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Gastronomie Gastronomie: Nach dem Hochwasser werden Gäste benötigt

Von christian schafmeister 21.06.2013, 06:02
So sah es an der Elbterrasse in Wörlitz noch vor wenigen Tagen aus. Die Elbe hatte alles überflutet.
So sah es an der Elbterrasse in Wörlitz noch vor wenigen Tagen aus. Die Elbe hatte alles überflutet. Klitzsch Lizenz

WÖRLITZ/ELSTER/MZ - Die Sonne scheint, der Himmel ist blau und wolkenlos, hoch oben kreist ein Raubvogel über den Bäumen, die Temperaturen sind hochsommerlich. Nur eines fehlt an diesem Juni-Tag an den Wörlitzer Elbterrassen zur perfekten Idylle: Gäste.

Stattdessen sitzt Stefan Burkhardt allein mit seinen großen Gummistiefeln auf einem Klappstuhl, die Schweißperlen auf der Stirn, den Blick starr auf das andere Elbufer gerichtet: dorthin, wo sonst die Fähre ablegt und ihm die Touristen direkt auf die Terrasse seines Restaurants und Hotels bringt. Dort aber laufen derzeit nicht emsige Kellner umher und bedienen, dort laufen nur die Pumpen. Das Restaurant, die Terrasse - alles vom Wasser der Elbe überspült. „Das Wasser stand bis hoch zum Tresen - nochmals zehn Zentimeter höher als bei der Flut 2002“, sagt der Geschäftsführer.

Verheerende Bilanz

Erst am Mittwoch konnte er sein Restaurant das erste Mal wieder erreichen - per Auto von Wörlitz aus. Die Fähre auf Coswiger Seite fährt noch immer nicht, und selbst die Straße von der anderen Seite ist offiziell noch gesperrt. „Wir haben unser Auto hochgepumpt und sind so gerade durchgekommen“, berichtet Burkhardt. Die erste Bilanz fällt vor Ort verheerend aus. Den Schaden an der Inneneinrichtung beziffert er auf 50 000 Euro, die Schäden am Gebäude selbst auf mindestens 150 000 Euro. Unter anderem seien alle Heizungen betroffen.

Was den Geschäftsführer aber am härtesten trifft, das ist der Verdienstausfall: Er rechnet bislang mit mindestens 150 000 Euro. „Die Saison ist gelaufen, das ist völlig klar“, ist der Gastronom sicher. Die prädestinierte Lage am Rande von Elbe, Elberadweg und Wörlitzer Gartenreich wird Burkhardt dabei zum Verhängnis. „70 Prozent unserer Gäste sind Radtouristen, und die bleiben jetzt alle aus.“

Die machen aber nicht nur wegen überspülter und beschädigter Radwege einen Bogen um die Region. Oft werde auch ein falsches Bild von der Situation in den Hochwassergebieten vermittelt, berichtet Burkhardt von seinen Erfahrungen. „Ich hatte schon Leute, die haben ihre Stornierung damit begründet, dass in Wittenberg landunter sei und das Gartenreich in Wörlitz ganz unter Wasser stehe.“ Beides stimme natürlich nicht. Die Verunsicherung treffe aber nicht nur sein Haus, sondern die gesamte Region, sagt Burkhardt. „Auch die Stadt Wörlitz ist im Moment so gut wie tot - und das im Sommer.“

Die Unternehmensberatung Agere, die für den Hotel- und Gaststättenverband Sachsen-Anhalt (Dehoga) die Situation der Branche nach dem Hochwasser untersucht hat, bestätigt die Sorgen. Das Gastgewerbe müsse mit einem Schaden von 100 Millionen Euro rechnen. Gerade viele kleine und mittelständische Betriebe stünden vor dem Aus. Das betreffe neben der Altmark mit der Saale-Unstrut-Region und der Elbe-Region auch Hauptattraktionen in Sachsen-Anhalt. „Der Elbe-Radweg stellt den Hauptfaktor für Touristen in der Region dar, die nun aber zu 100 Prozent in den Sommermonaten ausfallen werden“, sagt Martin Rahmann, Inhaber der Beratungsfirma. „Gleichwohl gibt es auch weitere schöne Regionen in Sachsen-Anhalt, die nicht betroffen sind und sich über Gäste freuen.“

