Handwerk Handwerk: Ein Zimmermann auf Reisen

Magdeburg/dpa. - Drei Jahre und sieben Monate ist Ronny Wittig aus Magdeburg durch die große weite Welt gewandert. Der Zimmermann war «auf der Walz», arbeitete in der Schweiz, Grönland, den USA und Neuseeland. Damit folgte er einem alten Brauch der Handwerkerschaft. Gesellen sollen so die verschiedenen Facetten ihres Handwerks kennen lernen. Heute aber nutzen nur noch wenige Gesellen diese Möglichkeit, ihren Horizont zu erweitern. «Die meisten wollen nicht von zu Hause weg», sagt Wittig. «Aber ich war davon begeistert, frei und ungebunden zu sein.» Sein Urteil: «Das waren bisher die besten Jahre meines Lebens.»
Zunächst reiste Wittig kreuz und quer durch den deutschen Sprachraum. «Das steht so in meiner Zunftordnung», erklärt der 23- Jährige. «Ich bin in der Vereinigung der fremden Zimmer- und Schieferdeckergesellen und halte mich natürlich an die Regeln.» Stationen waren Basel, St. Gallen, Braunschweig, Nürnberg und Köln. Arbeit zu finden, sei für ihn kein Problem gewesen. «Du gehst einfach zum Meister, sprichst vor und kannst meist am nächsten Tag anfangen.»
Der Brauch, als Handwerker auf Reisen zu gehen, stammt aus dem späten Mittelalter. Damals waren die Wanderjahre Voraussetzung, um Meister zu werden. Heute ist «die Walz» freiwillig und wird meist von Maurer- und Zimmergesellen im Bauhandwerk genutzt. Nach Angaben der Vereinigung von wandernden Gesellen mit Sitz in Köln ziehen zur Zeit rund 600 Gesellen aus dem gesamten Bundesgebiet durch die Lande.
Unterwegs war er stets zu Fuß oder per Anhalter. «Zur Überquerung der Weltmeere durfte ich dann aber doch das Flugzeug benutzen», sagt er schmunzelnd. Das war jedoch die Ausnahme, denn Bahnfahren beispielsweise sei verpönt. «Wir haben strenge Vorschriften, müssen stets gepflegt auftreten und zwar komplett in Kluft.» Diese besteht aus einem schwarzen Cord-Anzug mit Weste, Hut und Ehrbarkeit - einer Krawatte mit dem Zeichen der Zunft. Sein Werkzeug, Schlafsack und Unterwäsche waren in ein etwa 80 mal 80 Zentimeter großes Tuch, den so genannten Charlottenburger, geschnürt.
«Abgesehen davon, dass ich einmal bei minus zehn Grad im Freien schlafen musste, hat die Reiserei unheimlich viel Spaß gemacht», sagt Wittig. Am besten habe es ihm in Grönland gefallen. «Da stehst du bei angenehmen 15 Grad auf einem Dach und hinter dir schwimmen die Eisberge vorbei.» Seinen Aufenthalt in San Francisco habe er genutzt, um die ehemalige Gefängnisinsel Alcatraz zu besichtigen. «Aber Las Vegas war nichts für mich. Da ist es viel zu heiß und das Klimpern in den Casinos geht dir spätestens nach drei Tagen auf die Nerven.»
Er habe sowohl fachlich als auch menschlich enorm profitiert. «In den fast vier Jahren habe ich in meinem Beruf echt hinzugelernt», sagt er. Besonders gefallen habe ihm auch der Einblick in das Leben von Menschen in fremden Kulturen. «Ich verstehe mittlerweile sogar das Schweizer Deutsch», betont Wittig nicht ohne Stolz. «Bis auf die Bergdialekte», lacht er. «Aber damit haben ja selbst die Einheimischen ihre Schwierigkeiten.»
Probleme gab es für ihn nach seiner Rückkehr überraschend mit der deutschen Bürokratie. «Für das Arbeitsamt war ich der totale Sonderfall.» Wittig schüttelt den Kopf. Um einen Job habe er sich deshalb schließlich selbst gekümmert. Zuerst war es aber nicht so einfach, wieder fest an einem Ort zu sein. «Ich war ja Jahre lang auf mich allein gestellt und konnte weiterziehen, wenn ich wollte», sagt er. «Aber es ist wichtig, dass du zur richtigen Zeit auch wieder damit aufhörst und ein geregeltes Leben führst», betont er. «Sonst schaffst du den Absprung nämlich nicht mehr und ziehst dein Leben lang als Fremder herum.»