1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Forschung: Forschung: Possierliche Tierchen helfen in Bildungsdebatte

Forschung Forschung: Possierliche Tierchen helfen in Bildungsdebatte

Von Sabine Heimgärtner 13.10.2005, 11:31
Professor Doktor Henning Scheich, Direktor des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg, beobachtet am Mittwoch (12.10.2005) in einer Trainingskammer eine Wüstenspringmaus. (Foto: dpa)
Professor Doktor Henning Scheich, Direktor des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg, beobachtet am Mittwoch (12.10.2005) in einer Trainingskammer eine Wüstenspringmaus. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Magdeburg/dpa. - Auf seine Wüstenrennmäuse lässt HenningScheich nichts kommen. Begeistert präsentiert der Hirnforscher imMagdeburger Leibniz-Institut für Neurobiologie ein besondersgelehriges Exemplar seiner über 100-köpfigen Testgruppe. «Sie sindimmer gut drauf, beißen nicht, sind unglaublich robust,hundertprozentige Profis und fantastische Lerner». Genau darauf kommtes an: Mit Hilfe komplizierter Testreihen lieferten Scheichs Mäusewichtige Erkenntnisse für die deutsche Bildungsdebatte.

Seit über zehn Jahren probt Scheich mit seinen possierlichenTierchen den Aufstand gegen niederschmetternde Ergebnisse von Pisa-Studien, gähnende Langeweile in Klassenzimmern und Null-Bock-Mentalität von Schülern. Nun ist ihm der Durchbruch gelungen: Derinternational renommierte Wissenschaftler konnte am Beispiel seinerMäuse nachweisen, dass der Mensch nur dann wirklich lernfähig ist,wenn seine Anstrengungen mit Glücksgefühlen belohnt werden.

Das Experiment, das vor allem neue pädagogische Ansätze eröffnet,erscheint auf den ersten Blick einfach: Nach einem akustischen Signalwird die eine Hälfte eines zweigeteilten Käfigs kurz unter Stromgesetzt. Nach einiger Zeit stellt die Maus fest, dass sie demstrombedingten Kitzelreiz nur dann entgehen kann, wenn sie über einekleine Hürde auf die andere Seite der Box hüpft. Auch wenn derZusammenhang zwischen Signal und Strom nicht gleich erkannt wird,beginnt die Maus immer früher zu springen, wenn sie das unangenehmeKribbeln spürt und merkt irgendwann, dass sie mit einem Sprung gleichnach dem Signal dem Fußkitzeln ganz entgehen kann.

Messungen im Mäusegehirn ergaben, dass dieses «Aha»-Erlebnis voneinem Glücksgefühl begleitet wird, verursacht durch eine kurzzeitigerhöhte Ausschüttung des im Nervensystem zirkulierenden BotenstoffesDopamin. «Das Gehirn belohnt sich für die gelungene Problemlösungsozusagen selbst», freut sich Scheich.

Bei noch weitergehenden Tests haben er und seine Kollegen nichtnur festgestellt, dass die Maus sitzen bleibt, wenn die bisherstromfreie Käfighälfte elektrisiert wird, sondern noch erstaunlicher:Das Tier wird extrem passiv, wenn auf beiden Seiten der Versuchskistekleine Stromschläge ausgeteilt werden. «Die Mäuse waren in diesenFällen total frustriert, weil sie die Erfahrung machen mussten, dassalles, was sie gelernt haben, nichts nützt.»

Der Fachbegriff heißt «erlernte Hilflosigkeit», die nach ScheichsErkenntnissen unbedingt zu vermeiden ist. «Es ist enorm wichtig, dassder Mensch von Zeit zu Zeit Erfolgserlebnisse hat.» Übertragen aufdie schulische Situation heißt das für den Forscher: «Eine optimaleLernsituation muss so gestaltet werden, dass jeder Schüler eineindividuelle positive Bilanz von verdienten Erfolgen und Überwindungvon Misserfolgen erreicht.»

Zusätzlich zu dem emotional angenehmen Gefühl beim «Lernen unterder Dopamindusche» stellt sich noch ein weiterer Effekt ein: DasGlück bringende Wundermittel Dopamin löst im Gehirn eineEiweißsynthese aus, die das Langzeitgedächtnis aktiviert. DerMagdeburger Mäusetüftler schlug also mehrere Fliegen mit einerKlappe. Dafür wurde er jetzt mit dem Denktriebpreis 2005 derWuppertaler Hans W. Winzig Stiftung ausgezeichnet.