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Halberstadt Halberstadt: Sarrazin-Soloauftritt statt Diskussion

Von ALEXANDER SCHIERHOLZ 15.04.2011, 21:56

HALBERSTADT/MZ. - Thilo Sarrazin hat schon mehr als zwei Stunden geredet, bevor er die Geschichte von der Schaffnerin erzählt, die er mal im Zug getroffen hat zwischen Mainz und Berlin. Sie erkannte ihn, sie ließ sich ein Autogramm geben. Und dann sagte sie zu ihm: "Was Sie alles erdulden müssen, nur weil Sie sagen, was wir alle denken." Lauter Beifall brandet auf in der Halberstädter Moritzkirche, in der der ehemalige Bundesbank-Vorstand auf Einladung des Evangelischen Kirchspiels am Donnerstagabend über seine umstrittenen Thesen zu Einwanderung und Bevölkerungsentwicklung spricht.

Spätestens bei dieser Szene wird klar: Die Sarrazin-Fans sind deutlich in der Mehrheit in dem mit mehr als 400 Besuchern bis auf den letzten Platz gefüllten Gotteshaus. Eine kontroverse Diskussion über Sarrazin und seine Positionen findet denn auch nicht statt.

Kritik aus Kirchenkreisen

Friedrich Kramer sieht sich bestätigt: "Wir haben richtig gehandelt." Der Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in Wittenberg hatte mit 17 anderen Mitarbeitern der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland in einem offenen Brief gefordert, Sarrazin dürfe in Halberstadt nicht alleine vortragen. Es gehöre auch jemand auf das Podium, der ihm widersprechen könne. Die Kritiker werfen dem ehemaligen Bundesbanker vor, er vertrete in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" populistische und teils rassistische Positionen.

Die beiden Pfarrer, die als Moderatoren auftreten, hatten die Forderung der Briefschreiber abgelehnt. Stattdessen hatten Harald Kunze und Hartmut Bartmuß angekündigt, es werde kritische Fragen an Sarrazin geben. Doch die bleiben weitestgehend aus. Die Pfarrer wirken stellenweise wie Stichwortgeber. Auch aus dem Publikum sind kaum kritische Stimmen zu hören.

Büchertisch und Signierstunde

So wird der Abend zur One-Man-Show für Sarrazin, Büchertisch und Signierstunde inklusive. Die Pfarrer und das Publikum fragen, Sarrazin verbreitet munter seine Thesen über Migranten und Hartz-IV-Empfänger, Chancengleichheit oder die Vererbbarkeit von Intelligenz. Meist unwidersprochen, etwa wenn er unterstellt, Migrantenfamilien hätten häufig deshalb viele Kinder, weil sie Kindergeld kassieren wollten. Dabei gefällt er sich in der Rolle des Tabubrechers.

Während drinnen das Publikum dem Autor regelmäßig applaudiert, halten draußen mehrere Polizisten in Kleinbussen die Stellung. Und ein einsamer Demonstrant - wohlgemerkt pro Sarrazin. Er hat ein Transparent mit der Aufschrift "Meinungsfreiheit achten" bei sich, auf seinem T-Shirt steht "Wir danken Thilo Sarrazin". Einlass hat er nicht bekommen - die Veranstalter sagen, sie wollten kein Risiko von Störungen eingehen. Neonazis tauchen, wie von manchem befürchtet, nicht auf, zumindest geben sie sich nicht zu erkennen. "Ich bin froh, dass alles friedlich verlaufen ist", sagt Bartmuß hinterher.