"FuckUp Night" "FuckUp Night": Gründer berichten vom Scheitern - und machen eine Show draus

Leipzig - Der April 2018 sollte sein Monat werden. So erzählt Pascal Rehm es heute, fast ein Jahr später. Der junge Leipziger wollte endlich den Erfolg seines Cafés feiern, das er mit einem US-Partner auf Bali eröffnet hatte. Rehm hatte DJs aus der Heimat gebucht. Die Party war in vollem Gange, als die Polizei kam.
„Sie wollten meine Arbeitserlaubnis sehen“, erinnert sich Rehm. Was er vorweisen konnte, genügte den Beamten nicht. Dann klickten die Handschellen, der deutsche Café-Betreiber fand sich in einem indonesischen Gefängnis wieder: „Das war mit Abstand das Schlimmste in meinem Leben. Das wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht.“
FuckUp Night in Leipzig: Gründer landete mit seinem Geschäftsmodell im indonesischen Gefängnis
Pascal Rehm ist längst wieder in Leipzig, das Café auf Bali Geschichte. Er hat einen Minijob und muss sehen, wie er klarkommt. Wie er seinen Lebenstraum auf der Trauminsel im Indischen Ozean gegen die Wand gefahren hat, erzählt Rehm vor 170 Gästen in einem Club in der Leipziger Innenstadt. Bei Wein und Bier lauscht studentisches Publikum in bequemen Sesseln und Sofas Geschichten vom Scheitern.
„FuckUp Night“ heißt das Format, das es mittlerweile in vielen Großstädten gibt. Übersetzen lässt sich der englische Begriff „Fuck Up“ am ehesten mit „etwas vermasseln“. Meist sind es junge Gründer, die berichten, wie und warum sie ihr Unternehmen, ihr Projekt, ihre Geschäftsidee in den Sand setzten.
Ursprünglich stammt die Idee aus Mexiko, mittlerweile wird sie weltweit kopiert. In Leipzig läuft an diesem Märzabend die 34. Ausgabe seit 2015. Der Club ist ausverkauft; 8,50 Euro kostet eine Karte.
Warum gibt man Geld dafür aus, anderen dabei zuzuhören, wie sie von ihren größten Misserfolgen erzählen?
Vorträge auf der FuckUp Night in Leipzig: Aus Fehlern lernen
„Weil wir aus Fehlern nur lernen können, nämlich, dass wir diese Fehler möglichst nicht ein zweites Mal machen“, sagt eine Frau im Publikum. Sie wollte das Format schon immer mal besuchen. Den Ausschlag gaben zwei ihrer Kolleginnen. Sie werden vorne auf der kleinen Bühne gleich berichten, warum sie ein Erotik-Onlineportal für Frauen nach eineinhalb Jahren wieder einstellten. „Wir haben es verkackt“, wird eine von ihnen sagen.
Aus Fehlern lernen - das klingt schwer nach einem pädagogischen Ansatz. Und ist nicht der einzige Grund für den Erfolg des Formats. „Natürlich ist auch immer Schaulust dabei“, sagt Marco Weicholdt mit einem Lächeln; die Lust, sich an den Pleiten anderer zu ergötzen.
Weicholdt, 31, ist von Anfang an einer der Organisatoren des Leipziger FuckUp Nights. Und damit der richtige Mann für die Frage: Ist Scheitern in Deutschland verpönt? „Aber hallo!“, sagt er. Fehler und Scheitern seien „extrem tabuisiert“. Anders als etwa in den USA, wo es heiße: „Aus dir wird erst etwas, wenn du dreimal gescheitert bist.“
Klar sei das bloß erst einmal eine Anekdote, meint Weicholdt, andererseits: „Schauen Sie sich doch mal die Lebensläufe in Bewerbungen an, die sind alle glattgebügelt.“ Oder haben von vornherein keine Falten gehabt.
Bei der FuckUp Night in Leipzig lernen, wie man Krisen bewältigt
Mit Falten und Fehlern ist Marco Weicholdt vertraut. Im Hauptberuf leitet er ein Co-Working-Space in Leipzig. Man kann dort Arbeitsplätze und Technik mieten. „Ein Haus voller StartUps“, sagt Weicholdt: 150 Jungunternehmer verteilen sich auf fünf Etagen.
Einfach mal ausprobieren, oder wie Weicholdt es nennt: „Beim Tun lernen“ - in der Gründerszene sei diese Haltung weit verbreitet. „Wir müssen uns ständig mit Fehlern auseinandersetzen.“ Es sei „verschenktes Potenzial“, daraus nicht zu lernen, wie man es besser machen könne.
