekommen wir in diesem Jahr zwei Weibchen," so Fricke. Dann müssen die Olme nur noch dazu bewegt werden, Nachwuchs zu zeugen.