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Grenzöffnung 1989 Grenzöffnung 1989: Zange und Schraubenzieher bringen Mauer zum Einsturz

Von Steffen Höhne 08.11.2004, 19:16

Stapelburg/MZ. - Als Peter Röhling und Norbert Heindorf bei Stapelburg (Kreis Wernigerode) an die Mauer kamen, hatten sie Kombizange und Schraubenzieher dabei. Unter den Augen verdutzter DDR-Grenzer begannen sie am 11. November 1989 um 15.11 Uhr mit dem Abschrauben des Grenzzaunes. Wenige Minuten später fiel die erste Mauerplatte. Von der westdeutschen Seite schaute ein perplexer Bundesgrenzschutz-Beamter in den Osten.

Röhling und Heindorf brachten mit ihrem Narrenstreich zum ersten Mal in der Harzregion - und wohl auch in Sachsen-Anhalt - die Mauer zu Fall. Die Grenzöffnung in Berlin am 9. November hatte Peter Röhling im Fernsehen gesehen. "Die tanzenden Menschen, das war Wahnsinn", erinnert er sich. Die Grenzübergänge waren offen, doch die Volksarmee bewachte weiter die Mauer. Röhling konnte sie gut sehen, wohnte er mit Frau und zwei Kindern doch in der 500-Meter-Zone zu der Grenze.

Stapelburg lag zu DDR-Zeiten im fünf Kilometer breiten Sperrgebiet an der Grenze. Wer dort hin wollte, brauchte einen Passierschein. Wer von Stapelburg zum Haus der Röhlings wollte, benötigte einen zweiten Passierschein. "Meine Schwiegereltern wohnten fünf Minuten entfernt, doch sie durften uns nicht besuchen." Röhling lebte bestens bewacht. Am sonnigen Samstag des 11. Novembers 1989 änderte der damals 24-Jährige dies. Morgens baute er noch am Haus. Im Ort ging das Gerücht um, die Grenze werde hier geöffnet. Schon am Mittag standen hunderte Stapelburger am ersten Schlagbaum. "Wir zogen mit Campingstühlen und Kaffee direkt zur Grenze, um zu sehen, was passiert." Röhling sah die Menschenmasse von weitem.

Doch zwei Herren vom Rat des Kreises erklärten ihm, das Gerücht sei falsch. Wer sollte die Mauer einreißen? "Wir" antworteten Röhling und Heindorf spontan und holten Werkzeug aus dem Auto. Keiner der bewaffneten Grenzer hinderte sie daran. "Wir konnten es kaum glauben." Als das ersten Mauerstück fiel, drängten die Stapelburger zur Grenze. Im Westen überbrückten Bad Harzburger den Grenzfluss Ecker mit Balken - der Rest war Party. Als erstes trat ein BGS-Beamter auf Röhling zu und fragte, ob er bleiben wolle. "Wir wollen nur mal gucken", entgegnete er. Am Abend wurde gemeinsam im Stapelburger Kulturhaus gefeiert. "Die Bad Harzburger bauten eine Behelfsbrücke. Nachts stand dann der Niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht vor mir und drückte mich." Irgendwer stimmte das Deutschlandlied an. Stapelburg feierte die Einheit.

Röhlings Leben hat der Mauerfall nicht aus den Fugen gerissen. "Unser Haus steht heute mitten in Deutschland", freut er sich. An die alten Grenzanlagen erinnert nur ein Plattenweg. Röhling arbeitet als Feuerwehrmann im Ilsenburger Walzwerk. Die Orte Stapelburg und Bad Harzburg verbindet eine vierspurige Bundesstraße. Am 11. November feiern sie dennoch jedes Jahr ihre Vereinigung.