Aus dem Haus heraus entwickelten sich ab 2015 allmählich die FuckUp Nights. „Anfangs war das wie ein Klassentreffen unter Gründern.“ Später suchten Weicholdt und seine Partner gezielt nach guten Geschichten: Sie hatten schon einen ehemaligen Vorstand von Cargolifter da - jene Firma, die in einer riesigen Halle in Brandenburg Luftschiffe bauen wollte.
Heute beherbergt die Halle eine Tropen-Erlebnis-Welt. Sie haben den Chef der 2004 gescheiterten Leipziger Olympia-Bewerbung auf die Bühne geholt und eine Führungskraft eines insolventen Solar-Unternehmens aus Bitterfeld-Wolfen.
An diese Geschichte erinnert sich Weicholdt noch gut: „Der Mann hat erzählt, wie es ist, wenn der Markt eine Branche kaputt macht.“ Er berichtete von einem Misserfolg - und verwandelte diesen in einen Erfolg für sich: Unternehmer aus dem Publikum, erzählt Weicholdt, hätten den Mann nach dessen Vortrag spontan angesprochen: „Am Ende ist er mit fünf Job-Angeboten nach Hause gegangen.“ Er überzeugte offenbar damit, eine Krise überstanden zu haben.
Extreme Geschichte bei der FuckUp Night: Falsche Diagnose mit fatalen Folgen
Meist geht es bei den FuckUp Nights um die Welt der Wirtschaft. Manchmal geht es aber auch um Leben und Tod: Nach 15 Minuten Vortrag des Bali-Auswanderers Pascal Rehm und einer Fragerunde betritt eine junge Medizinerin die kleine Bühne des Leipziger Clubs.
Sie erzählt, wie sie als Assistenzärztin in der Notaufnahme einer Klinik eine falsche Diagnose stellte - mit beinahe fatalen Folgen. Erst der Arzt, der zur Nachtschicht übernahm, erkannte, dass der betreffende Patient in Lebensgefahr schwebte -und verlegte ihn auf die Intensivstation. Der Mann überlebte.
Über Erfolge zu erzählen, ist einfach. Fehler einzugestehen, fällt schwer. Und von eigenen Fehlern zu berichten vor einem Publikum, das gut unterhalten werden will, erfordert Mut. Allein dafür bekommen der Bali-Auswanderer, die Ärztin und die beiden Frauen mit ihrem Online-Portal viel Beifall an diesem Abend. „Ich bin beeindruckt von der Offenheit“, sagt ein Student, der mit einem Bierglas in der Rechten lässig an einem Treppengeländer lehnt.
Jeder Auftritt ist eine Gratwanderung - für diejenigen, die auf der Bühne stehen und für die Organisatoren. Das Eingeständnis, dass etwas schiefgelaufen ist, ist etwas sehr Persönliches. „Wir wollen niemanden bloßstellen“, sagt Weicholdt.
Geschichte des Scheiterns: Mit blauen Auge davongekommen
Auch Pascal Rehm hat lange überlegt, ob er sich mit seinem Bali-Abenteuer auf die Bühne wagen soll. Er tritt dann sehr selbstironisch auf. Er sucht keine Schuldigen, obwohl das einfach wäre: Er und sein US-Partner waren an Geschäftemacher geraten, die ihnen gegen Geld die notwendigen Lizenzen versprachen, die man für ein Gewerbe auf Bali benötigt. Die aber gefälschte oder keine Papiere lieferten.
Rehm sieht den Grund für sein Scheitern in eigenen Fehlentscheidungen: „Ich war naiv und habe den falschen Leuten vertraut.“ Am Anfang richtet er einen Wunsch an das Publikum: „Ich möchte, dass Ihr nicht die Fehler macht, die ich gemacht habe!“ Zum Beispiel, Verträge ohne einen Anwalt abzuschließen.
Für Pascal Rehm ist das Bali-Abenteuer noch nicht ausgestanden. Noch läuft ein Rechtsstreit mit einer der Firmen, der er und sein Partner sich anvertraut hatten. „Wenn alles klappt, komme ich mit 5.000 bis 10.000 Euro Miesen davon.“
Ob er wieder ein Unternehmen gründen würde, will bei der Fragerunde ein Mann aus dem Publikum wissen. Rehm will das nicht ausschließen. Bloß nicht aufgeben.