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Flughafen Leipzig/Halle Flughafen Leipzig/Halle: Kursdorf - Ein Dorf wird Parkplatz

Von MICHAEL FALGOWSKI 08.04.2011, 21:38

KURSDORF/MZ. - Die rostige, schiefe Wasserpumpe neben dem Dorfteich quietscht. Man kann es hören, trotz des permanenten lauten Rauschens der A 14, das niemals verstummt. Und trotz der Turbinen eines Fliegers, die hinter der 20 Meter hohen Lärmschutzwand aufheulen. Brigitte Parade füllt eine verbeulte Gießkanne, die neben der Kursdorfer Kirche mit dem kleinen Friedhof Wasser spendet. Auf fast allen Gräbern liegen frische Blumen. "Ich pflege hier das Grab meiner Eltern. Da ich auf dem Flughafen arbeite, kann ich auf dem Heimweg vorbeischauen", sagt die Kursdorferin - die indes schon seit mehr als zwei Jahren nicht mehr hier wohnt. Wie viele.

Kursdorf ist praktisch entvölkert. Die meisten Bewohner sind vor dem Flughafen geflohen, in den seit 1991 rund 1,9 Milliarden Euro verbaut und investiert worden sind. Und an dem die Posttochter DHL ihr Drehkreuz mit tausenden Mitarbeitern aufgebaut hat.

Auch Brigitte Parade ist nur noch Gast in ihrem Heimatdorf. Sie gehört zu den rund 60 Kursdorfern, die das Angebot des Airports genutzt haben, im nahen Schkeuditz mit ihrer Entschädigung auf einem Tausch-Bauland neu anzufangen. Parade sieht die neue Heimat mit gemischten Gefühlen. "Die Nachbarn sind neu. Und es ist weniger Platz. Aber hier in Kursdorf kann man doch eigentlich nicht mehr leben", sagt sie. "Bei diesem Lärm und Dreck!" Und so, wie es jetzt hier aussehe.

Ab Mai wird Dorf zum P20

Die sanierte 800 Jahre alte denkmalgeschützte Feldsteinkirche hat gute Aussichten, das letzte Gebäude von Kursdorf zu werden. Denn von dem Ort, der im Jahr 2003, als der Ausbau des Flughafens mit der neuen Südbahn beschlossen wurde, mehr als 250 Einwohner hatte, ist schon jetzt nicht mehr viel übrig. Der Airport, dem die meisten Grundstücke gehören, lässt 44 Häuser plus Scheunen und Ställe wegreißen. In der einstigen Ortsmitte, gleich hinter der Kirche, erstreckt sich nun ein Areal voller Schuttberge - eine große Brecheranlage zertrümmert die herangekarrten Hausreste. "Der Flughafen lässt die Häuser wegen Vandalismusschäden abreißen. Wir kommen unserer Sicherungspflicht nach", erläutert Airport-Sprecher Uwe Schuhart. Die leeren Gehöfte waren zu Abenteuerspielplätzen verkommen.

Doch es wird auch neu gebaut: Im Mai öffnet ein Parkplatz. 12 000 Quadratmeter groß, für rund 500 Autos. Der P 20 ersetzt dann den jetzigen Parkplatz neben dem Tower, nördlich der A 14. Vom neuen Areal sind es nur ein paar Schritte zum Flughafen. "Es ist eine bittere Ironie: Der Parkplatz steht auf den Kursdorfer Häusern. Denn deren Trümmer dienen als Baugrund", sagt Thomas Knauf.

Bis 2009 war er Ortsvorsteher. Dann wurde der Ortsrat aufgelöst. Zu viele waren schon weg. Jetzt ist Knauf einer von aktuell noch 18 Einwohnern. Wer geblieben ist, will es oder wird mit dem Airport nicht über die Höhe der Entschädigung einig. Oder er arbeitet hier. Wie in der Autowerkstatt. Dort waschen Autoverleih-Firmen aus dem nahen Terminal ihre Mietwagen. Mit Tempo 100 jagen die Fahrer durch die leeren Straßen.

Knauf würde Kursdorf gerne verlassen. "Wenn die Triebwerke hochfahren, verstehe ich auch bei geschlossenem Fenster den Fernseh-Ton nicht", sagt er. Doch seit sechs Jahren streitet sein Familienbetrieb, die Gärtnerei Knauf, mit dem Airport. Hintergrund: Knaufs wollen mit ihren Gewächshäusern umziehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesen Anspruch auch bestätigt, der Airport aber zweifelt das weiter an.

Der 49-Jährige weiß: "Kursdorf ist schon Geschichte." Inzwischen sind die meisten Gehöfte weggegraben, in denen zuletzt das Sondereinsatzkommando der sächsischen Polizei die Erstürmung von Häusern trainierte. Zum ersten Mal hat Knauf das Ortsfest abgesagt. "Es gibt nichts mehr zu feiern". Aber noch brennen Straßenlaternen, kommen Müllabfuhr und Post. Auch ein Bus streift Kursdorf. Und noch immer treffen sie sich im Bürgerverein im alten Feuerwehrgerätehaus - zur Doppelkopfrunde. Und auch der FSV 1958 trägt weiter seine Punktspiele aus. Nächstes Jahr soll der Fußballplatz, den der Flughafen erst 2002 baute, aber eingeebnet werden, heißt es.

Nistkästen für den Parkplatzbau

Kursdorf verschwindet. Das sieht auch Peter Wagner jeden Tag. Seit 1958, da war er 20, lebt er in dem Dorf, das keins mehr ist. Gerade war er in seinem Garten. Der liegt in der ansonsten verwaisten Sparte, die vielsagend "Erholung an der Rollbahn" heißt. Er hätte gehen können, sagt er. Aber er wolle nicht mehr neu bauen. Wagner hat sein Grundstück an den Flughafen verkauft, nutzt sein vereinbartes lebenslanges Wohnrecht. Und bald bekommt er sogar neue "Nachbarn". Der Airport muss für seinen P 20, für gefällte Bäume, beseitigte Hecken und Gemäuer wieder Ersatz schaffen: 175 Nistkästen werden daher in Kursdorf aufgehängt.