Für die Branche bisher nur ein schwacher Trost. „Indirekt sind alle Betriebe im Land vom Hochwasser betroffen“, sagt René Kauschus, Hauptgeschäftsführer der Dehoga. Viele Touristen seien unsicher, welche Regionen konkret überschwemmt sind und buchten ihren Urlaub lieber gleich in anderen Bundesländern. Unzählige Betten seien allerdings auch storniert worden, weil Großveranstaltungen wie die Händel-Festspiele in Halle oder Luthers Hochzeit in Wittenberg abgesagt werden mussten. „Was wir jetzt brauchen, ist die Unterstützung der Menschen, indem sie uns besuchen.“

Daher warnen auch die kommunalen Spitzenverbände davor, den Tourismus im Land schlecht zu reden. „Die Urlauber erreichen mehr als 90 Prozent der Kultureinrichtungen ohne jede Einschränkung“, bekräftigen Städte- und Gemeindebund sowie Landkreistag in einer Stellungnahme. „Es gibt keinen Grund, mit immer dramatischeren Bildern ein Horrorszenarium des Zustandes zu zeichnen.“ Derartige Meldungen seien schlicht „Gift in der Hochwasserkatastrophe“.

Auch der Landestourismusverband versucht, gegen einen Imageschaden anzukämpfen. „Wir geben Entwarnung für die Gebiete, wo es bereits möglich ist, und machen den Gästen die Regionen schmackhaft, die sie besuchen können“, sagt Geschäftsführerin Bärbel Pieper. Zwar räumt auch sie ein, dass insbesondere im Bereich des Radtourismus „in diesem Jahr einiges an Kunden wegbrechen wird“. In der weiteren Öffentlichkeitsarbeit werde der Elberadweg daher aber „das Hauptaugenmerk bekommen“. Schließlich handele es sich um eine „touristische Ameisenstraße“. Über die konkrete Ausgestaltung der Projekte, erklärt Pieper, werde aber noch beraten.

Versand von Reisetipps

Auch das Magdeburger Wirtschaftsministerium und die Investitions- und Marketinggesellschaft (IMG) haben inzwischen Sofortmaßnahmen angekündigt, mit denen nach der Flut „Verlusten für die Tourismusbranche entgegengewirkt werden soll“. Dazu zählen der Versand von Reisetipps und eine zentrale Rufnummer für Gästeanfragen. Weitere Marketingaktionen seien aber bereits in Vorbereitung, sagt Ministeriumssprecherin Beate Hagen.

Stefan Burkhardt hat indes auf ganz andere Hilfe gehofft. „Wir brauchen Unterstützung beim Marketing und der Werbung, am besten deutschlandweit“, sagt der Geschäftsführer der Elbterrassen. Das könne der einzelne Betrieb nicht leisten. „Da sollten sich die Verbände und die Investitions- und Marketinggesellschaft einmal drehen und zeigen, was sie können.“ Richtig glauben könne er daran aber nicht, schiebt der Geschäftsführer hinterher. So bleiben ihm nur hohe Schulden - nach der Flut 2002 verlangen die Versicherungen für den Betrieb eine Selbstbeteiligung von 150 000 Euro - und die Hoffnung. „Vielleicht ist der Radweg Ende Juni ja schon befahrbar“, erklärt er. „Denn wir wollen Anfang Juli wieder öffnen.“

Elbterrasse Wörlitz: Das Wasser ist weg, doch der erste Eindruck täuscht. Die Fluten haben große Schäden angerichtet, der Wirt will Anfang Juli wieder öffnen.
Elbterrasse Wörlitz: Das Wasser ist weg, doch der erste Eindruck täuscht. Die Fluten haben große Schäden angerichtet, der Wirt will Anfang Juli wieder öffnen.
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